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Booster für die Wirtschaft im Wandel

Aus einem Fonds der EU soll die Wertschöpfung im Kohleausstieg in der Lausitz mit 375 Millionen Euro gepusht werden. So bekommen Firmen Geld.

Von Constanze Knappe
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Mit 375 Millionen Euro aus dem Just Transition Fund (JTF) der Europäischen Union soll der Strukturwandel im sächsischen Teil des Lausitzer Reviers gepusht werden. In Weißwasser stellten am Montag Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (M.) und Wirtsc
Mit 375 Millionen Euro aus dem Just Transition Fund (JTF) der Europäischen Union soll der Strukturwandel im sächsischen Teil des Lausitzer Reviers gepusht werden. In Weißwasser stellten am Montag Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (M.) und Wirtsc © Foto: Constanze Knappe

Geld aus dem Kohleausstiegstopf direkt an Unternehmen, das war bislang ausgeschlossen. Jetzt aber sollen auch Firmen im Strukturwandelprozess in den Genuss einer Finanzspritze kommen. Dafür fließen bis 2027 aus dem Just Transition Fund (JTF) der Europäischen Union 645 Millionen Euro nach Sachsen.

Aus Sicht von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ist diese Unternehmensförderung „eine wichtige Botschaft“. Denn bei der Aufteilung der Strukturwandelgelder sei nicht sofort sichtbar, inwieweit das eigentliche Ziel damit finanziert wird, Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen, sagte er am Montag in Weißwasser. Und Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) fasste die Förderung, die es bislang noch nicht gab, mit den Worten zusammen: „Das schließt großartig Lücken“. Er erklärte: „Das Geld aus dem JTF soll ein Booster für die Wertschöpfung werden. Ohne Investitionen direkt in die Wirtschaft wird der Strukturwandel nicht gelingen.“ Insofern sei es etwas Besonderes. Der JTF ist eine dringende und notwendige Ergänzung bestehender Förderinstrumente wie etwa den Europäischen Sozialfonds (ESF), EFRE und andere zur wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung und zur sozialen Integration in den Regionen.

Mitte Oktober kam das endgültige grüne Licht aus Brüssel. Die Eckpunkte der neuen EU-Förderung stellten die Staatsminister am Montag vor 120 Interessenten in der Telux in Weißwasser vor. Dass der Freistaat den offiziellen Startschuss in der Glasmacherstadt vollzog und dazu „mit dem wesentlichen Teil der Staatsregierung “ in die Provinz kam, freute nicht nur den Görlitzer Landrat. „Es ist die Region, die am betroffensten ist. Über Kernbetroffenheit kann man streiten, aber der Raum um Weißwasser ist am meisten betroffen“, betonte Dr. Stephan Meyer (CDU). Mit dem JTF könne „das, was wir als Geburtsfehler der Förderung von Bundesseite erleben, ein Stück weit korrigiert werden“.

Direkte Förderung des Mittelstands

Wörtlich bedeutet JTF Fonds für einen gerechten Übergang. Bis 2027 gibt die EU aus diesem Topf 19 Milliarden Euro in viele Regionen, um den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu unterstützen. Als erster Kontinent wolle Europa bis 2050 klimaneutral sein, so Marc Lemaitre. Der Generaldirektor für Regionalentwicklung bei der EU-Kommission war der Konferenz in Weißwasser per Video zugeschaltet. Gedacht sind die EU-Gelder für den Ausstieg aus der Kohleverstromung, um die Folgen des Strukturwandels abzufedern. „Damit Anker-Unternehmen in den Revieren verbleiben, Neuansiedlungen erleichtert und vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) als Rückgrat der Wirtschaft gefördert werden“, gab Lemaitre die Zielrichtung vor.

Die Summen, die da durch die Hafenstube der Telux schwirrten, sind schon gewaltig. Aus dem JTF-Topf entfallen auf Deutschland 2,4 Milliarden, davon ist ein reichliches Viertel für Sachsen bestimmt. Nach den Plänen der Staatsregierung soll dieses Geld wie folgt verteilt werden: 375 Millionen Euro bekommt das Lausitzer Revier, 200 Millionen das Mitteldeutsche Revier sowie 70 Millionen die Stadt Chemnitz. Letztere habe man nach den Worten von Staatsminister Schmidt „in die Kulisse aufgenommen, weil dort das größte Kohlekraftwerk außerhalb der Reviere steht und bald geschlossen wird“.

Die Förderung werde durch den Freistaat und durch Drittmittel kofinanziert, so dass in Sachsen bis 2027 alles in allem über eine Milliarde Euro „für die aktive Wandelpolitik“ zur Verfügung stehen. Das sei auch eine Investition in Vertrauen, betonte Dulig. Die Menschen hier im Lausitzer Revier hätten einerseits viel Erfahrung mit Umbrüchen, die er als Transformationskompetenz bezeichnete. Andererseits gebe es eine Transformationsmüdigkeit und Misstrauen. „Um in Vertrauen zu investieren, müssen wir ins Machen kommen“, erklärte er.

Wie die beiden Staatsminister in Aussicht stellten, sollen von den 645 Millionen 400 direkt an Unternehmen zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zum Erhalt von Arbeitsplätzen gehen. Der Großteil davon an KMU, wie es hieß. Abgesehen davon werde es auch Einzelförderungen für große Unternehmen – zu einer geringeren Förderquote – geben. Dies werde beim Staatsministerium für Regionalentwicklung angedockt. Man wolle, dass sich Großunternehmen wie hier die Leag weiter engagieren. Sie müssten ja auch selber weiter investieren, um ihre Leute zu halten, die sie noch bis 2038 brauchen.

Sachsen setzt fünf Schwerpunkte

Die Transformation gehe ja weit über den Strukturwandel hinaus. Sie beinhalte ebenso den Anspruch, unabhängiger von Energie und Lieferketten zu werden. Weil Erwartungshaltung und Wünsche groß sind, hat die Staatsregierung fünf Schwerpunkte definiert: Wirtschaftsförderung, Energie- und Rohstoffgewinnung, Fachkräftesicherung, nachhaltigkeitsbezogene Forschung sowie strategische Einzelvorhaben zur Erhöhung der Standortattraktivität, etwa zum Wassermanagement. Die Schwerpunkte seien noch vielfältig untersetzt, etwa als Technologieförderung, zur Erweiterung der Produktion, Eröffnung neuer Betriebsteile, Gründungsinitiativen, Darlehensprogramme und Anderes mehr.

Ansprechpartner seien aber nicht nur Unternehmen selbst, sondern beispielsweise auch Kommunen, wenn es um die Stärkung der Berufsschulen geht. Der Fachkräftemangel sei neben der Energiepreiskrise eines der größten aktuellen Probleme. „Demografisch bedingt verlieren wir weiter entscheidend an Leuten. Wir brauchen Menschen, die hierherkommen, aber nicht bloß Rückkehrer“, sagte Thomas Schmidt. Auch könne es nicht angehen, dass Neuansiedlungen den KMU die Leute wegziehen.

Anträge ab 2. Quartal 2023

Für die fünf Bereiche sind unterschiedliche Ressorts zuständig. In allen beteiligten Ministerien werde derzeit an den Förderrichtlinien gearbeitet. Bis Ende des 1. Quartals 2023 soll feststehen, wer wofür ITF-Geld kriegen kann. Abgewickelt wird die Förderung über die Sächsische Aufbaubank (SAB). „Wir haben ein Interesse daran, dass es so bürokratiearm wie möglich läuft“, versicherte Dulig. Die Beantragung für EU-Fördermittel sei schon vereinfacht worden, sagte er – und setzte noch eins drauf: „Wir wollen durch Digitalisierung Vorreiter sein zur Entbürokratisierung.“

Ziel der Veranstaltung in der Telux war ein erster Überblick über die Förderkriterien in den einzelnen Bereichen. Staatsminister Thomas Schmidt kündigte noch weitere Informationsveranstaltungen an. Nach den Worten von Landrat Meyer sei es jetzt wichtig, schnell Multiplikatoren in die Lage zu versetzen, dass sie die Unternehmen umfassend beraten können.

Für Frank Schwarzkopf, den Chef des Stadtvereins Weißwasser, war es erstmal „eine tolle Ankündigung“. Der Weißwasseraner Bauunternehmer Mario Weier blieb bei aller Euphorie dennoch skeptisch. Er sieht auf den ersten Blick „noch keine Punkte, wo KMU reinpassen würden, um den Standort hier zu festigen“. Dazu hätte er sich noch mehr Aussagen gewünscht.