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„Wir hatten Freital schon lange im Auge“

Mithilfe der GSG9 wurde die selbst ernannte Bürgerwehr überrumpelt. Die Gruppe hatte offenbar ein klares Ziel.

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© SZ

Von Andrea Schawe

Erst vor neun Tagen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen die selbst ernannte „Bürgerwehr FTL/360“ aus Freital wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung übernommen. Am Dienstag handelte die Bundesanwaltschaft. Mehr als 200 Beamte, darunter auch die Sondereinheit GSG9, durchsuchten Wohnungen und Häuser in Freital und Umgebung. Details wollte die Bundesanwaltschaft nicht nennen. Festgenommen wurden aber vier Männer und eine Frau: der 18-jährige Justin S. sowie Rico K. (39), Sebastian W. (25), Mike S. (26) und Maria K. (27). Ihnen werden die Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung, schwere Körperverletzung, das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen und versuchter Mord vorgeworfen.

Die Bundesanwaltschaft verdächtigt die fünf, spätestens im Juli 2015 eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet zu haben, die von den Ermittlern „Gruppe Freital“ genannt wird. Sie sollen Mitglieder gewesen sein. Anführer seien nach Ansicht der Generalbundesanwaltschaft der 27-jährige Freitaler Timo S. und der 24-jährige Dresdner Patrick F. Beide wurden zusammen mit dem 29-jährigen Freitaler Philipp W. schon im November 2015 verhaftet und sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Ihre Zellen wurden ebenfalls durchsucht, bestätigte ein Sprecher.

Entscheidende Infos im März

Gegen Maria K. lag im November ebenfalls schon ein Haftbefehl vor, der aber gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt wurde. Die Dresdner Justiz hatte auch schon gegen Justin S. in Verbindung mit der Bürgerwehr ermittelt. Die Ermittlungen gegen Rico K., Sebastian W. und Mike S. führte die Generalstaatsanwaltschaft bisher getrennt von dem Verfahren gegen die Bürgerwehr.

Rechter Terror in Deutschland

Im März 2005 werden Mitglieder des „Freikorps Havelland“ zu Haftstrafen zwischen acht Monaten und viereinhalb Jahren verurteilt. Die Jugendlichen hatten in den Jahren 2003 und 2004 mehrere Anschläge auf Geschäfte und Imbisse von Ausländern verübt. „Wenn sich elf junge Männer zu einer Vereinigung zusammenschließen, um „das Havelland von Ausländern zu säubern“, ist das terroristisch“, hieß es in der Urteilsbegründung des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes (OLG).

Im Mai 2005 verurteilt das Bayerische Oberste Landesgericht in München den Neonazi Martin Wiese zu sieben Jahren Haft. Als Anführer einer selbst ernannten „Schutzgruppe“ hatte er einen Bombenanschlag auf die Einweihungsfeier des Jüdischen Zentrums in München geplant. Wiese und die drei mit ihm verurteilten Täter waren Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung „Kameradschaft Süd“.

Seit Mai 2013 wird in München gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Unterstützer der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verhandelt. Über Jahre sollen Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt laut Bundesanwaltschaft unerkannt gemordet haben. Zwischen 2000 und 2007 erschoss die Gruppe nach derzeitigen Erkenntnissen zehn Menschen. Zudem soll sie mit Sprengstoffanschlägen Dutzende verletzt haben.

Am 27. April 2016 beginnt vor dem OLG München der Prozess gegen den mutmaßlichen Gründer der „Oldschool Society“ (OSS), Andreas H., und drei Mitangeklagte unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Ermittler gehen davon aus, dass die mutmaßlichen OSS-Mitglieder Anschläge gegen Asylbewerber-Unterkünfte, Moscheen und Salafisten planten.

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„Wir hatten die Geschehnisse in Freital schon sehr lange im Auge“, sagt Frauke Köhler, Sprecherin des Generalbundesanwalts. Damit dieser einschreiten kann, brauche er belastbare Anhaltspunkte für terroristische Strukturen. „Diese haben wir von den sächsischen Behörden im März erhalten.“ Nach SZ-Informationen soll die Akte mehr als 7 000 Seiten umfassen, darunter auch Chat-Protokolle, in denen verabredet wird, wer die Sprengsätze besorgt. Außerdem sollen einige Mitglieder der Bürgerwehr ausgesagt haben.

Seit April 2015 wollte die Bürgerwehr in Bussen in Freital und Umgebung patrouillieren, um „für Sicherheit und Ordnung zu sorgen“, hieß es auf der Facebookseite. Kurz zuvor hatten zwei Marokkaner in der Buslinie 360 mehrere Schüler belästigt und geschlagen. Timo S. ist hauptberuflich Busfahrer beim Regionalverkehr Dresden (RVD), genauso wie Philipp W. Beide engagierten sich auch im Umfeld der Bürgerinitiative Freital, die früher „Freital wehrt sich“ hieß, genau wie weitere Mitglieder der Bürgerwehr. Timo S. stammt aus Hamburg und zog erst im Herbst 2014 nach Freital. Fotos und Videos zeigen ihn bei NPD-Kundgebungen, er hat Kontakte zu rechten Kameradschaften.

Bei Patrouillen in Bussen blieb es nicht. Im Sommer mischte die Bürgerwehr bei den Demos vor dem ehemaligen Leonardo-Hotel mit. Danach war sie auf allen Demos in der näheren Umgebung präsent: Sie waren in der Bremer Straße in Dresden, als dort das Zeltlager für Flüchtlinge errichtet wurde und Baustellenbaken auf Gegendemonstranten flogen. Auf den Krawallvideos der Ausschreitungen in Heidenau Ende August ist Timo S. zu identifizieren.

Pyrotechnik aus Tschechien

Den Ermittlungen zufolge war es das Ziel der Gruppe, Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte und Wohnprojekte politisch Andersdenkender zu verüben. Bei mehreren Durchsuchungen in den Wohnungen der Verdächtigen im November, März und am Dienstag wurde illegale Pyrotechnik aus Tschechien gefunden.

Die Bundesanwaltschaft rechnet der Gruppe bisher drei Anschläge zu. Zuletzt sollen sieben der acht Beschuldigten Anfang November einen Anschlag auf eine Freitaler Asylbewerberwohnung verübt haben. An drei Fenstern gingen Sprengsätze hoch. Durch die zerborstenen Fensterscheiben wurde ein Syrer verletzt. Die Bundesanwaltschaft geht von versuchtem Mord aus. Außerdem geht es um Sprengstoffangriffe auf das Linken-Büro in Freital sowie auf das Auto des Freitaler Linken-Stadtrats Michael Richter.

Freitals Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) bewertet die weiteren Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe sehr positiv. Noch im März hatte die Stadtspitze mitgeteilt, es sei ein „leider überregional bei manchen eingebürgertes Klischee“, dass es „gerade in Freital eine nennenswerte Nazi-Szene“ gäbe.