Von Jörg Stock
Langenhennersdorf. Die einen gehen früh um neun in die Plantage. Sie binden ihre Schals, ihre Handschuhe und Mützen an etwa zehn Kandidaten, laufen dazwischen hin und her und wissen mittags immer noch nicht, welcher der schönste ist. Die anderen entscheiden sich in drei Minuten, weil sie lieber den Glühweinbecher in der Hand haben, als eine Säge. Wie macht man es richtig? Robert Kleinstäuber, schon über 20 Jahre Weihnachtsbaumbauer, weiß kein Patentrezept. Wer unbedingt einen Rat will, dem gibt er die altbewährte Faustregel mit: „Der erste ist immer der schönste.“



Der Garten- und Landschaftsbaumeister Robert Kleinstäuber steht auf seinem Weihnachtsacker am Langenhennersdorfer Kirchberg. Mit seiner großen Schürze, der langen Messlatte und der gemütlichen Statur sieht er aus wie ein guter Hirte. Und das ist er auch. Sieben Jahre hat er mit seinen Leuten diese Tannen bemuttert, die in dichtem Spalier um ihn herum stehen. Jeden Tag gab’s was zu tun. Vor allem Gras mähen, düngen, und wieder mähen, mähen, mähen. Die Arbeit hat sich gelohnt, findet er. Die Bäume sehen gut aus. Er freut sich auf den Advent. Adventszeit ist Erntezeit. „Jetzt kommt Geld in die Kasse!“
Bevor er Geld einnehmen kann, muss Robert Kleinstäuber die Ware auspreisen. Natürlich sollen die schönsten Bäume die teuersten sein. Doch Schönheit zu beurteilen, ist schwierig. Mit technischem Blick allein geht das nicht, sagt er. Vieles ist Geschmackssache. Und Geschmäcker variieren, auch sein eigener, manchmal sogar innerhalb eines einzigen Tages.
Hier können Weihnachtsbäume geschlagen oder gekauft werden (Auswahl)
Auch wenn Robert Kleinstäuber mehrere Kollegen hat: Das Etikettieren der Bäume ist Chefsache. Wochenlang zieht er Tag für Tag durch die Reihen und tackert farbige Fähnchen an die Baumspitzen. Die Etikettenblöcke stecken in den Taschen seiner Schürze, die dadurch einem Bauchladen ähnelt. Mit lila-weiß geht es los, dann kommt lila, dann gelb, dann orange-weiß, blau-weiß, weiß, rosa und blau, am Ende orange und rot – eine Preisspanne von sieben bis 45 Euro. Aber an welchen Baum kommt welches Etikett?
Robert Kleinstäuber teilt seine Bäume in drei Qualitäten ein. Pro Qualität gibt es Preisstufen abhängig von der Baumgröße. Die Größe lässt sich messen. Aber die Qualität? „Man muss eine einheitliche Linie finden“, sagt der Fachmann, und tritt zum nächsten Baum. Knapp zwei Meter groß ist er, eigentlich ein tadelloses Exemplar. Oder doch nicht? Die Abstände zwischen den Astquirlen sind ein wenig groß. Der Baum ist letztes Jahr geschossen, einen halben Meter etwa. Deshalb sieht er oben licht aus – zu offen für die Premium-Prädikate rot oder orange, findet der Weihnachtsbaumbauer. Aber blau hat er sich verdient. Er ist damit immer noch 35 Euro wert.
Der Baum würde nächstes Jahr nicht besser aussehen und auch nicht mehr Geld einbringen. Deshalb entschließt sich Robert Kleinstäuber zur Ernte. Auch weil er die Nachbarbäume im Blick hat, besonders den einen. Gut gebaut, mit kurzem Leittrieb, sieht er so aus, als könnte er zur 1. Wahl aufsteigen. Deshalb kriegt er jetzt noch kein Etikett, sondern mehr Luft, um schön rund zu werden und weiter zu wachsen. Nächstes Jahr ist er sicher schon dreißig Zentimeter größer, schätzt Kleinstäuber. „Dann werden wir mal sehen.“
Wenn Robert Kleinstäuber seine Schönheitsprädikate verteilt, arbeitet er in zwei Baumreihen zugleich. Dabei muss er aufpassen, dass er von seiner „Linie“ nicht abkommt. Die Grenzen zwischen den Qualitäten sind fließend, sagt er. Und nach drei Stunden in der Plantage lässt das Urteilsvermögen nach. Dann ist es besser, Mittagspause zu machen. „Sonst passieren Fehler.“ Wie zur Bestätigung reißt er das blaue Etikett eines Baumes ab und heftet als Ersatz leise lächelnd ein weißes an. „Ich schätze, der war zu teuer.“
Kleinstäubers Anspruch ist es, bei hundert zu musternden Bäumen höchstens zwei, drei Ausreißer zu produzieren. Ansonsten muss die Sortierung stimmen. Es geht darum, Reklamationen zu vermeiden, aber auch darum, kein Geld zu verschenken. Über zu billige Bäume beschwert sich natürlich keiner. Was aber recht und billig ist, das ist einmal mehr Ansichtssache. Beim Selbersägen suchen sich die Leute manchmal Gewächse aus, erzählt der Plantagenchef, an die man sich gar nicht getraut hätte, ein Etikett zu hängen. Für die Kunden ist es trotzdem der schönste Baum, den sie jemals hatten.
Der nächste Fall ist klar: ein Baum ohne Spitze. Der kriegt lila – 3. Wahl für neun Euro neunundneunzig. Wie das passiert ist? Vermutlich hat sich eine Krähe oder eine dicke Amsel hier niedergelassen und – Knack! – war der Trieb ab. Zwar könnte man eine neue Spitze formen, mit ein paar Schnitten und zwei, drei Jahren Geduld. Ob das klappt, ist ungewiss. Statt zu investieren, setzt Robert Kleinstäuber auf den Verkauf des Baums. Gut möglich, dass ihn jemand mitnimmt, die Fehlstelle daheim mit einer Glasspitze kaschiert oder einem anderen Schmuckstück. Und wenn nicht? „Dann habe ich es wenigstens probiert.“
Die kommenden Tage werden hart. Sobald der Baumverkauf losgeht, ist Robert Kleinstäuber von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends auf den Beinen. Aber es wird auch eine schöne Zeit sein, sagt er. Schließlich gibt es nur einmal im Jahr Kundenkontakt und Einnahmen. Damit heißt es haushalten, bis wieder Weihnachten ist.
Weihnachtsbaum selber sägen: z.B. bei Kleinstäubers in Markersbach, Buchenhain 34, ab Freitag vor dem 1. Advent bis zum 23. Dezember, täglich 9-17 Uhr.