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Mulkwitzer entsetzt über Investorenpläne

Für das 500-Millionen-Projekt mit einem ökologischen Kraftwerk soll zum Teil 120 Jahre alter Wald weichen. „Nicht mit uns!“, sagen die Naturschützer.

Von Constanze Knappe
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Gegen die geplante Bebauung der Hochkippen mit Solaranlagen hat eine Bürgerinitiative 2021 mobil gemacht. Erneute Protestaktionen soll es 2022 voraussichtlich nicht geben. Man behalte sich aber rechtliche Schritte vor, heißt es.
Gegen die geplante Bebauung der Hochkippen mit Solaranlagen hat eine Bürgerinitiative 2021 mobil gemacht. Erneute Protestaktionen soll es 2022 voraussichtlich nicht geben. Man behalte sich aber rechtliche Schritte vor, heißt es. © Constanze Knappe

Schleife träumt von der Energiewende und dem großen Geld. Dass eine Investorengruppe tief in die Tasche greifen möchte, sorgt weit über den Nordkreis hinaus für Aufsehen – und keineswegs nur für Zustimmung.

Vorgesehen sind ein Ökologisches Kraftwerk auf der Basis von Holz, die Herstellung von patentierten Wärmespeichern mit Salz, die Aufstellung von 30 Windrädern bis hin zur Nutzung der regenerativen Energien für die Landwirtschaft in einem Organic Garten. Geplant sind 150 industrielle Arbeitsplätze und weitere in den anderen Bereichen, alles in allem zwischen 250 und 300 Jobs. Fertig sein soll das Ganze bis 2029, in einzelnen Segmenten auch schon eher.

Die beabsichtigte Gesamtleistung von einem Terrawatt ist eine ordentliche Hausnummer. Ebenso wie die Investitionssumme. Rund 500 Millionen Euro wollen sich das die Investoren kosten lassen (TAGEBLATT berichtete). An der Arbeitsgemeinschaft sind die enercity Erneuerbare Energien GmbH, Prolignis AG und BME Dr. Golbs und Partner GmbH sowie die MRplan Group beteiligt. Ebenfalls mit im Boot ist die Forst Rohne GmbH & Co. KG, welcher die Flächen gehören.

Für Schleife ist es „ein klassisches Strukturwandelprojekt“, wie es Bürgermeister Jörg Funda (CDU) bezeichnet – und die große Chance, als Gemeinde in der Energieregion endlich an der Stromerzeugung teilhaben zu können. Es würden begehrte Steuereinnahmen ins Gemeindesäckel fließen. Die Bürger hätten aber auch ganz direkt etwas davon – in Form niedriger Preise über ein Bürgerstrommodell.

Dass die Mehrheit des Gemeinderats die Begleitung des Vorhabens befürwortet hat, rief die Interessengemeinschaft (IG) Mulkwitzer Hochkippen auf den Plan. Die Bürgerinitiative hatte schon im vorigen Jahr gegen die Beschlüsse zur Aufstellung der Bebauungspläne für Solaranlagen auf den Hochkippen bei Mulkwitz, an der Bahnstrecke bei Schleife und am Umspannwerk mobil gemacht. Über die neuerlichen Investorenpläne sind die etwa 50 Mitstreiter entsetzt. Nun gehe es nicht mehr nur um die Flächen für die zuvor anvisierten vier Solaranlagen. Das Großprojekt umfasst zusätzliche 870 Hektar, also zusammen über 1.000 Hektar. „Dafür soll Wald abgeholzt werden, teilweise ein 120 Jahre alter Bestand“, macht Jakubik seinem Ärger Luft. „Wir reden von produzierender Industrie und einem obskuren Kraftwerk, von dem keiner weiß, was es darstellen soll“, so der IG-Mitbegründer.

"Lausitz nicht schon wieder abholzen!"

Unterstützt wird die IG von der Regionalgruppe Weißwasser des Naturschutzbundes (Nabu). „Holz gehört zwar zu den erneuerbaren Energieträgern, weil es nachwächst, aber es ist illusorisch, damit unseren Energiehunger stillen zu wollen“, ergänzt deren Leiter Christian Hoffmann. Auch Uwe Bartholomäus ist das Großprojekt suspekt. „Wenn sie den Wald nehmen, um das Holz zu verfeuern, ist das Frevel an der Natur“, betont er. Die Naturschützer sind sich einig: „Nicht mit uns!“

Auf den Hochkippen bei Mulkwitz habe man seit den 70er-Jahren mehrfach Anläufe unternommen, um einen halbwegs normalen Wald hinzukriegen, erzählt Bartholomäus, der selber Bergbauingenieur war und als solcher auch die Planungsprozesse kennt. 1995 sei das Ziel erreicht gewesen. Seither verhindert der Wald Erosionen. Umso größer ist sein Unverständnis, dass da jetzt wieder eingegriffen werden soll. „Dass die Lausitz abgeholzt wird, das hatten wir schon mal“, schüttelt er den Kopf.

Auf den Hochkippen und im umliegenden Waldbestand ist die Kiefer eine der dominanten Baumarten. „Unsere Waldvorstellung ist zwar eine andere, als es die Forsten hier hergeben. Aber es ist der Lebensraum für Tiere und Pflanzen“, sagt Christian Hoffmann. Als Beispiele benennt Daniel Jakubik das Neustädter und das Spremberger Wolfsrudel, die hier inzwischen beheimatet sind. Der auf der Roten Liste der bedrohten Arten geführte Seeadler nistet gerade. Es seien nur zwei der geschützten Arten, die die Naturschützer auf den Hochkippen schon beobachtet haben.

Nach Recherchen der Bürgerinitiative wäre das für das Großprojekt geplante Gelände deutschlandweit die größte Fläche, die für Fotovoltaik und die Energiewende gerodet werden soll. Aus Sicht von Jakubik ein Skandal. Die Einspruchsverfahren zu den Plänen auf der Hochkippe seien „noch nicht einmal abgeschlossen, da beginnt schon der nächste gigantische Naturvernichtungsfeldzug“, sagt er. 27 Einspruchsgründe habe man geltend gemacht.

Die Solizer Invest GmbH & Co. KG, deren geplante Solaranlagen auf der Westkippen, an der Bahnstrecke Schleife und am Umspannwerk in das Großprojekt eingebunden werden sollen, hat als Ausgleich dafür einen Umbau des Waldes vorgeschlagen. „Das würde mit den neuen Planungen hinfällig. Das sind witzigerweise genau die Flächen, die jetzt wegsollen“, beschreibt Daniel Jakubik. Das sei paradox. Gegen Windräder habe keiner was. Aber die Pläne in ihrer Gesamtheit würden „eine Komplettzerstörung des Waldes“ bedeuten.

Forderung nach politischer Entscheidung

Wald sei tabu gewesen, bis Tesla nach Grünheide kam, sagt er bitter. Ähnliches befürchten die Naturschützer nun für die Hochkippen. Eine Fläche von etwa 900 Fußballfeldern in unzerschnittenem Wald und Heideland soll in ein Industriegebiet umgewandelt werden. Christian Hoffmann hält die Investorenpläne für nicht genehmigungsfähig. „Rein planerisch wären unheimlich viele Ausnahmegenehmigungen nötig. Was hier passieren soll, muss politisch entschieden werden“, begründet er.
„Wir stellen uns ja nicht grundsätzlich gegen neue Arbeitsplätze und großflächige Fotovoltaikanlagen“, erklären die drei Männer übereinstimmend. Aber dafür den Wald auf der Hochkippe zu opfern, das kommt nicht infrage. „Der Wald darf nicht angetastet werden“, bekräftigt Jakubik.

Unter dem Motto „Fotovoltaik ja, aber nicht dort“, hatte die Bürgerinitiative bereits im Sommer vorigen Jahres mobil gemacht. Daran hält man fest. Industriearbeitsplätze würden ins Gewerbegebiet Schleife gehören und auch für Fotovoltaikanlagen gebe es andere Standorte; etwa die großen Flächen der Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) in Rohne und Mulkwitz.

Erneute Protestaktionen wie im vorigen Jahr – etwa vor dem Sitzungssaal des Gemeinderates – wird es nach aktuellem Stand der Dinge wohl nicht geben. „Wir haben schon so viel Freizeit investiert, da ist ein bissel die Luft raus“, räumt Jakubik ein. Aber man werde sich rechtliche Schritte vorbehalten, womöglich über die großen Verbände den Klageweg beschreiten.