SZ + Radebeul
Merken

„Der Krieg wird wohl noch länger dauern“

Vor einem Jahr überfiel die russische Armee die Ukraine. Zu diesem Krieg hat sich der Radebeuler Werner Glowka einige Gedanken gemacht - ein Interview über Putin, Selenskyj und Zeitenwende.

 8 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Verbundenheit mit Westeuropa: Beim Stadtfestumzug von Obuchiw 2019 trug eine Abordnung der Armee die Fahne der Europäischen Union.
Verbundenheit mit Westeuropa: Beim Stadtfestumzug von Obuchiw 2019 trug eine Abordnung der Armee die Fahne der Europäischen Union. © privat

Herr Glowka, vor einem Jahr überfiel die russische Armee die Ukraine. Der russische Präsident Putin behauptet, gegen Faschisten und Nazis zu kämpfen. Wenn man geschichtliche Vergleiche bemüht, zeigt seine Politik doch mehr Parallelen mit jenem Regime, oder?

Den Kriegsbeginn habe ich in Prag erlebt. Eine alte Prager Touristenführerin begrüßte unsere Gruppe mit den Worten: „Wir Tschechen sind dankbar, seit 32 Jahren in Freiheit zu leben und seit über 20 Jahren unter dem Schutz der Nato“. Vor der Prager Burg stand ein Demonstrant mit einer Nato-Flagge und einem Pappschild mit der Aufschrift „Die Welt hat heute Morgen zu ihrem Schock erfahren, dass es sogar im Jahr 2022 zu Barbarei und einem neuen Hitler kommen kann.“

Ende Februar 2022 hat mich diese Aussage noch irritiert, doch inzwischen erkenne auch ich mehr und mehr Parallelen zwischen dem heutigen Putin-Russland und den Anfangsjahren des NS-Regimes. Auf dem Wenzelsplatz erzählte eine Frau, wie die Tschechen 1968 die Straßenschilder verdreht hätten, um die einrückende Rote Armee zu verwirren. Gleiches meldeten die Nachrichten in den ersten Kriegstagen aus der Ukraine.

Werner Glowka
Werner Glowka © privat

Werner Glowka

  • Alter: 56 Jahre
  • Vorstandsmitglied der CDU Radebeul, von 2017 bis 2022 CDU-Vorsitzender in Radebeul, Stadtrat in Radebeul 1999-2009
  • Die Städtepartnerschaft unterstützt er ideell und wirbt für sie, weil ihm Beziehungen nach Osteuropa, insbesondere in die Staaten der früheren Sowjetunion persönlich wichtig sind. So hat er bei der Weihnachtsfeier der CDU Radebeul 2019 zusammen mit dem Vorsitzenden des Städtepartnerschafts-Komitees Dirk Bachmann ausführlich mit Bildern über den Besuch der Radebeuler Delegation zum 20-jährigen Partnerschaftsjubiläum berichtet und für eine Intensivierung geworben.

Wie beurteilen Sie die russische Politik?

Als aufmerksamer politischer Beobachter Russlands über mehr als drei Jahrzehnte hinweg, ordne ich die Lage aktuell wie folgt ein: Über 20 Jahre hat Putin die russische Gesellschaft einschließlich der Medien immer stärker allmählich gleichgeschaltet und Andersdenkende Schritt für Schritt eingeschüchtert, zu ausländischen Agenten gestempelt, mundtot gemacht, eingesperrt oder gar ermorden lassen.

Zugleich träufeln er und seine Getreuen Propaganda in die Hirne der Bevölkerung über patriotische Größe, die Mär vom heiligen Russland und sorgen so für einen nationalistisch-ideologischen Überbau zur Rechtfertigung des Krieges, zu dem die russisch-orthodoxe Kirche auch noch ihren offiziellen Segen gibt.

Das hat nicht einmal ein Adolf Hitler geschafft, wenngleich auch die NS-Propaganda Hitler zu einem neuen Heilsbringer mit religiös untermalter Aura hochstilisierte, gut dokumentiert zum Beispiel in der Ausstellung auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Und verfängt diese Politik bei der russischen Bevölkerung?

Diese Strategie blieb nicht ohne Erfolg. Patriotische Gefühlsaufwallungen regten sich bei den Massen nicht nur nach der Annexion der Krim, sondern sind auch anderswo sichtbar.

Stichworte sind der steigende Erinnerungskult um den Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird, die zunehmend positivere Darstellung Stalins unter Ausblendung seiner Verbrechen, die Verklärung der Sowjetunion und die Trauer über die verloren gegangene Weltmachtrolle, die Militarisierung von Ereignissen wie die Siegesfeier am 9. Mai, die immer mehr die Friedenskomponente verliert, die selbst in Sowjetzeiten immer bewusst gepflegt wurde. Und die innenpolitische Säuberung ging und geht weiter.

Das Verbot der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial im Januar 2022 ist auch für mich persönlich ein Tiefpunkt.

Warum war das Verbot ein Tiefpunkt?

1990 war ich zum Russischkurs in Moskau. Eine meiner Lehrerinnen war bei Memorial engagiert und zeigte uns eine improvisierte Ausstellung mit Dokumentationen über unschuldige Opfer des stalinistischen Terrors, die damals gerade frisch rehabilitiert worden waren. Ihr Mut und Engagement hat mich sehr beeindruckt. Die damals aufkommende Hoffnung, sich mit der eigenen grausamen Geschichte auseinanderzusetzen, damit Wunden heilen können, wird heute in Russland mit Drohungen und Haft erstickt.

Gut, dass diese mutigen Menschen, dies es auch heute noch in Russland gibt, mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurden. Für uns in Deutschland mag es schwer nachvollziehbar sein, wie eine solche langjährige Hirnwäsche der Bevölkerung wirken kann. Doch selbst in Amerika schafften es die „FakeNewsStrategen“, dass sogar das Kapitol gestürmt wurde. Destruktive Propaganda kann auch in Demokratien großen Schaden anrichten, auch bei uns.

Sie waren bereits Gast in Radebeuls ukrainischer Partnerstadt Obuchiw. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Im Herbst 2019 besuchte ich als Teil der Radebeuler Delegation unsere ukrainische Partnerstadt Obuchiw, südlich von Kiew, anlässlich des 20. Jubiläums unserer Städtepartnerschaft. Keiner von uns ahnte, dass nicht einmal zweieinhalb Jahre später die Ukraine rücksichtslos überfallen wird.

Glücklicherweise drangen die russischen Truppen bisher nicht bis zu unserer Partnerstadt vor. Nachdrücklich hat mich bei dem Besuch die Sehnsucht nach einem Leben in einer freien Gesellschaft beeindruckt, was sich auch in der demonstrativen Abgrenzung zu allem Russischen und der Hervorhebung des eigenen Staates ausdrückte.

Nach damals schon über fünf Jahren Krieg im Donbass mit über 10.000 Toten und vielen Binnenflüchtlingen kein Wunder. Der Krieg samt Gefallenen und die russische Invasion waren in unserer Partnerstadt immer präsent. Während vor Jahren die politischen Einstellungen mehr durch die Muttersprache (Russisch oder Ukrainisch) geprägt waren, so sind diese nach der Maidan-Revolution immer mehr durch weltanschauliche Standpunkte verdrängt worden. Die Muttersprache spielte dabei immer weniger eine Rolle.