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Weihnachten geht’s um die Wurscht

Wiener und Rollschinken ziehen an, doch Bratwurst ist der ungeschlagene Favorit in Görlitz. Natürlich mit Zitrone.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Ralph Schermann

Görlitz. Sie hat uns im Griff. Die Bratwurst, ein im Biss alltäglicher Imbiss, tut jährlich zu Weihnachten und Silvester so, als wäre sie etwas Besonderes. Und ja, das ist sie auch. Jeder Fleischermeister hat sein spezielles Geheimrezept. Vor allem die Schlesische Bratwurst mit Zitronen- und Muskatnote überdauert tapfer alle auswärtigen Genuss-Einflüsse. Zu DDR-Zeiten von Traditionsbetrieben nicht als schlesische, sondern als Görlitzer Wurst an die Gaumen gebracht, verschafft sie heute noch jedem Anbieter seinen sicheren Jahresend-Umsatz-Anstieg. Nur die Kundschaft streitet weiter: Ist nun die Salzkartoffel, der Kartoffelbrei oder gar der Kartoffelsalat die wahre Beigabe? Egal. Hauptsache Sauerkraut.

Wenn es aufs Ende von Jahr und Würsten zugeht, kennt jeder Fleischer dieses Phänomen: Zu den Stammkunden kommen dann Einkäufer, die sonst das ganze Jahr nicht da waren. Die Wurst ruft! „Das macht es schwer, zu kalkulieren“, sagt Meister Bert Gruske am Obermarkt. Er spricht für alle seiner Zunft, wenn er auf Handwerk und Qualität verweist: „Wir produzieren, was wir können, mehr geht nicht.“ Sein Tipp: rechtzeitig bestellen. „Stammkunden machen das sowieso und können sich dann beim Abholen entspannt in die Warteschlange einreihen.“ Am Demianiplatz ahnt Meister Jens Homilius: „Die meisten Kunden werden am 22. und 23. Dezember kommen.“ Das betrifft vor allem die ungebrühten Würste. Bei Gebrühten kann es ein bisschen eher sein. „Aber nicht zu viel eher“, ergänzt Bert Gruske, der auch vom Einfrosten der Bratwürste nichts hält: „Frisch ist frisch!“

Barbara Frühauf von der City-Fleischerei am Demi hat keine Bedenken: Bratwurst wird stets frisch hergestellt und hält sich. „Auch wer kurz vor dem 24. Dezember kauft, kann das mit ruhigem Gewissen tun“, sagt sie. Noch beruhigender sind rechtzeitige Bestellungen aber nicht nur wegen der Frische, sondern wegen der Sorten. Allein bei Meister Gruske gibt es neben normalen und groben und feinen und eben den Weihnachtsbratwürsten auch solche mit Bärlauch und sogar mit Tomate-Feta. Letztere aber in so überschaubarer Auflage, dass Bestellungen Pflicht sind. Übrigens: Es gibt das ganze Jahr über in einigen Fleischereien Bratwurst mit einem Hauch Zitrone. Diese Betriebe machen Weihnachtswurst dann noch extra zitroniger.

Nur solche verkauft Bert Gruske ab Freitag auch auf dem Christkindelmarkt. Seine Erfahrungen mit Touristen: „Meist teilen sich mehrere eine Wurst, um erst zu kosten. Und dann verlangen sie meist noch eine und noch eine, übrig bleibt nie etwas.“

Weil der eigenwillige Geschmack zwar durchaus nicht bei jedem Görlitzer beliebt ist, manchem Auswärtigen aber längst als exotische Speiseplanergänzung willkommen ist, haben auch Fleischereien einen Versand auf- und ausgebaut. Da gibt es Potsdamer Dauerbesteller bei Büchners auf der Bismarckstraße ebenso wie Nachfragen in so manchem Meisterbetrieb. Bei Gruskes gehen die Pakete sogar nach Litauen, England, Österreich und die Schweiz. „Voriges Jahr hat einer sogar am 23. Dezember wegen ein paar Würsten angerufen und allein für das Express-Porto 28 Euro berappt“, erinnert sich Linda Gruske. Die Tochter des Inhabers ist Fachverkäuferin und für den Versand zuständig. Als zweiten Beruf will sie nun Fleischerin werden und nennt den Meisterbrief als Ziel. So ist die Familientradition des über hundert Jahre alten Betriebes gesichert, der seit 1974 unter dem Namen Gruske arbeitet, seit 2001 vom jetzigen Meister geleitet und seit vielen Jahren immer wieder mit Qualitätsprämien geehrt wird. Allerdings: „Im Postversand geht dieses Jahr nichts mehr, da kriegen wir in das übervolle Bestellbuch nix mehr rein“, bedauert Linda Gruske. Vielleicht im Januar? Immerhin bietet der Laden am Obermarkt seine Weihnachts- und Silvester-Bratwürste traditionell auch stets noch die ersten zwei Wochen im neuen Jahr an.

Übrigens haben für Weihnachten und Silvester nicht nur die Bratwürste ihre hohe Zeit. Auch Rollschinken sind jetzt stark nachgefragt, und offenbar setzen viele Kunden weiterhin auf Wiener Würstel mit Kartoffelsalat. „Wir kommen auch bei den Wienern kaum nach“, bestätigt Bert Gruske, während die klassische Bockwurst sich im Dezember etwas ausruht. Vielleicht sollte man einfach auch für diese mal eine schlesische Variante erfinden?