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Die sorbische Sprache wieder beleben

Bis zum Jahr 2100 sollen 100.000 Menschen in der Lausitz die Sprache beherrschen. Das ist das ehrgeizige Ziel der Domowina. Mit dem Strukturwandel-Projekt Zari sind erste Schritte getan.

Von Andreas Kirschke
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Der Strukturwandel ist eine große Chance für die Sorben, so Domowina-Geschäftsführerin Judith Scholze (l.). Zum Zari-Projektteam gehören unter anderem Diana Pawlik (v.l.), Julian Nitzsche, Sonja Rehor und Dr. Cordula Ratajczak.
Der Strukturwandel ist eine große Chance für die Sorben, so Domowina-Geschäftsführerin Judith Scholze (l.). Zum Zari-Projektteam gehören unter anderem Diana Pawlik (v.l.), Julian Nitzsche, Sonja Rehor und Dr. Cordula Ratajczak. © Andreas Kirschke

Hochgesteckt und ambitioniert ist das Ziel. Die Abkürzung Zari steht für „Za regionalnu identitu“ – regionale Identität. Mit dem Strukturwandel-Projekt Zari will die Domowina als Träger die sorbische Sprache langfristig wieder beleben und neu fördern. Ziel sind 100.000 Sorbisch-Sprechende im Jahr 2100 lausitzweit. Schritt für Schritt soll es erreicht werden.

Das Projekt läuft zunächst bis 2026 und soll dann bis 2038 weitergehen. Förderung kommt aus dem Programm „Sorbische Sprache und Kultur im Strukturwandel“ für Projekte im Freistaat Sachsen. Die Stiftung für das sorbische Volk reicht diese Mittel des Bundesministeriums für Inneres und Heimat aus. „Wir sind in der Pilotphase. In drei Jahren soll der Aktionsplan stehen. Das Projekt zielt auf verbindliche Sprachrevitalisierung. 100.000 Sprecher in 80 Jahren zu erreichen, ist ein durchaus realistisches Ziel“, unterstrich Judith Scholze, Geschäftsführerin der Domowina, in Uhyst bei der Vorstellung des Projektes nach einem Jahr Anlaufphase. Mit vielen Partnern geht der sorbische Dachverband das Gesamtprojekt an.

Kreative Sprachmotivatoren

„Wir wollen erreichen, dass es in der ganzen Lausitz wieder normal sein wird, Sorbisch zu sprechen. Dass man im Alltag ganz natürlich auch auf Sorbisch grüßt. Dass man im Gespräch nicht gleich ins Deutsche wechselt, wenn deutschsprachige Personen anwesend sind. Und dass immer mehr Menschen, Dörfer, Städte und Gebiete Sorbisch als ihre Sprache wiederentdecken“, so Projektkoordinatorin Diana Pawlik. Flächendeckend wirken bereits fünf Sprachmotivatoren. Sie sollen ein Netzwerk Sorbisch sprechender Menschen aufbauen. Gezielt und kreativ sollen sie Vereine und Kulturgruppen unterstützen. Für das Sorbisch-Lernen sollen sie sensibilisieren. Frank Knobloch ist für den Bereich Lohsa, Spreetal und Uhyst zuständig. Juliana Kaulfürst kümmert sich um die Gegend Schleife und Nochten. Und Maria Scholze verantwortet den Bereich Hoyerswerda, Wittichenau, Elsterheide. Die Sprachmotivatoren sind Ermutiger und Kreativ-Kräfte.

Lucian Kaulfürst gilt als Vorreiter: Bereits vor dem Projekt Zari begann er 2019 auf Honorarbasis. Gezielt ging er vor allem auf Ältere zu. „Ich spürte: Viele wollen sich bekennen und wieder beteiligen. Doch sie brauchen Begleitung. Ihnen fehlt die Verbindung“, schilderte er jetzt in Uhyst. Lucian Kaulfürst möchte einen Verein gründen, um engagierte Sorben zu ermutigen und zusammenzuführen.

Seit September 2022 ist Maria Scholze Sprachmotivatorin. 26 Jahre lebte sie zuvor in Frankreich. In Nancy war sie Lehrerin für Deutsch und Kunst. Ihren Erfahrungsschatz will die sorbische Katholikin und Muttersprachlerin ihrer Heimat zurückgeben. Während der Zeit im Ausland bewahrte sie sich nicht nur ihre Muttersprache. Sie konnte sie sogar verbessern und erweitern. Ihre Kinder geben die Sprache heute ihrerseits weiter. „Natürlich war meine neue Arbeit als Sprachmotivatorin ein Sprung ins kalte Wasser“, räumte Maria Scholze ein. „Doch ich kann viel Kreativität, Erfahrung und Ideen einbringen.“ Im Witaj-Kindergarten Pumpot Dörgenhausen in Trägerschaft des Sorbischen Schulvereins geht sie jetzt auf die Eltern zu. Bis Weihnachten können sie einmal wöchentlich mit ihr Sorbisch lernen. In Hoyerswerda und in Wittichenau lädt sie außerdem regelmäßig zur Werkstatt „Kunst und Sprache“ ein.

Wissenschaftlicher Aktionsplan

Das Projekt Zari soll – außer dem Ausbau von Sorbisch-Sprachkursen – vor allem intensivere Lehrangebote und neue kreative Lernmaterialien entwickeln. Diesen Bereich verantwortet im Projekt der wissenschaftliche Mitarbeiter Julian Nitzsche. Die Sprachmotivatoren erstellen zudem eine Bestandsaufnahme in ihrem jeweiligen Gebiet. Sie leiten diese weiter an die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Cordula Ratajczak und Professor Dr. Nicole Dołowy-Rybińska. Beide sollen bis Ende 2024 einen Aktionsplan erstellen. Eine Studie zur ethnologischen Vitalität in der Lausitz soll entstehen. Eine Doktorarbeit untersucht obersorbische Sprachräume in den Medien. Der erfahrene Sprachwissenschaftler Professor Dr. Goro Christoph Kimura erstellt eine Analyse der Akzeptanz der Zweisprachigkeit und Mehrsprachigkeit in der Lausitz. „All diese Erkenntnisse fließen in den Aktionsplan ein“, sagte Cordula Ratajczak „Es gibt kein Patentrezept für die Revitalisierung der Sprache. Die Lage jeder Minderheit ist anders. Auch die Situation in der Lausitz ist sehr verschieden, in Uhyst zum Beispiel anders als in Hochkirch“, erklärte sie. Sie selbst erstellt im Projekt vielfältige Sprach-Biographien. Dafür befragt sie gezielt (noch) Sorbisch-Sprechende nach ihren Wurzeln, Erfahrungen, Erkenntnissen und Wünschen. Oft sind das sehr lange, intensive Gespräche. „Und oft spüre ich, dass ihnen das Gespräch sehr wichtig ist“, verdeutlichte die Wissenschaftlerin.

Netzwerk für Kultur

Ergänzend zur Sprache zielt das Projekt Zari auf die Kultur. Entstehen soll ein Netzwerk für sorbische Volkskultur, Kunst und Vereinsmanagement. Fachlich geschulte Kulturvermittler sollen Laien und Profis verbinden und die Ehrenamtler vor Ort unterstützen. Den Aufbau dieses regionalen Managements verantwortet Sonja Rehor, die aus jahrelanger eigener praktischer Erfahrung schöpfen kann. Seit 2010 ist sie in der Pfarrgemeinde Wittichenau ehrenamtliche Vorsitzende des sorbischen katholischen Vereins Bratrowstwo (Brüderlichkeit). Hauptamtlich war sie zuletzt Regionalsprecherin der Domowina im Bereich Hoyerswerda. „Dabei habe ich gemerkt, dass starke Hilfe gerade in den Dörfern gebraucht wird“, sagte sie jetzt zur Projektvorstellung in Uhyst. Unterstützung bekommt sie ab Mitte November durch Kulturvermittlerin Jadwiga Brützke. Das neue Netzwerk sei Chance und Ermutigung. Es soll Sprachräume schaffen und Kontakte vermitteln, etwa wenn eine Tanzgruppe dringend Unterstützung braucht.