Merken

Willkommen bei den Korchs

Die Radeberger Fleischerfamilie ist mit Fleiß und Ehrgeiz reich geworden. Ihre Beschäftigten werden streng geführt. Reibereien bleiben da nicht aus.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Ulrich Wolf

Die vier Verkäuferinnen in der Fleischerei-Filiale im Lidl-Markt in Radeberg sind im Stress. Es ist Mittagszeit. Drei Hirschknacker werden gewünscht. Zwei Kamenzer. Ein anderer Kunde will einen Imbiss: Feuerfleisch. Soljanka und Schnitzel sind auch im Angebot. Was der Sachse eben so isst. Auf der Ladentheke steht ein elektronischer Bilderrahmen. Mit ihm wirbt die Fleischerei um Auszubildende. „Willkommen in der Korch-Familie“, lautet das Motto.

Dort, auf dem Terrain des Lidl-Marktes an der Oberstraße, begann der ganz persönliche Aufbau-Ost der Korchs. Vater Georg kaufte 1990 mit 59 Jahren das Grundstück des VEB Radeberger Fleischwaren. Doch das ehemalige Volkseigentum war nicht mehr viel wert: Schon zwei Jahre später zogen die Korchs mit der Firma vor die Tore der Stadt. Sie erweiterten, investierten, modernisierten, stellten ein. 130.000 Wiener und 2.400 Becher Streichwurst spuckt ihr Werk inzwischen aus – pro Stunde. Fast 2.000 Schweine sind dafür nötig – am Tag. Aber nur sieben Rinder.

Kündigung ohne klaren Grund

Für Georg Korch, einst Fleischerlehrling in Hoyerswerda, nach der Walz Meister seines Fachs in Köln, erfüllte sich mit Radeberg seinen Traum von der Rückkehr in die Lausitzer Heimat. Für den damals 24-jährigen Sohn Michael war es der Beginn seiner Karriere. „Räucherkönig von Radeberg“ nennen sie ihn derweil. Den „Oscar des Mittelstands“ hat er gewonnen, die ostdeutschen Sparkassen wählten ihn zum „Unternehmer des Jahres“.

430 Mitglieder stark ist seine „Korch-Familie“ geworden: 270 von ihnen produzieren und verwalten, 160 verkaufen. Geringfügig Beschäftigte sind darunter, aber keine Leiharbeiter. Ende März werden die Korchs in der neuen Dresdner Altmarkt-Galerie ihre dreißigste Filiale eröffnen. „Eine Firma dieser Größe in dieser Branche zu führen, das geht nur mit einem knallharten Regiment“, sagt ein Banker. Seit 1992 führt Michael Korch die Geschäfte. Der mittlerweile 44-Jährige lehnt sich zurück in seinen schwarzen, mit Leder bezogenen Bürostuhl. Die Wände sind gespickt mit Urkunden für prämierte Produkte, mit Musterverpackungen und Schwarz-Weiß-Fotos aus der Firmengeschichte. „Wir sind hier kein Regiment“, sagt er. „Wir sind ein Familienbetrieb. Und ich mache mit meinem Führungsteam die Spielregeln.“ Eine Regel lautet: „Sollten Fehler passieren, so werden sie nur dann toleriert, wenn sie nicht wiederholt werden.“

Nun könnte der Chef selbst einen Fehler gemacht haben. Kurz vor Weihnachten vorigen Jahres ließ er über seinen langjährigen Radeberger Betriebsleiter Gerhard Frey eine Verkäuferin kündigen. Sie soll von der Firma Radeberger Fleisch- und Wurstwaren Korch GmbH in die Firma Korch Fleischwaren GmbH wechseln. „Zu denselben Konditionen mit einem Stundensatz von 6,83 €“, heißt es in dem Schreiben. Viel Zeit zum Überlegen ließ Frey der Verkäuferin nicht. Die Kündigung datiert vom 3. Dezember, der Start in der neuen Firma sollte am 1. Januar erfolgen. „Für den Fall, dass Sie unser Angebot nicht annehmen, weisen wir Sie darauf hin, dass Sie verpflichtet sind, sich unverzüglich nach Erhalt der Kündigung bei Ihrer für Sie zuständigen Agentur für Arbeit zu melden“, lautet der Schlusssatz.

Michael Korch ist nur kurz überrascht, als er damit konfrontiert wird. Schnell findet er sein Lächeln wieder. Wie er so dasitzt, lässig in Jeans, Hemd und Pullover mit übereinandergeschlagenen Beinen – er könnte glatt die Rolle eines Schönlings in einer TV-Soap übernehmen. Er könnte Chefarzt sein oder Banker oder Unternehmensberater. Dass er Fleischer ist wie sein Vater, das passt nicht so recht ins Bild. Fleischermeister stellt man sich einfach anders vor. Etwas grober vielleicht. Korch junior hingegen, mit einst 23Jahren jüngster Meister seiner Zunft in Nordrhein-Westfalen, geht mit dem Vorwurf merkwürdiger Kündigungsmethoden souverän um wie ein dafür geschulter Manager.

„Das wundert mich, dass diese Kündigung als unrecht empfunden wird“, sagt er. Die Mitarbeiterin wechsle doch nur die Filiale, nicht den Betrieb. Das sei so üblich, es habe nie Probleme gegeben. Gleichwohl räumt er ein, dass sich eine Beschäftigte einen Rechtsanwalt genommen habe, „und eine Sonderprüfung hatten wir auch“. Die Wechslerei begründet er mit dem Aufbau einer „langfristigen Unternehmenskonstellation.“

Schon möglich, sagt dazu Volkmar Heinrich. Der Regionalchef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Dresden hebt bedauernd die Schultern: „Solche Praktiken sind üblich.“ Es handle sich um eine normale Änderungskündigung. Die vorgeschriebene Frist sei zwar nicht eingehalten, und ein Gericht würde deshalb das Schreiben für unwirksam erklären. Aber dafür müsste die Mitarbeiterin schon selbst klagen.

Die Korchs haben keinen Grund zu klagen. Sie sind vermögend. Ihr Haus in einer Neubausiedlung im Osten Radebergs steht auf einem kleinen Hügel. Weiße Klinker, Schieferdach, Solaranlage, Satellitenschüssel. Die Vorderseite ist großzügig verglast. Stelen beleuchten die betongepflasterte Treppe zum Eingang. Der große Garten hat zwei Zufahrten, die Garage eine unterirdische Einfahrt. Elegant wirkt die Anlage, aber nicht protzig. Korchs Eltern, die beide auf die Achtzig zugehen, wohnen mit im Haus. „Von ihnen habe ich viel gelernt“, sagt der Sohn. Zielstrebigkeit, Disziplin, Ehrgeiz, Pünktlichkeit, Ordnung.

Wie dereinst sein Vater, ist nun der Sohn täglich in der Firma, auch am Wochenende. Er steht um sechs Uhr auf, dreht täglich einige Runden im eigenen Schwimmbad. Wenn möglich, spielt er einmal die Woche Tennis. Er fährt Ski, joggt. Im vorigen Jahr absolvierte er seinen ersten Halbmarathon. Sport war ihm immer wichtig. Beim Volleyballtraining in seiner Jugend begegnete er erstmals Andrea, eine gelernte Arzthelferin. Kurz nach dem Start in Radeberg, im Juli 1990, heirateten sie. „Anfangs wusch Andrea neben der Arbeit im Büro noch die Windeln vom Nachwuchs.“ Die mittlerweile 19-jährige Tochter Sandra hat das Abitur und eine Einzelhandelslehre in der Tasche; nun will sie Betriebswirtschaft studieren. Ihr Bruder Christian steckt mit 17 mitten im Abitur.

„Als sie noch kleiner waren“, erinnert sich ihr Vater, „saßen sie manchmal heulend am Tisch, weil andere Schüler ihnen die ,Geldscheiße‘ vorwarfen.“ Dabei gebe es strenge Taschengeldgrenzen, und sie müssten Buch führen über ihre Einnahmen und Ausgaben.

In den Büchern der elterlichen Korch-Firmen stehen für 2009 Umsätze von 46 Millionen Euro – und Millionengewinne. Die reichen locker für Ski- und Strandurlaub mit der Familie und auch für einen neun Jahre alten Porsche. „Ich habe schon oft gesehen, dass Michael den Wagen selbst wäscht“, sagt Nachbar und Musikproduzent Alexander Bormann. Die Familie sei bodenständig. Das sieht auch Uta Bresan so. Die TV-Moderatorin kennt die Korchs schon lange. Ihr Vater ist gemeinsam mit dem von Michael zur Schule gegangen. Er diente den Korchs zehn Jahre als Technischer Leiter.

Schon vor dem Mauerfall besuchte Vater Korch mit Michael immer wieder sein Heimatdorf Sollschwitz bei Wittichenau. „Später kam der Micha auch mal allein, mit einem braunen VW-Scirocco. Das war natürlich ein Erlebnis, als ich den mal fahren durfte“, schwärmt Uta Bresan. Der Micha, sagt sie, der sei eine ehrliche Haut. „Ein liebenswerter Typ, der eine Schwäche für die schönen Dinge des Lebens hat.“

Komplexe Firmenstrukturen, diffuse Änderungskündigungen schwer durchschaubare Geldflüsse – für den NGG-Experten Heinrich sind das weniger schöne Dinge. Aber Unternehmer nutzten sie, um Steuern zu sparen, Fördermittel abzuschöpfen und Sozialkosten niedrig zu halten. „Alles legale Tricks zur Gewinnmaximierung.“

Prämien ohne Betriebsrat

Ein Betriebsrat ist dabei nur hinderlich. Bei den Korchs ist der nicht willkommen. Er zahle aber „branchenüblich“, sagt der Chef. Firmenmitglieder der Sächsischen Fleischerinnung zahlen für Fachverkäuferinnen mindestens 7,50 Euro die Stunde, Korch zahlt weniger. „Sie dürfen aber nicht nur die 6,83Euro aus dem Kündigungsschreiben zum Maßstab nehmen“, sagt er. Die Mitarbeiter erhielten auch noch Prämien, die sich an Freundlichkeit, Fleiß und Einsatzbereitschaft bemäßen.

„Stimmt“, bestätigt die Verkäuferin in der Korch-Filiale an der Radeberger Oberstraße, dort, wo alles begann. Sie sei 15 Jahre dabei, und das mit der Änderungskündigung habe sie auch schon durch. Im vorigen Jahr hätten sie alle drei Prozent mehr Lohn erhalten. Und die Prämie noch zusätzlich. Was der Chef als Lohn für „Einsatzbereitschaft und Fleiß“ umschreibt, ist für sie allerdings eine Art Gewinnbeteiligung, die sich strikt am Umsatzwachstum jeder Filiale orientiert.

„In diesem Jahr wird’s für 2010 wohl keine Prämie geben“, sagt sie. Da habe sich beim Umsatz kaum etwas getan. Und nun ist auch noch der Dioxin-Skandal da. „Wir haben BSE überstanden, die Schweinegrippe, da werden wir auch das überstehen“, sagt die Verkäuferin im rot-schwarzen Firmen-Einheitsdress. „Ich arbeite jedenfalls gern bei den Korchs.“ Der nächste Kunde ruft. Er will Lachsschinken.