„Ich habe noch viele Geschichten im Kopf“

Er entspricht so gar nicht dem Klischee des Schriftstellers und Autors, der mit Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und Romancier Erwin Strittmatter zu deren Lebenszeiten auf Du und Du war oder zu den engsten Freunden des Ex-Spiegel-Reporters Hans Halter gehörte; jener ältere breitschultrige Herr mit Lausbubenblick, breitem Lachen und einer Nase, die jeden Karikaturisten animiert. Seinen Ausbildungsberuf Dreher – ja, den nimmt man Heinz Willi Richter sofort ab.
Nicht aber, dass er sich abgeschottet und stets nachdenkend in der Welt der Literatur zu Hause fühlen und seine Werke am Computer schreiben könnte. Das tut er nämlich nicht. „Ich schreibe, wenn mir gerade was einfällt, altmodisch mit der Hand auf Papier, am Wohnzimmertisch sitzend, und meine Frau, die ehemalige Lehrerin, tippt es in den Computer“, verrät Richter, der sich keinesfalls als Vertreter der Welt der Literatur versteht. Seine Bücher und Geschichten seien ja nicht ausgedacht oder herausragend, sondern „aufgeschriebene Erlebnisse, Erinnerungen, Begebenheiten, gewürzt mit viel Ironie, Sarkasmus, aber auch Kritik“. Das entspreche seiner Art.
Acht Bücher im Eigenverlag
Diese Bodenständigkeit und spitzzüngige Ehrlichkeit sind es möglicherweise, weshalb die in den letzten zwei Jahrzehnten im Eigenverlag erschienenen acht Bücher von Heinz Willi Richter bei den Lesern der Region mit zu den beliebtesten Werken der Heimatliteratur wurden. Ladenhüter waren sie nämlich nie. Selbst die öffentlichen Lesungen, die Richter so liebt, waren stets gut besucht und Termine über Monate im Voraus gebucht. Doch mit der Pandemie gab es kaum noch Lesungen, was dem Autor wegen des einen und anderen größeren und kleineren gesundheitlichen Zipperleins irgendwie ganz recht zu sein scheint. „Lust darauf habe ich schon noch. So rund um Weißwasser. Das ist kein Problem und mit dem Rad machbar.“ Das Fahrrad hält den Weißwasseraner fit, ist seit seiner Augenkrankheit das Fortbewegungsmittel Nummer eins und stetig in Gebrauch. Noch vor wenigen Jahren fuhr er damit täglich bis nach Bad Muskau, um seiner dort wohnenden, hochbetagten Mutter, sie wurde 98 Jahre alt, zu helfen.
Ein Geschenk für die Mutter
Überhaupt war die alleinerziehende Mutter (ihr Mann war im Krieg gefallen) stets Vorbild für Heinz Willi Richter, prägte sein Leben und Wirken und war sogar der Grund, dass er einst mit dem Schreiben anfing. „Als meine Mutter ihren 97. Geburtstag hatte, überlegte ich lange, was ich ihr schenken könnte. Einmal träumte ich, ein Buch geschrieben zu haben. Das ließ mich nicht mehr los und so kam es zum eigenen Buch als Geschenk für meine Mutter. Da ich schon Rentner war, hatte ich ja Zeit genug und auch genug erlebt“, erinnert sich der inzwischen selbst hochbetagte Sohn an den Ursprung seiner „Schreiberei“. Das Buch nannte er „Ein jegliches hat seine Zeit“. Über Verwandte, Bekannte und Freunde wurde es schnell bekannt und über 3.000 Mal verkauft, bevor zwei weitere erfolgreiche Teile erschienen. Leser erfahren, wie in allen Büchern von Richter, viel Autobiografisches aus seiner Kinder- und Jugendzeit, die geprägt war von der Flucht mit Mutter und Bruder aus dem heutigen Łêknica nach Bad Muskau; von Entbehrungen, aber auch schönen und lustigen Erlebnissen. Insbesondere zur Weihnachtszeit, weshalb allein zu diesem Thema eine eigenständige dreiteilige Buchreihe entstand.
Und Richter gibt in seinen Werken viele Anekdoten preis: aus seiner Zeit als Funker bei der DDR-Armee – er nennt sie „VEB Gleichschritt“ –, vom Kraftwerks-Aufbau in Boxberg, den zwei Jahren Mitarbeit an einem durch die Wende nie fertig gewordenem Eisenerz-Verarbeitungswerk in der Ukraine, seinen letzten Arbeitsjahren vor der Rente in den Altbundesländern und vieles mehr. Sogar, dass er seinem schriftstellerischen Vorbild Erwin Strittmatter zu dessen 70. Geburtstag mal einen Cognacschwenker mit den Namen all seiner Bücher drauf zum Schulzenhof brachte, aber nicht den Mut hatte, in die Feier zu platzen. „Das ist nicht mein Ding“. Aber Heinz Willi Richter bekam als Dankeschön von Strittmatter einen Brief und ein signiertes Buch, was bis in die Ukraine geschickt werden musste, wo er gerade arbeitete. „So blieben wir eine lange Zeit in Kontakt. Die Briefe hätte der Strittmatter-Verein gerne. Aber ich behalte sie noch.“
Behalten hat Richter auch seine Korrespondenz mit Kurt Biedenkopf, der wie er an einem 28. Januar geboren wurde und weshalb man sich gegenseitig gratulierte. „Als er kein Ministerpräsident mehr war und trotzdem ein großes Geburtstagsfeuerwerk auf Kosten der Bürger bekam, da war ich doch dagegen und fand es unangebracht.“ Unangebracht, uneins und seltsam, meint Heinz Willi Richter, komme ihm nach 30 Jahren geeintem Deutschland noch immer vieles vor.
Noch unveröffentlicht
„Vorurteile lassen sich nur durch offenes Miteinander ausräumen. Wenn wir klug sind, lernen wir voneinander. Nur wann?“, lässt er seinen Gedanken freien Lauf in einer Geschichte, die er bei einem Schreibwettbewerb der Landeszentrale für Politische Bildung Sachsen einreichte und die in die (noch nicht veröffentlichte) Publikation „Geschafft. Geschichten vom Wandel“ aufgenommen wurde. Denn eins will Heinz Willi Richter noch nicht: Aufhören mit dem Schreiben. Bücher, das sei zu viel Arbeit, Aufwand und Belastung. Nicht aber Geschichten. „Es gibt schlechtere Hobbys. Und wer schreibt, kann nicht unglücklich sein“, begründet der umtriebige Rentner, dessen neueste Geschichte für ein deutsch-polnisch-tschechisches Kinderbuch genommen wurde, dessen Beiträge sich mehrsprachig rund um Ostern, Weihnachten und Karneval drehen.
Kinder und Enkel eifern ihm nach
„Ich mache jetzt überall ein bisschen mit, aber mit dem Alter wird es weniger.“ Dies trifft auch für seinen heimlichen Lieblingsbereich, die Kinder-- und Jugendliteratur, zu. „Die Rübe funktioniert noch und ich habe zig Geschichten im Kopf. Wäre ich jünger, würde ich Kinderbücher schreiben“, sagt der Weißwasseraner. Während seiner jahrelangen Teilnahme an Vorleseaktionen für Kinder, unter anderem in der Kita Schleife, „die haben mir vor zwei Jahren mit selbstgemalter Karte ganz lieb zum 80. Geburtstag gratuliert“, worüber ich sehr lachen musste“, habe er nämlich so manches schlechte Buch vorlesen müssen. „Da würde ich vieles anders machen.“
Doch mit Büchern ist ja nun Schluss. Abgesehen davon finden sich in der eigenen Familie bereits Nachfolger. „Meine Tochter hat es auch drauf, prima zu schreiben, selbst meine Enkelkinder.“ Der 13-jährige Julius, erzählt der Opa stolz, habe schon eines seiner Gedichte im Buch „Mitten in diesem rasenden Chaos finde ich mich wieder“ veröffentlichen können. Entstanden in Zusammenarbeit von Fürst-Pückler-Gymnasium Cottbus und Brandenburgischem Landesmuseum für moderne Kunst.
Vom anderen Enkel, Oskar (12), seien schon Geschichten in der Sächsischen Zeitung zu lesen gewesen. „So was freut mich natürlich riesig. Aber nach seiner Meinung hat den Opa noch keiner gefragt“. Heute, zum 82. Geburtstag, ist das anders. Da stehen der Familienmensch und seine Wünsche im Mittelpunkt. Und so gibt es eine kleine Feier, zu Hause bei der Tochter, im engsten Familien- und Freundeskreis. „Mehr brauche ich nicht. Ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden“, bekennt er.