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Wie wird man Weltmarktführer?

Deutschland ist in der Champions-Hitliste überproportional vertreten. Ein Dortmunder Professor kennt die Gründe dafür. Ein Interview.

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In Leipzig wird es international. 164 Flaggen wehen vor der Messe, wo sich vom 5. bis 8. Februar über 1300 Aussteller aus 31 Ländern auf den beiden Fachmessen Intec und Z präsentieren.
In Leipzig wird es international. 164 Flaggen wehen vor der Messe, wo sich vom 5. bis 8. Februar über 1300 Aussteller aus 31 Ländern auf den beiden Fachmessen Intec und Z präsentieren. © dpa/Jan Woitas

Wie wird man Weltmarktführer? Das ist die Frage, auf die in Leipzig bei der Industriekonferenz im Rahmen der Messe Intec Antworten gefunden werden sollen. Professor Jan-Philipp Büchler von der Fachhochschule Dortmund hat den Werdegang der auch als Hidden Champions bezeichneten Weltmarktführer untersucht und Gemeinsamkeiten entdeckt.

Herr Professor Büchler, was macht ein Unternehmen zum Hidden Champion?

Managementforscher Professor Hermann Simon, der schon viele Jahre zu den erfolgreichen und wachstumsstarken Mittelständlern forscht, hat dazu drei klare Kriterien aufgestellt. Hidden Champions gehören in ihrem Markt zu den Top 3 weltweit oder sind Marktführer auf ihrem Kontinent. Sie sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt und erzielen einen Jahresumsatz von unter fünf Milliarden Euro.

Gemessen an den rund 2.700 Hidden Champions weltweit, sind die 1.300 Weltmarktführer in Deutschland überproportional vertreten. Welche Gründe gibt es dafür?

Es sind zunächst wirtschaftspolitische und wirtschaftshistorische Gründe, die dazu geführt haben, dass in Deutschland die Weltmarktführerdichte besonders hoch ist. Wir hatten vom 17. bis ins 19. Jahrhundert hinein eine ganz starke politische Dezentralität. In den Kleinstaaten entstanden eigene Wissens-, Kultur- und auch Wirtschaftszentren. Das war prägend für den Mittelstand, bis heute. Es gibt bei uns Firmen, die heute in der achten, neunten Generation geführt werden. Nicht wenige davon sind Hidden Champions. Hinzu kommen, zumindest in den zurückliegenden 50 Jahren, sehr gute Ausbildungs- und Studienbedingungen. Selbst der Nachteil, dass Deutschland zwar mit Erzen und Kohle gesegnet ist, ansonsten aber über recht wenige Bodenschätze verfügt, ist ein Grund für die Marktführerschaft bei vielen Produkten. Die Unternehmen waren gefordert, mit wenig Ressourcen auszukommen, mussten neue Technologien entwickeln. Hinzu kommt aber ganz sicher auch der typisch deutsche Wesenszug der Qualitätsbesessenheit und des Perfektionismus.

Ist es Zufall, dass man die Hidden Champions vor allem in den ländlicheren Regionen findet?

Nein, denn Hidden Champions sind oft inhabergeführt. Die Inhaber identifizieren sich mit ihrer Region und bleiben ihrem Standort treu. Über die Jahre haben sie sich auch in Kooperation mit Hochschulen ein kleines Innovationsökosystem aufgebaut. Viele Hidden Champions haben eine hohe Fertigungstiefe. Sie bündeln auch die Forschung und Entwicklung an ihrem Heimatstandort. Das heißt aber nicht, dass die Unternehmen nicht dem internationalen Markt gegenüber aufgeschlossen sind. Marketing, Sales- und Serviceaktivitäten werden in unmittelbarer Kundennähe angesiedelt, ohne das Distributionspartner dazwischengeschaltet werden. Den Unternehmen ist es wichtig, aus Feedbackschleifen zu lernen. Sie suchen den Kontakt zum Kunden, ermitteln sein Bedürfnis, greifen Probleme auf und bieten Lösungen an.

Warum entscheiden sich Hidden Champions gegen Outsourcing?

Sie möchten Herr über die Technologie, aber auch über die Informationen des Kunden bleiben. Zudem garantiert die hohe Fertigungstiefe im eigenen Haus, dass die Unternehmen im Bedarfsfall sehr schnell reagieren können.

In vielen Hidden Champions trifft man auf einen patriarchischen Führungsstil. Was macht ihn so erfolgreich?

Vor allem wenn das Unternehmen inhabergeführt ist, ist der Führungsstil patriarchisch. Er wird gerne mit dem autoritären Führungsstil verwechselt, unterscheidet sich aber grundsätzlich. Ein Patriarch hat etwas Väterliches und Fürsorgliches. Er fördert das unternehmerische Denken der Mitarbeiter. Er kennt deren Kompetenzen, vertraut darauf und leidet nicht unter einem permanenten Kontrollzwang. Der Chef nimmt sich aber auch heraus, im Falle von Problemen nach den Gründen und Lösungen zu fragen, sich einzuschalten und zu korrigieren. Die Chefs bleiben übrigens durchschnittlich 18 bis 20 Jahre in einem Unternehmen und damit viermal so lange wie Geschäftsführer in Großkonzernen. Auch Mitarbeiter haben eine deutlich längere Betriebszugehörigkeit. Hier spielen Loyalität und Identifikation mit der Firma die entscheidende Rolle.

Die Digitalisierung verändert unseren Arbeitsalltag rasant, nicht wenige Firmen sind gerade dabei, ihre Unternehmenskultur grundlegend zu reformieren. Wie gut sind die Hidden Champions auf diese neue Zeit vorbereitet?

Sehr gut aufgrund ihrer Fähigkeiten zur Anpassung und Veränderung durch Lernen und Antizipation. Die informellen Kommunikationswege, die Möglichkeit, Hierarchien und vor allem Abteilungsgrenzen zu überspringen, macht aus den Hidden Champions sehr agile Unternehmen, und die sind in Zeiten der Digitalisierung klar im Vorteil. Hinzu kommt, dass die patriarchische Führungskultur viele Ängste in Zeiten des Wandels nimmt. Sorgen müssen sich da wohl eher die ganz großen Unternehmer machen.

Wie finden Sie als Forscher neue Hidden Champions?

Die Unternehmen rufen natürlich nicht bei uns an und melden sich. Wir müssen sie suchen und identifizieren. Das erfolgt häufig auf Messen wie jetzt auf der Intec in Leipzig, durch vielfältige Praxiskontakte und Nachforschungen, praxisbezogene Abschlussarbeiten oder Praxissemester unserer Studierenden.

Über welchen Zeitraum tragen die Erfolgsmuster, oder anders gefragt, einmal Hidden Champion, immer Hidden Champion?

Die Forschung und auch meine Interviews mit den Unternehmern belegen, dass die Hidden Champions mit der Marktführerschaft vor allem den Anspruch verbinden, den Markt, die Wettbewerber und die Kunden auch zu führen. Diese Grundeinstellung impliziert, dass die Firmen Standards setzen möchten, an denen sich alle anderen messen müssen. Hidden Champions sind hungrig, sie haben Wachstumsambitionen. Das unterscheidet sie beispielsweise von einem mittelständischen Türschlosshersteller, der in Deutschland eine solide Marktposition hat. Der Inhaber hat eine Jacht auf Mallorca, ein Ferienhaus im Tessin und eins in der Toskana. Der ist zufrieden mit sich und der Welt, mit seiner Marktposition – kurz gesagt, er ist satt. Das ist nicht verwerflich, denn er hat viele Mitarbeiter in Lohn und Brot und schafft Werte für unsere Gesellschaft, aber er ist eben kein Hidden Champion. Die Weltmarktführer sind dagegen auf Wachstumskurs, sie sind neugierig und sie sind bereit, neue Wege zu beschreiten, Regeln zu hinterfragen – die eigenen und die der anderen. Sie agieren vorausschauend, sind veränderungsbereit. Disruption kommt im Wortschatz eines Hidden Champions nicht vor. Er verändert sich stattdessen permanent. Das erklärt auch, warum bei Weltmarkführern auf 1.000 Mitarbeiter 30 Patente kommen. Bei Großkonzernen sind es nur fünf bis sechs.

Welche Fehler sollte man vermeiden, möchte man Marktführer bleiben?

Es gibt einige Umstände, die die Marktführerschaft kosten können. Wird ein Hidden Champion an einen Finanzinvestor oder an Großunternehmen verkauft und die Integration erfolgt mit der Brechstange, ist der Status in Gefahr. Auch Staatskrisen und -pleiten sind eine Bedrohung. Bestes Beispiel ist Griechenland, wo massiv an wissensintensiver Infrastruktur wie Schulen und Hochschulen gespart wird. Das könnte einige Unternehmen den Sprung in die Liga der Hidden Champions kosten.

Wie bewerten Sie Sachsen als Umfeld für Weltmarkführer?

In Sachsen sind die Bedingungen für Mittelständler hervorragend. Nicht zuletzt die hohe Dichte an Forschungseinrichtungen ist optimal, um Firmen vom wachstumsorientierten Mittelständler zum Hidden Champion zu machen. Viele Firmen hier sind sehr erfolgreich und auch noch hungrig. Sachsen ist quasi ein Biotop für Hidden Champions. Von den derzeit 29 identifizierten Weltmarktführern im Freistaat kommen 20 aus dem Maschinen- und Anlagenbau bzw. aus der Schwerindustrie, und ich bin sicher, ihre Zahl wird wachsen.

Das Gespräch führte Ines Mallek-Klein.