Merken

Warum ist Theater kein Ponyhof, Herr Intendant?

Der Chef des Staatsschauspiels Dresden über die Folgen von #metoo, Machtmissbrauch und warum Konflikte für Proben wichtig sind.

 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Joachim Klement, 1961 in Düsseldorf geboren, ist seit der Spielzeit 2017/2018 Intendant des Staatsschauspiels Dresden.
Joachim Klement, 1961 in Düsseldorf geboren, ist seit der Spielzeit 2017/2018 Intendant des Staatsschauspiels Dresden. © Ronald Bonß

Ein Jahr ist #metoo her. Zuerst war es die Filmbranche, aus der Berichte von sexuellen Übergriffen bekannt wurden. Dann kamen die Theater. Aus mehreren Häusern, auch in Deutschland, wurde von Machtmissbrauch berichtet. Inzwischen hat der Deutsche Bühnenverein eine Erklärung verfasst, einen Wertekodex, der nun als Selbstverpflichtung von allen deutschen Theatern umgesetzt werden soll. Im Interview spricht Joachim Klement, Intendant des Dresdner Staatsschauspiels, über die Situation an seinem Haus. Was hat #metoo hier verändert?

Herr Klement, aus mehreren deutschen Theatern wurde von Übergriffen und Machtmissbrauch berichtet. Hätten Sie das erwartet?

Das Ausmaß war für mich vorher nicht vorstellbar. Aber insgesamt bin ich froh über die Entwicklungen, die im Zusammenhang mit der Metoo-Debatte entstanden sind. Nach der Erklärung des Deutschen Bühnenvereins wurde bei uns eine Arbeitsgruppe gebildet, wir formulieren nun ein Leitbild dazu. In dem Fall in der Semperoper, wo ein Tänzer einen Ballettmeister beschuldigt hat, hat man gesehen, wie schwierig die Einordnung manchmal ist. Das ist ein heikles Thema. Im Schauspiel ist das noch mal etwas Besonderes.

Wieso?

Im Schauspiel werden die Geschichten von Menschen dargestellt, in deren Leben das Überschreiten von Grenzen eine entscheidende Rolle spielt. Wir zeigen sowohl Opfer als auch Täter. Dazu gehört auch, dass Gewalt dargestellt wird, körperliche Auseinandersetzungen. Die Probe ist ein Schutzraum, in dem Schauspieler und Schauspielerinnen solche Szenen ausprobieren. Da kann es passieren, dass etwas als Belästigung empfunden wird, was so nicht beabsichtigt war. Natürlich muss da Sicherheit hergestellt werden, damit es keine Übergriffe gibt und Ehre und Würde der Beteiligten geschützt werden.

Wie kann man diese Sicherheit herstellen?

Eine gewisse Sicherheit ist dadurch gewährleistet, dass eine Probe ein Arbeitsvorgang ist, bei dem Leute zuschauen – der Regisseur, Assistentinnen, Dramaturginnen, die Souffleuse. Aber das Entscheidende ist, dass es Respekt im Umgang miteinander gibt. Schauspieler müssen sich auch wechselseitig schützen..

Findet mehr Selbstkorrektur statt als früher?

Das ist auch ein Teil der Debatte: Es gibt eine höhere Aufmerksamkeit. Wir versuchen, ein Klima zu schaffen, in dem für alle Beteiligten klar ist, dass man die Dinge, die passieren, benennt und bespricht. Dafür möchte ich die notwendige Atmosphäre schaffen, eine Kultur des Miteinanders. Ich versuche, die Hierarchien flach zu halten und den Mitarbeitern eine offene Tür anzubieten. Das heißt leider nicht selbstverständlich, dass jemand auch durch die Tür kommt. Das braucht Zeit und Vertrauen.

Was wäre, wenn jemand durch diese Tür kommt und von übergriffigen Situationen berichtet?

Dann würde ich die Zusammenarbeit mit der gemeinten Person beenden. Ich hatte so eine Situation – nicht in Dresden – mit einer Regisseurin. Ihr musste ich sagen, dass ich nicht mehr mit ihr arbeiten würde, wenn sie sich weiterhin gegenüber Mitarbeitern so verhält. Das war keine sexuelle Übergriffigkeit, aber es wurde Macht missbraucht.

Es geht nicht nur um konkrete Übergriffe. Manche Regisseure – so wie Ulrich Rasche, der in Dresden „Das große Heft“ inszeniert hat – bringen die Beteiligten an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Sagen Sie da: Da müssen die Schauspieler durch?

Nein, so einfach ist das nicht. Aber: Theater funktioniert nur deshalb, weil sich alle darauf verständigt haben, etwas für das künstlerische Produkt zu tun – vorbehaltlos. Ulrich Rasche ist ein sehr fordernder Mensch. Er möchte einen bestimmten Umgang mit einem Thema haben, und zwar schon zu Beginn der Probenzeit.

Tragen Sie als Intendant nicht auch eine Verantwortung für die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter?

Natürlich. Aber Verausgabung ist auch Bestandteil künstlerischer Arbeit. Das betrifft nicht nur die Schauspieler, sondern auch alle anderen Abteilungen. Als Leiter kann ich nur dafür sorgen, dass es im Rahmen bleibt – aber ich kann nicht die ganze Zeit danebenstehen. Ich kann nur anbieten, dass man mir Konflikte mitteilt, und dann entsprechend reagieren.

„Das große Heft“ ist eine herausragende Inszenierung. Braucht es Druck, um große Kunst hervorzubringen?

Das lässt sich nicht verallgemeinern. Es gibt großartige Inszenierungen von Regisseurinnen und Regisseuren, die in entspannter Atmosphäre entstehen.

Theater sind extrem hierarchisch aufgebaut, zumindest sehen das einige Regisseure so. Begünstigt dieses Verhältnis grenzüberschreitendes Verhalten?

Expressivität muss Künstlern erlaubt sein. Aber das Gefälle zwischen Künstlern und Mitarbeitern sollte grundsätzlich neu bewertet werden. Theaterarbeit ist ihrem Wesen nach Kommunikation – und da passt ein starres Hierarchiegefälle nicht.

Gerade junge Schauspielerinnen oder Schauspieler haben oft befristete Arbeitsverhältnisse. Die Abhängigkeit von der Gunst des Regisseurs ist groß.

Darum sollten die jungen Kolleginnen und Kollegen schon in der Ausbildung lernen, dass sie sich nicht einlassen sollten auf Häuser, in denen so etwas ausgenutzt wird.

Leicht gesagt …

Aber es kann doch nicht sein, dass sie sich zum Opfer machen, um überhaupt zu arbeiten! Initiativen wie das Ensemblenetzwerk thematisieren diese Problematik. Das ermutigt alle Theaterleute, über die Rahmenbedingungen nachzudenken.

Was können Sie als Theater konkret an den Rahmenbedingungen verändern?

Flache Hierarchien sind enorm wichtig. Vor 30 Jahren waren die Theater extrem auf die Intendanten – meist regieführende – zugeschnitten, alles orientierte sich an deren Arbeiten. Das ist heute unzeitgemäß. Als ich vor 30 Jahren am Theater angefangen habe, gab es Ressourcen, die darauf warteten, von der Kunst abgerufen zu werden. Das ist heute vollkommen anders. Die Aufgabe von Leitung ist es, dass der ökonomische Druck sich nicht auf die künstlerische Arbeit auswirkt. Flache Hierarchie heißt für mich, dass jeder so gut wie möglich selbstverantwortlich arbeiten kann. Ich möchte und kann nicht alles alleine entscheiden, ich spreche mich immer ab. In einem vertrauensvollen Klima sind auf der einen Seite extreme künstlerische Arbeiten möglich, gleichzeitig ist der Einzelne geschützt.

In der freien Szene werden Hierarchien bisweilen komplett abgeschafft. Regisseurinnen stehen in Programmheften gleichberechtigt unter denen aller anderen Mitarbeiter an der Produktion.

Das gibt es in festen Häusern auch. Heute haben Sie häufiger künstlerische Teams, die ihre Arbeit als etwas Gemeinsames begreifen. Doch Freiraum bedeutet für die Beteiligten auch Verantwortung. Bei Sebastian Hartmanns Arbeit „Erniedrigte und Beleidigte“ sieht man das: Hartmann arbeitet stark kooperativ mit dem Ensemble. Auch das verlangt den Schauspielern viel ab.

Eine starre Hierarchie ist also auch bequem?

Sie erleichtert in jedem Fall. Wir haben als öffentlich finanziertes Haus auch eine Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter. Deshalb haben wir dafür Sorge zu tragen, dass zum Beispiel Probenzeiten eingehalten werden.

Klingt gemütlich. Gibt es einen Punkt, an dem ein Theater zu sehr Ponyhof ist?

Es gibt nichts Beunruhigenderes für Theaterleiter, wenn einem berichtet wird, dass sich alle wohlfühlen. Viele Geschichten im Theater handeln nun mal von Konflikten. Die Schauspieler müssen da beteiligt sein, sonst kriegen sie es nicht vermittelt. Eine Aufgeladenheit, eine konfliktreiche Situation bei einer Probe, schlägt sich dann auch in der Arbeit nieder. Aber um Konflikte auszuprobieren, braucht man auch eine Vertrautheit.

Wie sieht es aus mit Frauen in Führungspositionen? Sie sind Chef des Dresdner Staatsschauspiels, Ihr Vertreter ist der Chefdramaturg Jörg Bochow.

Ich wurde gefragt, ob ich die Intendanz in Dresden antreten will, und ich bin nun mal ein Mann, ich kann das nicht verbergen. Jörg Bochow schätze ich sehr. Ich arbeite aber auch gern mit Dramaturginnen, da gibt es keinen Unterschied.

Und bei den Regiearbeiten? Es inszenieren mehr Männer am Staatsschauspiel als Frauen.

Das stimmt nicht. In der ersten Spielzeit war es ausgeglichen. In dieser Spielzeit wurde eine Regisseurin schwanger, kurz bevor der Spielplan herauskam. Wir haben in aller Kürze umdisponiert – dadurch stehen nun mehr Regisseure als Regisseurinnen im Spielplan.

Müssten Sie nicht noch bewusster dagegen arbeiten? Von allein verändert sich das Ungleichgewicht nicht.

Das ist so, und wir tun das auch. Im nächsten Spielplan wird das Verhältnis von Regisseuren und Regisseurinnen wieder ausgewogen sein.

Das Gespräch führte Johanna Lemke.