Weißwasser
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Jubiläumsjahr hinter grauen Wänden?

Weißwasser ist besonders und soll es bleiben. Entdeckungen und Gedanken zu einer Stadt zwischen den Welten.

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Unser Autor macht sich Gedanken über die andere Seite des Bahnhofs von Weißwasser - und was das über die Stadt sagen könnte.
Unser Autor macht sich Gedanken über die andere Seite des Bahnhofs von Weißwasser - und was das über die Stadt sagen könnte. © Archiv

Weißwasser. Neulich stand ich am Bahnhof, dessen Antlitz im neuen Jahr erheblich schmucker werden wird, und betrachtete beim Warten die gegenüberliegende Seite. Graue Fassaden, Tanks, es pfeift und rauscht. So zeigt es sich von dieser Seite, unser weltweit operierendes Glaswerk in bester und traditionsreicher City-Lage. Ankommende oder Reisende, die es nicht wissen, können auch meinen, dort wird Zement gestampft oder Müll recycelt, aber nicht prämiertes Glas produziert. Kein Schriftzug, kein Logo. Absolute Rückseite.

Dabei bekennt sich das Unternehmen offensichtlich zum Standort, wirbt ja selbst mit den 135 Jahren, die in diesem Jahr gefeiert werden können. Gläser, „born in fire“ und „made in Weisswasser“. Das klingt nach Stolz und nach Adresse! Darauf könnten auch wir stolz sein, wenn wir da so gegenüber am Bahnhof stehen.

Vor 135 Jahren war es „unser Joseph“, Joseph Schweig, der am 6. November 1889 an gleicher Stelle die „Oberlausitzer Glashüttenwerke J. Schweig & Co.“ gründete. Zehn Jahre danach, am 6. Juli 1899, gründete er ein weiteres, das dann bereits zehnte und gleichzeitig größte Glaswerk Weißwassers, die „Neuen Oberlausitzer Glashüttenwerke J. Schweig & Co.“ – das spätere OSRAM-Werk, dann Spezialglaswerk „Einheit“ und heute „Telux“. Auch dieser Traditionsstandort feiert also dieses Jahr ein Jubiläum – das 125.
Was beide Standorte unterscheidet: mindestens die historische Bausubstanz. Und damit wohl auch Adresswirkung und Charakter. Dabei sind die beiden Werke die letzten großen Zeugnisse der im wahrsten Sinne des Wortes großartigen Glasgeschichte dieser Stadt.
Für viele Weißwasseraner war und ist das Kapitel „Glasmacherstadt“ lebendiges Selbstbewusstsein und – leider allmählich verblassender - Stolz. Hier wirkten namhafte Glasmacher und Designer, hier wurden Fachleute ausgebildet, hier durchdrang das Glas den Alltag der Leute.

Viele Spuren wurden in den letzten 30 Jahren verwischt. Darum wäre es umso erfreulicher, wenn man den verbliebenen Standorten ihre Verbundenheit nicht nur im Internet, sondern auch vor Ort ansehen könnte. Ein klein wenig mehr Engagement, das wär‘ leiwand, wie man so schön in Österreich sagt. Wobei wohl niemand einen zweiten Joseph Schweig, der so viel – mehr – für unsere Stadt getan hat, erwarten würde. Sein Schaffen wurde erst wieder bei seinem 100. Todestag am 1. September 2023 gewürdigt.

Nein, allein im Herkunftsland des Glaskonzerns schmücken sich kleinere und größere Betriebe mit Ortsverbundenheit und Identität mittels ansehnlicher, moderner Architektur und verkünden damit Modernität, Zukunftsgeist und lokale Verankerung. Vor über hundert Jahren galt für jedes Werk, das etwas auf sich hielt, repräsentatives Outfit als selbstverständlich. Und auch wenn es in den vergangenen Jahren nicht den Anschein hatte, aber die vermeintliche Rückseite des Glaswerks zum Bahnhof hin wird in ihrer einfältigen Optik zum echten Problem, wenn der frisch sanierte Bahnhof erst mal zum gut frequentierten Postkartenmotiv geworden sein wird! Wie sähe das denn aus? Wie Tag und Nacht in einem Bild.

Wobei wohl auch darin ein bisschen Weißwasseraner Tradition liegt: Es darf einfach nicht zu schön sein, sonst gefällt uns diese neckische Stadt am Ende noch!

Unser Autor Gregor Schneider ist gebürtiger Weißwasseraner und Rückkehrer. Der Stadtplaner begleitet aktiv die Transformation der Heimatregion. Hier äußert er seine privaten Gedanken zum Stadtgeschehen.