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Warum man Glück nicht kaufen kann

Apps und Coaches versprechen den Weg zur Zufriedenheit. Die Soziologin Eva Illouz beweist in ihrem neuen Buch, warum das nicht bei jedem funktioniert.

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© plainpicture/Sasha Gulish

Von Andreas Wirthensohn

Das Glück kommt jetzt per App. „HiMoment“, „Super Better“, „Mindfokus“ – einmal aufs Smartphone geladen, lernt man damit, die Glücksmomente im Leben zu erkennen und zu genießen, Stress ab- und Resilienz aufzubauen, den Alltag positiver zu gestalten. So zumindest das Versprechen der Anbieter. „Happify“ etwa will „das Glücklichsein lehren, indem sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Glücksforschung aufbaut. Unterschiedliche Games und Trainingseinheiten sollen Stress abbauen, Dankbarkeit stärken und dabei helfen, ein gesünderes Leben zu führen.“ Und bei HiMoment führt man eine Art Glücksjournal, auf dessen Grundlage die App einen immer wieder dran erinnert, dass in der Vergangenheit nicht nur alles schlechter war. Nie, so scheint es, war es einfacher, glücklich zu sein.

Dass Geld allein nicht glücklich macht, wissen wir seit Langem. Aber dass man sich Glück kaufen kann, ist ein relativ neues Phänomen. Glück ist wie so vieles andere auch zu einer Ware geworden, genauer: zu einer „Gefühlsware“, die im Englischen die wunderbare Bezeichnung „emodity“ trägt. Mehr noch: Es gibt inzwischen eine riesige „Glücksökonomie“: „Dienstleistungen, Therapien und Produkte, die eine emotionale Veränderung verheißen und bewirken“. Wobei das mit dem „Bewirken“ natürlich so eine Sache ist.

Ist Glück objektiv messbar?

Edgar Cabanas, spanischer Psychologe, und Eva Illouz, renommierte Soziologin aus Israel, haben sich zusammengetan, um dieses „Glücksdiktat“ als das zu enttarnen, was es ist. Es soll Werte propagieren, die eng mit der Ideologie des Neoliberalismus verbunden sind: „Wir glauben nicht mehr, dass Glück etwas mit Schicksal, Lebensumständen oder der Abwesenheit von Leid zu tun hat, dass es ein tugendhaftes Leben krönt oder einfältigen Menschen mageren Trost gewährt. Nein, Glück gilt in unseren Zeiten vielmehr als eine Geisteshaltung, die sich willentlich herbeiführen lässt, als Resultat der Mobilisierung unserer inneren Stärken und unseres ‚wahren Selbst‘, als einziges Ziel, das anzustreben sich lohnt, als der Maßstab, an dem wir den Wert unserer Biographien, die Größe unserer Erfolge und Niederlagen sowie den Stand unserer psychischen und emotionalen Entwicklung messen müssen.“ Kurz: Wer kein glückliches Leben zustande bringt, ist bedauernswerterweise gescheitert, aber leider selbst schuld daran.

Der Glücksforscher Martin Seligman hat es sogar geschafft, den erstrebten Zustand auf eine einfache Formel zu bringen: G (Glück) = V (Vererbte Bandbreite erreichbaren Glücks) + L (Lebensumstände) + W (Faktoren, die unter der Kontrolle unseres Willens stehen). Das heißt auch: Wem es an den Genen und am Willen mangelt, den werden auch die äußeren Umstände nicht selig machen. Diese sind der einzige Faktor, an dem Politik möglicherweise etwas ändern könnte. Heute ist in der Tat jeder seines Glückes Schmied. Mache also bloß keiner die Regierenden verantwortlich dafür, dass er das Glück nicht findet.

Cabanas und Illouz bieten eine scharfsinnige Analyse der Werte, die dem Glücksdiktat zugrunde liegen. Es sind individualistische, psychologisierende, meritokratische Vorstellungen, in denen so etwas wie Gesellschaft keinen Platz hat. Jeder Mensch ist seine eigene Achtsamkeits- und Resilienz-AG, die „positives psychologisches Kapital“ akkumuliert und dank innerem Glück auch ökonomisch erfolgreich ist.

Ist Glück nur gesellschaftlich denkbar?

Federführend bei der Verbreitung solcher Ideologie, meist im Gewande nüchterner Wissenschaftlichkeit, sind die sogenannte Positive Psychologie und die Glücksforschung. Sie haben aus dem Glück eine objektive, messbare Variable gemacht und geben sich nüchtern technokratisch: Einkommensungleichheit etwa, so wollen Glücksforscher allen Ernstes herausgefunden haben, gehe mit größerem Glück einher, vor allem in Entwicklungsländern, und deshalb könnten alle politischen Anstrengungen „zur Verringerung von Einkommensunterschieden dem Wohlbefinden der Bürger armer Länder potenziell schaden“. Politisch wird das Glück also nur dort, wo Politik den freien Marktkräften Einhalt gebieten könnte – und die Menschen damit ins Unglück treiben würde. Doch so aufschlussreich und mitunter wunderbar böse dieses Buch auch ist, so ist es doch von einer gedanklichen Unterströmung durchzogen, die ein wenig stutzig macht.

Man wird das Gefühl nicht los, als sei für Edgar Cabanas und Eva Illouz nicht nur das Glücksdiktat verwerflich, sondern das persönliche Glück als solches. Glück, so scheint es, ist für sie nur als gemeinschaftliches, gesellschaftliches denkbar. Wenn sie ganz am Ende des Buchs allen danken, „die das Streben nach positiven Gefühlen und Glück zu einem nutzlosen Unterfangen machen“, dann ignorieren sie damit eine menschliche Sehnsucht, die weit älter ist als der Kapitalismus. Schon antike Philosophen wie Seneca schrieben ganze Abhandlungen über das „glückselige Leben“. Dass dieses Bemühen hier auf fast zynische Weise verunglimpft wird, kann den Leser nicht wirklich glücklich stimmen.

Edgar Cabanas/Eva Illouz: Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp, Berlin 2019. 243 S., 15 Euro