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Strukturwandel im Dreiländereck: Offener Streit in Liberec

Was bringt die Zukunft für die Region um das Dreiländereck? Eine hochrangig besetzte Konferenz in Liberec hat viele Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen aufgezeigt.

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Am Dreiländerpunkt bei Zittau stoßen Polen, Tschechien und Deutschland zusammen. Jetzt diskutierten die drei Länder erstmals gemeinsam über den Strukturwandel.
Am Dreiländerpunkt bei Zittau stoßen Polen, Tschechien und Deutschland zusammen. Jetzt diskutierten die drei Länder erstmals gemeinsam über den Strukturwandel. © Matthias Weber (Archiv)

Erstmals haben Politiker aus Sachsen, Polen und Tschechien am Freitag öffentlich über das gemeinsame Herangehen an den Strukturwandel in der Dreiländerregion diskutiert. Sie befassten sich im nordböhmischen Liberec (Reichenberg) unter anderem mit der Energiewende und der Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze. "Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass jemand in Prag, Warschau oder Berlin unsere Probleme löst", sagte Martin Puta, Hauptmann des Bezirks Liberec. "Wir müssen lernen, gemeinsam zu kommunizieren und auch unangenehme Meinungen der Partner anzuhören."

An der Konferenz zu einer "gerechten Transformation" nahmen unter anderem der tschechische Minister für Regionalentwicklung, Ivan Bartos, der Landrat des Kreises Görlitz, Stephan Meyer (CDU) und Maciej Zathey, Leiter der Raumplanungs-Behörde in Wroclaw (Breslau), teil. Sachsens Ministerpräsident wollte ursprünglich mitdiskutieren, kam dann aber doch nicht.

Welche "unangenehmen Meinungen" Puta meinte, wurde schnell deutlich: Überschattet wurde die Konferenz vom Streit über den polnischen Tagebau Turow, der sich direkt im Dreiländereck und in Sichtweite von Zittau sowie der tschechischen Stadt Hradek (Grottau) befindet und erweitert wird. Auslöser war ein Referat über eine Studie zu seinen Auswirkungen auf die Stadt Zittau. Der Hydrologe Ralf Krupp kommt darin zu dem Schluss, dass die Bergbauarbeiten erhebliche Risiken für die Zittauer Region mit sich bringen. Neben der Grundwasserabsenkung seien das vor allem langwierige Belastungen mit sauren Grubenwässern und Bodensenkungen - im schlimmsten Fall sogar ein Durchbruch der Neiße in das Tagebaugebiet.

Polen haben Angst um die wirtschaftliche Zukunft

Wojciech Dobrolowicz, Bürgermeister der polnischen Grenzstadt Bogatynia (Reichenau), auf deren Gebiet sich der Tagebau befindet, warf den Kritikern vor, Arbeitsplätze zu gefährden und einen Keil in die Beziehungen zu treiben. Er betonte, dass der Bergbau seit 75 Jahren die Quelle für die Entwicklung des polnischen Grenzgebietes sei. Die Transformation von der Kohleverstromung hin zu Wind- und Solarenergie sichere die gut bezahlten Arbeitsplätze allein nicht, sagte er. Der Tagebau und das benachbarte Kraftwerk sind die größten Arbeitgeber der polnischen Region.

Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm) forderte eine stärkere Mitsprache: Wenn man ein größeres Vorhaben plane, erweitere oder fortsetze, müsse man künftig selbstverständlich die Auswirkungen auf die Nachbarn betrachten. Zugleich räumte er ein, dass die Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft auf polnischer Seite eine solche Diskussion sehr schwierig mache. „Eine Transformation muss vor allem erfolgreich sein“, sagte er. Er versteht, dass Polen den Tagebau nicht von einem Tag auf den anderen Tag schließen kann.

Die deutschen und tschechischen Anwohner des Tagebaus dagegen klagen zum Beispiel über Bodensenkungen sowie Staub- und Lärmbelastungen. Befürchtet wird zudem eine weitere Absenkung des Grundwasserspiegels. Tschechien hatte zunächst gegen die Pläne für Turow vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Doch im Februar 2022 kam es überraschend zu einer Einigung zwischen Prag und Warschau, die unter anderem Ausgleichszahlungen in Höhe von 45 Millionen Euro vorsieht.

Tschechen überwachen polnischen Tagebau Turow

Allein das tschechische Umweltministerium bekommt zehn Millionen Euro für die Überwachung der Grube Turow. "Ich freue mich, dass wir jetzt zum ersten Mal in der Geschichte des Bergbaus Informationen darüber haben, was auf der polnischen Seite passiert", sagte Hauptmann Puta. "Wenn die Grenzwerte auf der tschechischen Seite nicht eingehalten werden, können wir jetzt Korrekturmaßnahmen ergreifen." Puta wünschte sich ein ähnliches Abkommen für Zittau.

Die deutsche Seite war bei den Verhandlungen zwischen Polen und Tschechien außen vor geblieben. Auch, weil weder die sächsische noch die Bundesregierung mitgezogen hatten. Zittau sei nicht in der Lage, die gleichen Druckmittel anzuwenden wie es der tschechische Staat getan habe, sagte Oberbürgermeister Zenker. Zittau hat inzwischen selber geklagt.

Im Fokus der Konferenz stand auch die Zukunft nach dem Kohleabbau. Minister Bartos mahnte die Suche nach gemeinsamen Zielen an. Als gemeinsame Herausforderungen identifizierten die Teilnehmer unter anderem die alternde Gesellschaft und die mangelnde Förderung von trinationalen Vorhaben. Bisher werden von der EU nur Projekte von jeweils zwei der Nachbarländer gefördert. Das war ein Grund dafür, dass der Bau der Dreiländerbrücke bei Zittau scheiterte.

Landrat Meyer schloss sich Bartos an: Die Region müsse für junge Leute attraktiv bleiben. Dabei sei Turow nicht das einzige Problem. Er sprach unter anderem die schlechte Qualität des polnischen Eisenbahnabschnitts auf der Strecke Dresden-Zittau-Liberec und Kooperationen bei der Ausbildung junger Menschen an. Reserven sieht Meyer auch in der Zusammenarbeit der Rettungsdienste und bei Klimawandel-Problemen wie dem Waldumbau.

„Die Strukturentwicklung macht nicht an der Grenze halt“, sagte Maciej Zathey. Er benannte die Pläne, die Polen für Turow nach 2044 hat: Die Grube soll geflutet werden. Am polnischen Abschnitt der Verbindung zwischen deutscher B178 und tschechischer Autobahn bei Liberec soll ein Industriegebiet geschaffen werden, das Investoren und Arbeitsplätze bringt. (lau/dpa)