Weißwasser
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300 Päckchen für Kinder in Moldawien

Weihnachten im Schuhkarton: Trotz Corona wurde auch 2020 in und um Weißwasser viel gesammelt.

Von Constanze Knappe
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Pfarrersfrau Sabine Zinkernagel bereitet in Weißwasser die Päckchen der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ zum Versand vor.
Pfarrersfrau Sabine Zinkernagel bereitet in Weißwasser die Päckchen der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ zum Versand vor. © Constanze Knappe

So ungefähr stellt man sich die Weihnachtsmannstube vor: der Dicke mit Rauschebart umgeben von Päckchen voller schöner Dinge. Ein bisschen Ähnlichkeit hat der Raum neben dem Gemeindebüro der evangelischen Kirchengemeinde Weißwasser, auch wenn die Pfarrersfrau Sabine Zinkernagel nicht im Entferntesten wie der Weihnachtsmann aussieht. Ein bisschen aber kommt sie sich so vor.

Mit zwei fleißigen Helferinnen ist sie dabei, die Päckchen der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ für die Reise nach Osteuropa versandfertig zu machen. Diese waren zuvor in Annahmestellen in Weißwasser, Krauschwitz, Bad Muskau, Boxberg und See gesammelt worden. Im Vorjahr kamen 350 Päckchen zusammen. In etwa so viele werden es wohl auch 2020 sein.

Auch der Zoll schaut drauf

Jetzt, da sich Päckchen und Pakete im Gemeindehaus in Weißwasser türmen, muss in jedes Einzelne hineingeschaut werden. „Der zollrechtlichen Bestimmungen wegen“, begründet Sabine Zinkernagel. Lebensmittel sind nicht erlaubt, auch Kekse nicht, die zu den Lebensmitteln zählen. Schokolade ja, gefüllte Schoki nein. Auch gebrauchte Bekleidung oder gebrauchtes Spielzeug dürfen nicht hinein. Der Zoll macht Stichproben. Wenn dabei etwas zu beanstanden wäre, wird der betreffende Lkw zurückgeschickt oder bekommt eine Hygienedusche. Dann wären die Süßigkeiten nicht mehr genießbar.

Es sind viele liebevoll gepackte Geschenke dabei. Da könne man sich schon jetzt die leuchtenden Kinderaugen vorstellen, so Marianne Wittig. Seit etwa fünf Jahren hilft sie, die Päckchen versandfertig zu machen. Von der Aktion hatte sie vorher schon gehört, sich aber wie die meisten Menschen in Weißwasser nicht sonderlich dafür interessiert. Seit sie das erste Mal beim Packen half, ist es ihr ein Bedürfnis, zum Gelingen der Aktion beizutragen.

Manche stecken auch Müll in die Päckchen

Mitunter aber macht es sie „hilflos und traurig“, was manche Menschen einpacken. In einem Rucksack tauchte eine gebrauchte, offenbar vergessene Slipeinlage auf, in einem Karton eine gebrauchte Zahnbürste, an welcher sich Spuren von Zahncreme befanden. Auch Sabine Zinkernagel macht das fassungslos. „Das hat etwas mit Menschenwürde zu tun“, findet sie. Osteuropa dürfe nicht der Müllabladeplatz für westeuropäischen Wohlstand sein, fügt sie hinzu. Die Frauen sind sich einig. „Entweder man will den Kindern eine Freude bereiten oder man lässt es“, sagen sie.

Wenn nicht ohnehin im Päckchen drin, versuchen sie, in jeden Karton ein kleines Kuscheltier hineinzulegen. Oder eine (neue) Zahnbürste mit Zahncreme. „Manche Kinder habe so etwas noch nie gesehen“, weiß Sabine Zinkernagel. Oder Schulhefte und Stifte. Sie erzählt von Kindern in Moldawien, die in ihre Schulhefte nur mit Bleistift schreiben, damit sie sie am Ende leer radieren und wieder neu beschreiben können. Angesichts von Tablet und Smartphone für nicht wenige Kinder in Deutschland eine seltsame Vorstellung.

Ob Corona Einfluss auf die Spendenbereitschaft hat, vermag die Pfarrersfrau nicht zu sagen. Höchstens dahingehend, dass Schulklassen in diesem Jahr nicht gesammelt haben. Auch in der Wohnstätte Christall der Diakonie St. Martin in Weißwasser, deren Bewohner sonst für „Weihnachten im Schuhkarton“ einkaufen waren, war das pandemiebedingt nicht möglich. Dafür wurde diesmal Geld gesammelt. 250 Euro kamen dabei zusammen.

Schuhkarton macht Sinn

Die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ gibt es seit mehr als 25 Jahren. Ein Engländer war nach der Wende in einem Waisenhaus in Rumänien und über die Zustände dort derart bestürzt, dass er nach seiner Rückkehr in die Heimat besagte Aktion ins Leben rief. Dabei ist der „Schuhkarton“ als Behältnis für Geschenke nicht von ungefähr gewählt. So ist die annähernd gleiche Größe der Päckchen garantiert. Womöglich würden sich sonst Kinder mit kleineren Päckchen gegenüber anderen mit größeren Kartons benachteiligt fühlen, selbst wenn es dem Inhalt nach keinen Grund dafür gebe. Zudem ist die Größe eines Schuhkartons auch aus praktischen Erwägungen heraus sinnvoll. Die Päckchen lassen sich besser in die großen Transportkartons stapeln – ohne unnötige Luft dazwischen. Seit einigen Jahren gibt es deshalb vorgefertigte Kartons in einer Standardgröße.

Hilfe größer als das Geschenk

In Weißwasser wurde anfangs in einer Apotheke für „Weihnachten im Schuhkarton“ gesammelt, die Päckchen zum Versand nach Spremberg weitergeleitet. Seit 2013 nahm sich die Familie von Pfarrer Martin Zinkernagel der Sache an. Bis Ende der Woche werden nun Päckchen gesichtet, bei Bedarf umgepackt, nach Mädchen oder Junge und Altersgruppe sortiert, beschriftet und zugeklebt. 13 Versandkartons sind bereits fix und fertig für den Transport. Viele weitere Päckchen warten noch darauf.

Sie alle werden nach Berlin gebracht, von wo aus sie zumeist per Lkw auf die Reise nach Osteuropa gehen. Aus unserer Region sind die Päckchen vor allem für Kinder in Moldawien bestimmt. Das Land habe ein durchschnittliches Bruttosozialprodukt, welches sogar unter dem mancher afrikanischer Länder liegt, sagt Sabine Zinkernagel. Vor Ort werden die Weihnachtspäckchen durch Sozialämter, Hilfsorganisationen wie das DRK oder Kirchengemeinden in Schulen, Kitas, Waisenhäusern, aber auch an Familien direkt in ihrem Zuhause verteilt. Wenn dann eine Großmutter in Moldawien, die für ihre Enkel sorgt – während die Eltern illegal und schlecht bezahlt in der Tomatenproduktion in Italien arbeiten – zwar Holz hinterm Haus hat, aber niemanden zum Hacken, schickt der Pastor, der das bei der Übergabe der Weihnachtspäckchen gesehen hat, Jungs aus der Kirchengemeinde zum Helfen vorbei. „So wird die Hilfe viel größer als nur das Geschenk“, weiß man auch in Weißwasser.

Die Pfarrersfrau erzählt von einer Freundin, die bei der Übergabe von Weihnachtspäckchen in einem Obdachlosenheim in Polen dabei war, wo auch Mütter mit Kindern vor ihren prügelnden Ehemännern Zuflucht fanden, weil es dort kein Frauenschutzhaus gab. „Was in dieser Situation ein kleines Kuscheltier bedeutet, können wahrscheinlich nur wenige Menschen nachempfinden.“ Für Sabine Zinkernagel ist es jedes Jahr aufs Neue Motivation.

Weil die aussortierten Sachen gespendet wurden, sei man verpflichtet, sie an Bedürftige zu geben. Einige Jahre wurden sie nach Zary gebracht. Jetzt gehen Lebensmittel an die Tafel, Bekleidung an Kleiderkammern, Spielzeug an bedürftige Familien.

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