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Wieder mobiler im Alter

Spezielle Therapien sollen Senioren vor der Pflege bewahren. Nach der Reha in Zwenkau können die meisten zurück nach Hause.

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© Ronald Bonß

Von Gabriele Fleischer

Waltraud Tomaczak hat Probleme mit dem Laufen. Die 84-Jährige aus Leipzig ist zwar geistig noch fit. Aber Alltagsdinge fallen ihr zunehmend schwerer. An eine Reha hatte sie nie gedacht. Erst als sie vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen wegen einer Pflegestufe begutachtet wurde, hörte sie von der Möglichkeit. Kinder und Enkel redeten ihr zu. Und so bekam sie zwei Monate nach ihrem Antrag die Zusage, für drei Wochen ins Geriatriezentrum Zwenkau zu fahren. Es ist eine von vier Kliniken in Sachsen, die sich auf die Rehabilitation alter, kranker Menschen spezialisiert haben.

Dr. Ralf Sultzer vom Geriatriezentrum in Zwenkau: Der 58-Jährige ist seit 16 Jahren Chefarzt und ärztlicher Direktor. Die Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin absolvierte er im Klinikum St. Georg Leipzig. Seit 1994 ist er in der Geriatrie tätig. Neu
Dr. Ralf Sultzer vom Geriatriezentrum in Zwenkau: Der 58-Jährige ist seit 16 Jahren Chefarzt und ärztlicher Direktor. Die Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin absolvierte er im Klinikum St. Georg Leipzig. Seit 1994 ist er in der Geriatrie tätig. Neu © Ronald Bonß

Im Geriatriezentrum Zwenkau, das seit 2017 zu den Sana Kliniken Leipziger Land gehört, hängen Kinderzeichnungen in den Gängen: ein Skateboard fahrender Opa, ein Senior als Batman und eine flotte ältere Dame unterwegs mit dem Rollator. So stellen sich Teenager aus Markleeberg Bewegung im Alter vor. Die Patienten in Zwenkau sind im Durchschnitt 81 Jahre alt. „Bewegung ist bei ihnen genau unser Ansatz“, sagt der ärztliche Direktor Dr. Ralf Sultzer – wenn auch etwas anderer Art.

Die Diagnose

Knapp 50 Prozent der Patienten treten die geriatrische Reha nach einer chirurgischen Behandlung an, also nach Brüchen in Beinen, Armen und Hüftgelenken. Viele haben Endoprothesen und ein hohes Sturzrisiko. „Hier dürfen wir keine Zeit verlieren. Die Muskeln müssen schnell wieder aufgebaut werden. Denn je länger man damit im Alter wartet, umso schwieriger wird es“, sagt Ralf Sultzer, der auch Chefarzt ist.

15 bis 20 Prozent der Patienten haben neurologische Erkrankungen, kommen beispielsweise nach einem Schlaganfall und haben Koordinationsschwierigkeiten. Andere werden nach internistischen Behandlungen zur Reha geschickt. Oft sind es mehrere Krankheiten wie die Operation eines Bruchs, Orientierungsstörungen und Diabetes. „Ziel ist es, Menschen mit körperlichen und geistigen Gebrechen auf den Alltag vorzubereiten und möglichst eine dauerhafte Pflege zu verhindern“, sagt Sultzer. Treten schwere akute Erkrankungen auf, müssen sie zurück in die Klinik.

Die Patienten

Nach Zwenkau werden die meisten Patienten direkt nach einem Krankenhausaufenthalt geschickt. Klinikarzt und Sozialdienst stellen den Antrag. „Bei uns sind es fast 80 Prozent, die bei der Anschlussreha eines der 86 Betten belegen“, sagt Dr. Sultzer. 15 Prozent würden nach einer Pflegebegutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung einen Antrag stellen, weitere fünf Prozent auf Empfehlung des Hausarztes. Für sie könne die Wartezeit auch mal einige Wochen oder Monate dauern. „Da entscheiden Indikation, Dringlichkeit und Wünsche“, so der Chefarzt. Wer in eines der sieben Einzelzimmer möchte, muss mehr Geduld haben. Wird Sauerstoff benötigt, sollte neben dem Pflegebett ein mobiles Sauerstoffgerät verfügbar sein. 24 solcher Betten gibt es in Zwenkau. Sind die belegt, dauert es länger.

Die Kassen geben vor, dass die genehmigte Reha innerhalb von sechs Monaten anzutreten ist. Länger wartet auch in Zwenkau niemand. „Zwei Drittel unserer Patienten sind Frauen. Das hat nichts damit zu tun, dass die Männer nicht wollen. Die Frauen leben meist länger“, sagt Sultzer. Angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung steige der Reha-Bedarf aber insgesamt an.

Die Therapien

Je nach Indikation wird für den dreiwöchigen Aufenthalt ein Therapieplan erstellt. Wichtig sind Bewegung und Sturzprophylaxe. „Viele Patienten sind nach Stürzen oder Schlaganfällen nicht mehr mobil. Wir wollen Muskeln aufbauen und ihnen Unsicherheiten nehmen“, sagt Sultzer. Geübt wird Laufen auf dem Gang, über einen Parcours und auf einem speziellen Laufband, das den Möglichkeiten der älteren Patienten angepasst ist. Neben intensiver Krankengymnastik mit und ohne Geräten führen Physiotherapeuten Wärme- und Kältebehandlungen, Kneippsche Güsse, Atemtherapie, Massagen und Lymphdrainagen durch. Eine zweite Säule ist die Ergotherapie. Dort geht es ums Training für das tägliche Leben. „Viele Ältere müssen nach schweren Krankheiten erst wieder lernen, wie sie sich waschen, anziehen, essen und kochen können“, erklärt der Chefarzt. Seit vergangenem Jahr helfen eine komplette Küchen- und Badeinrichtung sowie eine Wand mit Wasserhahn, Steckdose, Griffen und Schloss beim Üben alltäglicher Aufgaben.

Im Ergotherapie-Plan stehen zudem Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstraining sowie Kreativangebote wie Arbeiten mit Ton, Singen und Musizieren. Logopäden behandeln Sprach-, Stimm-, Kau- und Schluckstörungen oder Lähmungen der Gesichtsmuskulator. Bei der Ernährungsberatung bekommen die Patienten Hinweise, welche Lebensmittel sie bei Erkrankungen wie Gicht oder Rheuma lieber weglassen, wie sie Fehlernährung vermeiden oder sich bei Diabetes ernähren sollten. „Psychologen bieten Einzel- und Gruppengespräche und psychotherapeutische Maßnahmen an“, sagt Sultzer. Einen wesentlichen Beitrag bei der Therapie übernehmen die Pflegekräfte. Denn das Erlernte setzen sie mit den Patienten um. „Zum Rehakonzept gehören Pflege- und Therapietage für Angehörige“, so der Chefarzt. Sie müssten wissen, wie sie Eltern oder Großeltern später helfen können.

Während der Reha kümmern sich Internisten, Geriater, Rehamediziner, Neurologen, Therapeuten, Sozialarbeiter, Psychologen, Diätassistenten und Pflegepersonal um die Patienten. „Eine solche fachübergreifende Zusammenarbeit im Team ist bei der Geriatrie etwas Besonderes“, so Sultzer.

Bei schwerkranken Patienten, die zu schwach für eine Behandlung in der Klinik oder zu sehr in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, ist die mobile Reha eine Alternative. Die wird in Sachsen aber nur vom Klinikum Chemnitz angeboten. „Die Patienten werden dabei an 20 Behandlungstagen für jeweils zwei Therapieeinheiten besucht, pro Woche drei Tage“, sagt Verwaltungsleiter Ludwig Heinze. „Das können Physio- und Ergotherapie, Logopädie und Psychologie sein.“ 80 bis 100 Rehabilitanden würden in diesem Jahr im Umkreis von 25 Kilometern betreut, 1 500 in der stationären Reha. Die Wartezeiten sind kurz: „Maximal zwei Wochen sind es bei einer Anschlussreha, egal ob mobil oder stationär“, so Heinze. Ist die Reha nicht akut, haben die Patienten Wünsche für eine bestimmte Zeit oder fehlen Unterlagen, kann es ein paar Wochen länger dauern.

Der Reha-Erfolg

„94 Prozent der Patienten werden nach der Reha nach Hause entlassen. „Weil viele ihren Alltag aber noch nicht vollständig allein meistern können, müssen ihnen Angehörige oder Pflegedienste helfen“, sagt Ralf Sultzer. Mitarbeiter des Sozialdienstes informieren die Patienten über Dienste, Alltagsbegleiter, Nachbarschaftshelfer, Selbsthilfegruppen, Pflegekassen und Sozialämter. Die Therapeuten geben den Patienten Hinweise zu Möglichkeiten der Nachbehandlung wie Rehasport, Übungspläne und Tipps für den Alltag. Wenn sich Ärzte davon einen Erfolg erhoffen, kann die Reha um ein bis zwei Wochen verlängert werden. Bei der Entlassung bekommt jeder Patient sein Reha-Buch mit, in das er sich während der Therapien Notizen macht.

Problematischer wird es, wenn die Patienten von der geriatrischen Reha nicht nach Hause können und kein Heimplatz frei ist. Wichtig sei es deshalb, schon zu Beginn der Erkrankung oder eines Krankenhausaufenthaltes mit Ärzten und Pflegern über realistische Ziele zu sprechen – Woche für Woche – und notfalls weitere Pflege zu organisieren, so Sultzer. „Im Internet gibt es unter anderem beim Portal Pflegenetz.Sachsen.de Informationen.“

In Zwenkau soll die oft schwierige lückenlose Betreuung mit einem Altersmedizinischen Zentrum gesichert werden. Neben der Reha-Klinik sind dort die Klinik für innere Medizin, Akutgeriatrie, Tagesklinik und eine Institutsambulanz unter einem Dach. „So etwas gibt es bisher in Sachsen noch nicht“, sagt Sultzer. Mit der Ambulanz sollen Hausärzte in der Betreuung geriatrischer Patienten unterstützt werden.

Patientin Waltraud Tomaczak kommt nach der Reha zu Hause wieder besser zurecht. Die „Rehaklinik bot mir viele Möglichkeiten, meine Beweglichkeit zu stabilisieren und die Muskeln zu kräftigen“, sagt die gelernte Damenschneiderin. Sie nutzte jede Gymnastikstunde, hob Bälle, zog an Seilen und trat auf dem Fahrradergometer in die Pedalen. Mit ihrem Rollator spazierte sie oft im Park hinter der Klinik, meist mit ihrer Zimmernachbarin. Gespräche waren ihr genauso wichtig. „Und ich habe gelernt, vor dem Aufstehen aus dem Bett ein paar Übungen mit den Armen und Beinen zu machen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen“, sagt sie.

Lesen Sie am Donnerstag: Welche Fortschritte sind nach einem Schlaganfall möglich? Der Chefarzt der Bavaria Klinik Kreischa erklärt eine 6-Phasen-Therapie.