Wie Profis von außen Weißwasser einschätzen

Sport und Glas, das sind die Alleinstellungsmerkmale von Weißwasser. In der Stadt gibt es tolle Sport- und Freizeitanlagen, doch die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum sei ausbaufähig. Neben der Vielfalt der Wohnformen werde es bis 2027 weitere Rückbaumaßnahmen geben, seien innovative und temporäre Wohnangebote gefragt. Die soziale Infrastruktur zeichnet sich durch die Vielfalt der Träger aus. Die Innenstadt wird kaum der Funktion als urbanes Zentrum gerecht, was nicht zuletzt am Leerstand entlang wichtiger Straßen liegt. Die Bahnbrücke ist ein Nadelöhr. Der Strukturwandel ist eine Chance, aber auch eine große Umwälzung. Es gibt zu wenig Klein- und mittelständische Betriebe. Man kommt von Weißwasser gut nach Berlin, Dresden oder Görlitz, nicht aber nach Bautzen oder Hoyerswerda. Es gibt keinen direkten Autobahnanschluss, das Radwegenetz ist ausbaufähig. Zwar bestehen in der Stadt 180 Vereine mit dem übergeordneten Stadtverein, doch deren Zusammenarbeit beschränke sich zumeist auf den Sport. Und auch die Vernetzung der Stadt mit den Umlandgemeinden könnte intensiver sein.
Bestandsaufnahme von außen
Das sind die wichtigsten Punkte einer Analyse, wie Berliner Experten für Stadtentwicklung Weißwasser betrachten. „Mit dem Blick von außen“, wie es Dr. Cordelia Polinna, Geschäftsführerin der Urban Catalyst GmbH, am Montag beschrieb. Das meiste davon dürfte den Weißwasseranern nicht fremd sein. Doch diese Bestandsaufnahme ist nur ein erster Schritt. „Um sich strukturiert damit auseinanderzusetzen, wie die Zukunft aussehen soll und welche Weichen man dafür stellen muss“, so Dr. Polinna. Auf Grundlage der für fünf Schlüsselthemen ermittelten Daten sollen Rückschlüsse gezogen und Erkenntnisse für die weitere Entwicklung gewonnen werden.Wiederfinden soll sich das Ganze in einem Integrierten Stadtentwicklungskonzept (Insek). „Damit wir einen Plan haben für die nächsten 15 Jahre“, wie es Oberbürgermeister Torsten Pötzsch (Klartext) bezeichnete. Zudem sei ein solches Insek erforderlich, um künftig Fördermittel beantragen zu können. „Es ist aber viel mehr als das“, ergänzte Baureferatsleiterin Dorit Baumeister. „Wir wollen es als Leitfaden für die Stadtverwaltung aufrufen und das ist wirklich notwendig“, bekräftigte sie.
Weißwasser als Modellstadt
Die Hoyerswerdaerin hat bald Jahrestag in Weißwasser. Ende Februar 2021 übernahm sie ihr Amt in der hiesigen Stadtverwaltung. Zuvor befasste sie sich über 30 Jahre mit Herausforderungen schrumpfender Städte. „Ein wichtiger Background“, wie sie jetzt betonte. Dabei käme es nicht allein auf den Geldfluss an. „Das wichtigste Potenzial sind die Menschen, die hier leben. Das sollten wir frech nutzen – kreativ, innovativ und aus uns heraus“, erklärte sie. „Ein Trick für schrumpfende Städte ist, die Akteure in die Innenstadt zu holen und zu vernetzen“, so Dorit Baumeister weiter. Erst recht, wenn es um die Zukunft geht.
Wie wird Weißwasser in 15 Jahren aussehen? Diese Frage stellt sich nicht nur angesichts des Strukturwandels, sondern vor allem wegen der Herausforderungen, trotz anhaltender Schrumpfung die Stadt zukunftsfähig zu machen mit einer hohen Lebensqualität für ihre Bürger. Weißwasser mit seiner Industriegeschichte will Modellstadt werden. Dafür braucht es jenes Insek als Leitfaden. Auf die Ausschreibung hin hatten sich elf Büros beworben. Nach einem Beschluss des Stadtrates 2021 ging der Auftrag an die Urban Catalyst GmbH. Das Unternehmen ist bereits an der Erarbeitung des „Zukunftsbildes Lausitz“ beteiligt.
Seit dem Herbst läuft die Bestandsaufnahme. Mehrfach waren die UC-Stadtplaner in Weißwasser. „Wir haben uns alle schon ein bisschen in die Stadt verliebt“, erklärte Geschäftsführerin Dr. Cordelia Polinna. „Die niedliche Altstadt in Weißwasser gibt es nicht“, betonte sie. Stattdessen eine weiträumige Innenstadtlage, zusammenhängende Brachflächen mit Entwicklungspotenzial, Teiche als kleine Oasen im Norden und eben die Sportanlagen im Süden, zählte sie weiter auf. Für die Analyse sei man bereits auf Interviewtour bei den Protagonisten der Stadt gewesen. Gern hätte man schon die Bürger beteiligt, was wegen der Pandemie aber nicht möglich war. Nach mehreren Videokonferenzen hoffe man, „jetzt öfter kommen zu können“, hieß es.
Am Montag nun wurde der bisherige Stand der Dinge unter dem Motto „Weißwasser im Fitness-Check“ vorgestellt. Zu dieser (coronakonformen) Akteurswerkstatt in der Telux hatte die Stadtverwaltung 50 Einladungen verschickt. 35 Bürger folgten ihr. Es war einmal mehr ein Querschnitt der Stadtgesellschaft.
Stadt verkauft sich unter Wert
Gekommen waren all jene, die sich bekanntermaßen ohnehin weit über das berufliche Maß hinaus für die Entwicklung von Weißwasser engagieren, oder dies aus einem inneren Antrieb heraus ehrenamtlich tun. Dr. Polinna fand die Zahl der Teilnehmer „sehr cool“. So viele hatte sie nach eigener Aussage gar nicht erwartet.„Weißwasser hat tolle Angebote. Aber die Stadt verkauft sich unter Wert“, appellierte sie wenig später. OB Torsten Pötzsch sprach im Hinblick auf die Ansiedlung weiterer Unternehmen der Glasindustrie von einer Willkommenskultur. „Menschen, die hier etwas bewegen möchten, sollen empfinden, dass sie hier gewollt sind, dass ihnen die Türen offenstehen“, sagte er. Aber auch: „In der Willkommenskultur haben wir noch Nachholebedarf.“
Sebastian Krüger von der Telux, der selber ein Rückkehrer ist, warf ein, dass mancher nach einer gewissen Zeit dann doch wieder seine Koffer packe, weil es ihm „in der Enge der Kleinstadt dann doch zu eng“ sei. Andererseits sei die Generation nach uns schon lange da. „Mit unseren Erfahrungen können wir ihnen den Weg bereiten“, sagte er.
Mehr Bürgerbeteiligung erwünscht
Es habe schon etliche Projekte gegeben, erinnerte Frank Schwarzkopf. Der Chef des Stadtvereins hätte sich so manches Mal mehr Nachhaltigkeit gewünscht. Nach seiner Aussage sei jeder Dritte in der Stadt 65 Jahre alt. „Das sollte nicht vergessen werden. Die Menschen haben noch mindestens 20 Jahre zu leben und sie wollen sich einbringen“, erklärte er. Schwarzkopf verwies auf das Engagement von Vereinen. Ohne die würde es Waldeisenbahn, Tierpark, Glasmuseum, Stadtpavillon und anderes nicht geben. Erfolgreich sei man immer dann gewesen, wenn man „innovativ gedacht, authentisch agiert und dabei die Tradition nicht vergesse“ habe.
Nach der Podiumsdiskussion befasste man sich in Gruppen mit den Ergebnissen der Analyse zu fünf Schlüsselthemen. Die Anregungen aus den Gruppen werden von Urban Catalyst weiter bearbeitet. Darauf aufbauend ist für April/Mai eine Zukunftswerkstatt vorgesehen, im Herbst die Abschlussveranstaltung. Als Plattform für eine größere Bürgerbeteiligung wird eine Website freigeschaltet. Dort sollen Ergebnisse der Analyse, der Statusbericht, Karten und andere Informationen zu finden sein.