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Mit dem Schiebebock nach Dresden

In Zeiten vor Bus und Bahn war der Weg für den Warentransport durchs Weißeritztal mehr als beschwerlich. Teilweise mussten Hunde als Zugtier helfen.

Von Heinz Fiedler
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Vor 140 Jahren Fuhrwerk auf der Straße im Plauenschen Grund.
Vor 140 Jahren Fuhrwerk auf der Straße im Plauenschen Grund. © Sammlungen: Siegfried Huth

Die Leute von gestern und vorgestern waren unwahrscheinlich gut zu Fuß. Auf Schusters Rappen von Deuben nach Freiberg oder von Rabenau nach Meißen und wieder retour, Marathonstrecken, die vor 200 Jahren zum Alltag etlicher Leute im Weißeritztal gehörten. 

Touren, die freilich weniger aus Lust am Wandern unternommen wurden. Hinter den Gewaltmärschen stand oftmals das eiserne Muss. Wer existieren wollte, der konnte sich nicht damit begnügen, Dinge zu schaffen, die die Menschheit braucht. Das war ja nur die eine Seite. Wie aber gelangten Erzeugnisse jeglicher Art überhaupt an den Mann? In Zeiten, da an Autos und Bahnen noch nicht zu denken war ein Problem. Da der Kundenkreis im Heimatort für genügend Umsatz vielfach nicht ausreichte, bleib nur eines übrig: Man musste in die nähere und weitere Umgebung aufbrechen.

Hervorgegangen aus einem 1873 eröffneten bayrischen Biergarten, die Schmiedeschänke (links Schmiedewerkstatt) wo viele Gespanne auf ihrer Tour eine Pause einlegten.
Hervorgegangen aus einem 1873 eröffneten bayrischen Biergarten, die Schmiedeschänke (links Schmiedewerkstatt) wo viele Gespanne auf ihrer Tour eine Pause einlegten. © Sammlungen: Siegfried Huth

Angetan mit Tragreff, eine Art hölzerner Rucksack und einem Schiebebock, vollgepackt mit Waren des täglichen Bedarfs oder Möbelstücken zogen meist kräftige Männer, für gewöhnlich Botengänger genannt, aus unserer Gegend nach Dresden, was seinerzeit kompliziert genug war. Der Weg in die Residenz verlief über die Kammlagen der Hänge beiderseits der Weißeritz. Als man Mitte des 18. Jahrhundert eine schlichte Fahrstraße durch den Grund errichtete ergab sich eine gewisse Erleichterung.

Ärger mit Hundegespannen

Der Hund wurde Handwerkern und Fabrikanten zum unentbehrlichen Helfer. Neben Pferdefuhrwerken dominierten Hundegespanne, das Bild der Straßen im heutigen Freitaler Raum. Aber auch Gespanne gezogen von Ochsen, Ziegen, Eseln quälten sich durch die einheimischen Dörfer. Oft tauchte stundenlang kein Fuhrwerk auf, dann gehörte die Straße Kindern und ihren Spielen.

Mit Hunden hatte die Potschappler Ordnungsmacht häufig Ärger. In einer 1876 verfassten Eingabe an die Obrigkeit in der Residenz wurde kritisch vermerkt, dass Leute mit Hundefuhrwerken ihren Tieren zu viele Freiheiten ließen. Hunde würden sich ohne Mühe losreißen, Passagiere belästigen - überdies sorgten sie in einem bedenklichen Maß für eine Verunreinigung des Ortsbildes. Es fehle an einer gesetzlichen Grundlage, um bei Übergriffen einschreiten zu können.

Mit Schiebebock und Tragreff wurden Rabenauer Erzeugnisse durch den Plauenschen Grund nach Dresden transportiert. Als Zugtier wurden oftmals, wie auf unserer Abbildung ersichtlich, Hunde eingesetzt. Ausschnitt aus dem Kupferstich „Grassis Villa“ (1841) vo
Mit Schiebebock und Tragreff wurden Rabenauer Erzeugnisse durch den Plauenschen Grund nach Dresden transportiert. Als Zugtier wurden oftmals, wie auf unserer Abbildung ersichtlich, Hunde eingesetzt. Ausschnitt aus dem Kupferstich „Grassis Villa“ (1841) vo © Sammlungen: Siegfried Huth

Die für den Plauenschen Grund zuständigen Amtshauptmannschaften Neustadt und Dresden-Altstadt ließen sich mit einer Reaktion 20 Jahre Zeit, um schließlich am 11. März 1896 eine „Bekanntmachung, die Hundevorwerke betreffend“ zu veröffentlichen. Demnach durften nur völlig ausgewachsene und gesunde Tiere zum ziehen der Wagen eingesetzt werden. Die Fuhrwerksführer wurden verpflichtet, stets einen mit Wasser gefüllten Behälter zur Hand zu haben, damit Hunde jederzeit ihren Durst stillen konnten. Bei Anbruch der Dunkelheit musste das Gefährt mit einer leuchtenden Laterne versehen werden. Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafen bis zu 60 Mark oder bis zu zwei Wochen Haft geahndet.

Auf Leo war immer Verlass

Oft war Rabenau-Oelsa und die dort ansässige Sitzmöbelfabrikation Ausgangspunkt der Botentouren via Elbflorenz. Im publizistischen Nachlass des verdienstvollen Rabenauer Naturfreundes und SZ-Mitarbeiters Alfred Lorenz (1903-1988) findet sich ein Beitrag, der Minna Geyer, einer Botengängerin der kleinen Stadt gewidmet ist. Nachfolgend ein Auszug: „Bei ihren Fuhren mit Stühlefracht in die Umgebung, vor allem aber nach Dresden hat Minna Geyer nie einen Verkehrsunfall verursacht. Das war keinesfalls selbstverständlich. Um 1901 herrschte im Zentrum der Großstadt schon eine ziemliche Verkehrsdichte. Das in ihrem Fall alles glatt lief, ist vor allem Leo dem Zughund der Botengängerin zu verdanken. Auf Leo war Verlass. Nur montags, verlief die Dresden Tour bedrohlich. Für gewöhnlich kamen unzählige Hundegespanne Dresdner Fleischer vom Schlachthof mit Gebell und Gejaule ins Zentrum. Ein höllischer Lärm, der dem mustergültigen und disziplinierten Rabenauer Zughund Angst einjagte. Im übrigen kannte Leo alle Pferdeschlächtereien entlang der Strecke. Näherte man sich der Deubener Pferdeschlächterei Ehrlich, zog Leo mit doppelter Kraft den Wagen seiner Herrin. Er wusste, bei Ehrlichs gab es für ihn einen guten Happen.

Zwischen dem Großgasthaus Hainsberg an der Einmündung Tharandter Straße und dem Dresdner Vorfeld existierten etliche Wirtschaften mit Auspanne. In erster Linie für Pferdefuhrwerke gedacht, was Hundehalter nicht davon abhielt sich niederzulassen und eine Pause einzulegen. Einen Mittelpunkt bildete der Potschappler Markt, wo 1873 ein gewisser Friedrich Rudolph einen bayrischen Biergarten eröffnete, aus dem sich die Schmiedeschänke heraus kristallisierte.

Auf der Gegenseite lud ab 1811 die Gastwirtschaft von Max Büttner (heute Konditorei Franke) zum verweilen ein. Gastronomische Oasen inmitten strapaziöser Transporttouren.