Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Merken

Warum Usti sein Wahrzeichen loswerden will

Erst war die futuristische Marienbrücke heftig umstritten, dann wurde sie geliebt – jetzt soll sie verkauft werden.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Anneke Hudalla

Die futuristisch angehauchte, 198 Meter lange, vierspurige Marienbrücke in Usti (Aussig) ist im Unterhalt so teuer, dass die Stadt diese Last nicht länger schultern will. Dabei ist die Brücke nicht nur der ganze Stolz, sondern auch das Wahrzeichen der sonst an Sehenswürdigkeiten nicht eben reichen Elbmetropole. Und dementsprechend kann sich die Opposition im Stadtrat eine gewisse Schadenfreude nicht ganz verkneifen.

Der Haushalt eines Jahres

Der Bau der Marienbrücke (Mariansky most) hat die Lokalpolitik in Usti während der neunziger Jahre so in Aufruhr versetzt wie kaum ein anderes Thema.

Dabei war die Notwendigkeit einer weiteren Elbquerung eigentlich unumstritten. Heftige Diskussionen gab es aus einem anderen Grund: Während andere tschechische Städte den Bau derart großer Infrastrukturprojekte der staatlichen „Direktion der Straßen und Autobahnen“ überlassen, versteifte sich Usti nicht nur darauf, die neue Brücke aus dem eigenen Säckel zu finanzieren. Die Stadtführung entschied sich auch noch, den architektonisch kühnen und daher sehr aufwendig zu bauenden Entwurf zweier Architekturbüros aus Prag und Usti umzusetzen.

Und tatsächlich – wie so oft war auch im Falle der Marienbrücke schon bald nach dem Baubeginn 1996 klar, dass der ursprünglich angesetzte Baupreis nicht einzuhalten sein würde. Bis zur Eröffnung der Brücke am 30. Juli 1998 musste die Stadt beinahe 750 Millionen Kronen (heute knapp 30 Millionen Euro) investieren. Das war nicht nur doppelt so viel wie ursprünglich geplant, sondern entsprach damals auch ziemlich genau dem Stadthaushalt eines ganzen Jahres.

Die Marienbrücke war das teuerste Verkehrsbauwerk, das in der Tschechoslowakei seit 1948 gebaut worden war – und damit ein gefundenes Fressen für die Opposition, die der Stadtführung immer wieder vorhielt, sie leide offenkundig an Verschwendungs- und Großmannssucht.

Leben auf großem Fuß

Diese Vorwürfe verstummten allerdings, als die Marienbrücke 1999 den – in der internationalen Baubranche hoch geschätzten – Preis für den besten Europäischen Stahlbau erhielt. Seitdem ziert die Brücke die Internetseiten und sämtliche Werbegeschenke der Stadt.

Trotzdem will sich die Stadtführung nun von der Brücke trennen. Denn wie sich im Zuge der Haushaltsberatungen vergangene Woche herausstellte, lebt die Stadt derzeit deutlich über ihre Verhältnisse. Trotz empfindlicher Streichungen in beinahe allen Bereichen wird das Rathaus im nächsten Jahr einen weiteren Millionenkredit aufnehmen müssen – obwohl ein bereits laufender Kredit über eine Milliarde Kronen noch gar nicht abbezahlt ist. In dieser Situation sind auch kleinere Einsparungen wie nun an der Marienbrücke hoch willkommen. Denn von den rund 385000 Euro, die das Bauwerk derzeit jährlich an Unterhalt verschlingt, könnte die Stadt zum Beispiel gleich drei Grundschulen finanzieren.

Trotzdem – angesichts der jahrelangen politischen Grabenkämpfe um den Brückenbau mutet der Gedanke, die Stadt trenne sich von ihrem Wahrzeichen ähnlich leicht wie von jedem beliebigen Plattenbau, reichlich seltsam an. Und so hatte Oberbürgermeister Jan Kubata der „Mlada Fronta Dnes“ gegenüber offenbar das Bedürfnis, diesen ungewöhnlichen Schritt einigermaßen wortreich zu erklären.

Kommt die Rettung aus Prag?

„Natürlich bleibt die Brücke, wo sie ist“, sagte Kubata. „Und auch nach dem Verkauf bleibt sie selbstverständlich das Symbol der Stadt.“ Nur angefragt habe er bei der staatlichen „Direktion für Straßen und Autobahnen“, ob sie die Brücke nicht kaufen und fortan für ihren Unterhalt aufkommen wolle. Eine Antwort aus Prag steht bislang noch aus. Doch in jedem Falle wird die Stadt durch den Verkauf sehr viel weniger Geld erzielen, als sie für den Bau ausgegeben hat.

„Die Tatsache, dass die Stadt den Bau selber finanziert hat, war von Anfang an ein Wahnsinn“, meint der Oppositionspolitiker Tomas Jelinek nun wieder. „Das mit dem Verkauf ist doch lächerlich. Ich denke nicht, dass der Staat die Brücke kaufen wird.“