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Wenn Worte überflüssig sind

Jugendliche aus Deutschland und Polen tanzen gemeinsam in Bautzen und lernen dabei einander kennen. Das fiel nicht jedem von Anfang an leicht.

Von Theresa Hellwig
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Jomaa Alzwy aus Bautzen hat schon öfter Freunde durch das Tanzen kennengelernt. Beim Projekt „Auftakt – Theater geht tanzen“ tat er sich mit Iga Rozalska (hintere Reihe, zweite von rechts) zusammen.
Jomaa Alzwy aus Bautzen hat schon öfter Freunde durch das Tanzen kennengelernt. Beim Projekt „Auftakt – Theater geht tanzen“ tat er sich mit Iga Rozalska (hintere Reihe, zweite von rechts) zusammen. © Steffen Unger

Bautzen. Der Lichtstrahl des Scheinwerfers huscht über die schwarzen Samt-Leggins von Iga Różalska. Sie bewegt die Hüfte, zieht die Arme in die Luft. Dicht vor ihr schwingt Jomaa Alzwy seine Schultern, dann stoppen die beiden mitten in der Bewegung – und um sie herum auch alle anderen Tänzerinnen und Tänzer, die sich zu Paaren zusammengefunden haben. Eine Sekunde später tanzen die beiden weiter, um sie herum verharren die anderen in ihrer Position. Kurz wechseln die Paare durch, dann geben sie ihre Körperspannung auf. Die Musik läuft weiter, aber wie es im Tanz weiter geht, haben die Jugendlichen noch nicht geprobt. Einige lachen, Jomaa und Iga schauen sich an, lachen ebenfalls, heben die Hand und schlagen ein.

Die beiden kennen sich erst seit Donnerstag, und sie eint eigentlich nicht viel. Nicht einmal dieselbe Sprache sprechen die 18-Jährige und der 24-Jährige. Aber das Tanzen verbindet. 19 Jugendliche aus Bautzen und der polnischen Partnerstadt Jelenia Góra kamen im Rahmen des Projekts „Auftakt – Theater geht tanzen“ von Donnerstag bis Sonntag im Steinhaus zusammen und studierten gemeinsam ein Tanz- und Musikprogramm ein. Unter dem Motto „Fifty Shades of Hip-Hop“ präsentierten sie am Sonnabend und am Sonntag ihr Programm, in dem sie die verschiedenen Stilrichtungen des Hip-Hop von den 80er-Jahren bis heute zur Schau stellten. Auch andere Tanzensembles aus Deutschland und Polen waren dabei.

Tanzen interessiert die Jugendlichen

„Die Jugendlichen müssen sich gar nicht unterhalten, um sich zu verstehen“, sagt Paul Fischer, der das Projekt leitet. Das Projekt soll junge Leute der beiden Länder zusammenbringen, interkulturelle Bande knüpfen. Und zwar nicht über einen Debattiertisch oder über ein anderes, für junge Menschen ziemlich trockenes Programm. „Das würde sie ja doch nur langweilen“, findet der Organisator. „Wir wollen die Jugendlichen hier vielmehr über das zusammen bringen, was sie wirklich interessiert – und das ist nun einmal das Tanzen.“

Seit fast 20 Jahren gibt es das Projekt „Auftakt“, seit etwa drei Jahren im Rahmen der geförderten Kooperation „Kulturpartner“ zwischen dem Jeleniogórske Centrum Kultury in Polen und dem Verein Steinhaus in Bautzen. Wie der Verein erfahren hat, wird die Förderung noch zwei weitere Jahre gegeben.

Schüchternheit kann überwunden werden

Jomaa aus Bautzen und Iga aus Jelenia Góra sind beide zum ersten Mal dabei und haben sichtlich Spaß. Sie lächelt ihn an, schaut in seine Augen. Er erwidert den Blick. Das, was die beiden und die anderen Tänzer da gerade auf der Bühne gezeigt haben, stammt aus dem Hip-Hop-Bereich „Popping“, der sich auszeichnet durch wellenförmige, weiche Bewegungen und eben diese Stopps, in denen die Tänzer mitten in der Bewegung einfrieren. Kraft, Energie und Selbstbewusstsein strahlen die tanzenden Jugendlichen aus. Als sie dann die Bühne verlassen, scheint das von einigen abzufallen. Jomaa und Iga setzen sich auf die Zuschauertribüne. Jomaa unten, Iga oben zu ihren Freundinnen.

Dass die Jugendlichen ein bisschen Zeit brauchen, um miteinander warm zu werden, sei normal, sagt Fischer. Einige seien schüchtern. Gerade durch den Tanz könnten diese Barrieren überwunden werden, eben ohne zu sprechen. Denn: „Bewegung ist eine eigene Sprache“, findet auch Kathleen Brautzsch, eine der Tanzlehrerinnen. Und auch Jomaa sagt: „Ich bin zum ersten Mal dabei. Es fällt mir noch etwas schwer, Kontakte zu knüpfen. Als es darum ging, Paare zu bilden, hat Iga mich gefragt.“ Trotzdem hat er sich noch nicht viel mit ihr unterhalten, die Sprachbarriere ist doch ein bisschen groß. Aber reden müssen die beiden auch gar nicht. „Durch den Augenkontakt fühlt man sich beim Tanzen schon nahe“, sagt Iga auf Englisch. „Ich war erst ein bisschen blockiert, aber das gibt sich mit der Zeit.“ Und Jomaa weiß, dass Tanzen wirklich verbinden kann: „Ich habe viele Freunde so kennengelernt. Allerdings bisher nur in Deutschland“. Meistens planen die Jugendlichen dann, gemeinsam zu einem anderen Termin neue Schritte auszuprobieren. Bislang hat sich so etwas mit Iga oder den anderen noch nicht ergeben. „Aber das kann ja noch werden“, sagt er.

Bei dem Projekt geht es auch gar nicht in erster Linie um dauerhafte Freundschaften. Es geht vielmehr um das Verständnis für die anderen und darum, Mentalitätsunterschiede kennenzulernen. „Die Teilnehmenden aus Polen sind oft energiegeladen, offen, spontan“, hat Paul Fischer in den vergangenen Jahren bei den Auftakt-Kursen bemerkt. „Die Jugendlichen aus Deutschland sind etwas zurückhaltender. Für alle ist es wertvoll, zu sehen, wie andere mit Tanz umgehen.“ 

Vier junge Polinnen durften sich im Breakdancen erproben. Diese Art des Tanzes war aber nur eine von vielen, die die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus Bautzen und Polen ausprobieren konnten.
Vier junge Polinnen durften sich im Breakdancen erproben. Diese Art des Tanzes war aber nur eine von vielen, die die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus Bautzen und Polen ausprobieren konnten. © Steffen Unger