Ja, 2010 war das Jahr der Fußball-WM in Südafrika mit Vuvuzela-Getröte, Lena Meyer-Landrut triumphierte beim Eurovision Song Contest, Thilo Sarrazin spaltete mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ das Land, in Sachsen war Stanislaw Tillich erst zwei Jahre Ministerpräsident und Torsten Pötzsch trat mit 39 Jahren das Amt als Oberbürgermeister in Weißwasser und die Nachfolge von Hartwig Rauh an.
Seine erste Dienst-Email schrieb Pötzsch am ersten Arbeitstag um 3:28 Uhr. Solche „Nachtschichten“ macht er bis heute. Und mit 49 Jahren verkörpert er noch, im positiven Sinn, den jugendlichen Rebellen. Das liegt nicht nur an langen, lockigen Haaren, seinem legeren Auftreten, weil er – nun als DJ OB – Platten auflegt und am Jahnteich Volleyball spielt. Vielmehr ist es der Fakt, dass Torsten Pötzsch sich, seinen Idealen, Zielen und Ansprüchen treu blieb. Die Geradlinigkeit ist umso bemerkenswerter, da Aufgaben und Probleme nicht weniger, sondern mit Strukturwandel, Bevölkerungsrückgang, Überalterung oder Corona schwieriger wurden. Dass die Menschen in und um Weißwasser immer unzufriedener sind, erlebt Pötzsch – der polarisiert, angegriffen und beleidigt wird – täglich.
Bilder eines Jahrzehnts
Dennoch sucht er stets Wege und Lösungen für die Entwicklung der Region, seiner Heimatstadt, eines Wir-Gefühls und, im Zuge des Strukturwandels, um Weißwasser aus der Bedeutungslosigkeit zu holen. Zivilcourage, Engagement, Ideenreichtum sind dafür nötig und führten dazu, dass Pötzsch und Weißwasser national und international be- und geachtet werden. 2017 wurde er vom Wiener Institut „Innovation in Politics“ mit rund 500 anderen europäischen Politikern für einen Preis vorgeschlagen, der Kreativität und Innovationsfreude in politischer Arbeit ehrt. Pötzsch kam durch das von ihm initiierte Projekt „Kleinstadt gestalten“ dazu. Dieses Jahr erhält er den Deutschen Nationalpreis für sein Engagement gegen Hass und Spaltung in der Stadt. Doch wie sehen Freunde, Wegbegleiter, Kollegen ihn?
Enthusiast und Kakao-Liebhaber
„Richtig kennengelernt habe ich Torsten Pötzsch im April 2004 als ,Blockbuster – Kunst im Rückbau‘ in Weißwasser für Wirbel sorgte. Seitdem sind wir Freunde – mit allem drum und dran: Wir können einander zuhören und streiten, uns aufeinander verlassen“, sagt Petra Sczesny, Sie schätze seinen „unbändigen Willen und die Leidenschaft, das Beste zum Minimalziel“ zu erklären und wisse, dass er mit Herzblut dabei sei. „Ich wünsche ihm, dass er mit notwendiger und energischer Diplomatie auch künftig kluge, sorgsame und gewinnbringende Entscheidungen“ für die Menschen in Stadt und Region trifft. „Aber ich rate auch, mehr auf die Gesundheit zu achten, privat Glück, Harmonie, mehr Zeit.“
Zeit für Privates hat Pötzsch kaum. „Seit zehn Jahren bin ich als Stadtrat sein Stellvertreter, hatte kaum zu tun, da er eigentlich immer da ist“, bekennt Hartmut Schirrock, der ihn bereits aus Lehrzeit und als Selbstständigen in der Veranstaltungsbranche kennt. „Torsten Pötzsch war stets umtriebig, hat Standpunkte, vertritt sie, muss viele Entscheidungen treffen, die ihm keine Freunde bringen.“ Aber manchmal fehle ihm „staatsmännische“ Ausstrahlung. „Andererseits zeigt es, dass er sich nicht verbiegen lässt“, so Schirrock.
Einer, der den Stadtchef seit der Schule kennt, ist Sven Staub. Sie kamen über gemeinsames Musikinteresse und Sport zusammen, absolvierten später gemeinsam Abitur, Ausbildung, Job bei der Sparkasse. „Bis heute sind wir in Kontakt, weil wir die Chance hatten, in Weißwasser zu bleiben. Nun versuchen wir, unsere Heimatregion mitzugestalten. Diese gemeinsamen Interessen und die Musik verbinden und ich wünsche Torsten Kraft, auch in nicht einfachen, konfliktträchtigen Situation, die gesteckten Ziele umzusetzen.“
Schwierige Zeiten kennt auch der Krauschwitzer Ex-Bürgermeister Rüdiger Mönch. Mit Pötzsch kämpfte er für die Entwicklung des Geoparks Muskauer Faltenbogen. „Ich erlebte Torsten als besonnenen, ruhigen, loyalen, hilfsbereiten Menschen, der stets über den Tellerrand schaute, um Stadt und Umland zu entwickeln.“
Bleibt die Frage, wie er als Boss ist. Dazu verrät seine Assistentin Jacqueline Domschke: „Mich beeindruckt, dass er 24 Stunden im Dienst ist. Wenn ich morgens den PC anschalte, sehe ich beispielsweise, dass er nachts E-Mails versandte.“ Pausenzeiten oder Mittagessen habe sie bei ihm noch nie erlebt. Aber er trinke gerne eine Tasse Kakao. „Als Chef achte ich ihn vor allem, weil er klare Werte vertritt, selbst bei Stress freundlich und respektvoll bleibt.“