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„Wir sind eine Marke“

Kreischende Teenies und Fan-Hysterie waren einmal: Die Backstreet Boys plagen sich jetzt mit Muskelkater, gehen aber voller Elan auf Tour.

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Die Backstreet Boys heute: Kevin Richardson (2. v. r.), AJ McLean (2. v. l.) und ihre Bandkollegen tanzen heute nicht mehr ganz so wild wie einst.
Die Backstreet Boys heute: Kevin Richardson (2. v. r.), AJ McLean (2. v. l.) und ihre Bandkollegen tanzen heute nicht mehr ganz so wild wie einst. © Sony

Gute Popmusik ist keine Frage des Alters – meinen die Backstreet Boys, die Boyband-Ära, Solo-Flops und selbst Las Vegas überlebt haben. Ein Jahr nach ihrem 25. Dienstjubiläum geht die Boyband, die keine sein will, mit neuem Album „DNA“ auf Tour und kommt im Frühjahr für fünf Konzerte nach Deutschland. Ein Gespräch mit Kevin Richardson und Ex-Bad Boy AJ McLean.

Meine Herren, haben Sie nie darüber nachgedacht, das Wort Boys zu streichen oder gegen etwas Erwachseneres auszutauschen?

AJ McLean: Viele Leute meinen, wir sollten uns doch Backstreet Men oder einfach Backstreet nennen. Aber die Sache mit den Boys ist halt, dass sie für Homies stehen, für Brüder und Freunde. Deshalb gibt es die Beach Boys, die Oakridge Boys, die Pet Shop Boys, die Beastie Boys. Die sind alle noch viel älter als wir, und nennen sich trotzdem so. Insofern werden wir immer die Backstreet Boys sein. Das ist wie eine Marke. Eine Sache fürs Leben.

Hand aufs Herz: Wie denken Sie heute über die Hysterie, die Sie in den 90ern erlebt haben? Sind Sie froh, dass das vorbei ist?

Kevin Richardson: Ich werde nie vergessen, wie wir das erste Mal nach Deutschland gekommen sind, wo sich „We Got It Going On“ zum Hit entwickelte. In den Staaten lief es eher so lala – aber bei euch ging es richtig ab.

McLean: Es war Schicksal. Bestimmung.

Richardson: Ihr habt uns mit offenen Armen aufgenommen und das nie vergessen. Deshalb freuen wir uns wahnsinnig auf die kommende Deutschlandtournee. Wir lieben das Land und die Leute.

Praktizieren Sie noch dieselben aufwendigen Tanzchoreografien wie früher oder haben Sie die mittlerweile zurückgeschraubt?

Richardson: Das Einzige, was wir nicht mehr machen, ist ganz tief auf den Boden zu gehen

McLean: Weil wir Gefahr laufen, nicht mehr hochzukommen.

Richardson: Früher haben wir uns viel auf dem Boden bewegt, sind auf und ab gesprungen und sind auf die Knie gegangen. Das tun wir inzwischen nicht mehr – aber doch alles andere. Schließlich hält uns das jung. Wenn wir auf der Bühne sind und performen, spüren wir die Energie des Publikums und das gibt uns einen Kick. Es ist, als würden wir in der Zeit reisen, denn die Euphorie ist dieselbe wie damals. Das Einzige, was sich geändert hat, ist das Gefühl, wenn man von der Bühne kommt. Da merkt man dann, dass wir 2019 haben. Denn es tut alles ein bisschen weh, die Knie schmerzen, der Rücken ebenfalls und am nächsten Morgen hast du fürchterlichen Muskelkater.

Die Backstreet Boys vor gut 20 Jahren: Wo auch immer die Jungs damals auftauchten, wurden sie von hysterischen Fans empfangen. 
Die Backstreet Boys vor gut 20 Jahren: Wo auch immer die Jungs damals auftauchten, wurden sie von hysterischen Fans empfangen.  © Sony

Also spüren Sie das Alter?

Richardson: Klar und wie. Nur: Wenn wir vor Publikum stehen, ist es wie weggeblasen. Das Alter spielt sich nur im Kopf ab – und wenn du am nächsten Morgen aufwachst.

Was halten Sie von der aktuellen Popmusik? Inwieweit identifizieren Sie sich damit, inwieweit konkurrieren Sie noch damit?

Richardson: Na ja, die jungen Künstler, die gerade aufkommen, stellen das Geschäft schon ziemlich auf den Kopf. Aber, und das finde ich interessant: Vieles von dem, was ich da höre – und das meine ich mehr im Hinblick auf die Formel als auf den Sound – erinnert mich an Deutschland in den 90ern. Also die Konstruktion der Songs in puncto Beats und Refrain, ist nahezu identisch. Genau wie der Einsatz eines Gastrappers. Selbst der Groove ist derselbe, den ich schon damals gehört habe.

Also die große Stagnation?

Richardson: Ich denke, die Popkultur ist extrem zyklisch – und die Musik sowieso. Sie bewegt sich im Kreis und was gestern alt war, ist heute wieder neu. Was aber auch gut für uns ist. Denn das Universum bringt uns momentan wieder eine Menge Liebe entgegen. Im Sinne von: Es gibt etliche Leute, die mit uns aufgewachsen sind, und die uns immer noch hören wollen. Außerdem haben viele von ihnen gerade das Heft in der Hand: Sie sind Führungskräfte, Geschäftsführer, Anwälte, Doktoren und Journalisten. Was ziemlich cool ist – und gut für uns.

Demnach hat es sich gelohnt, so lange durchzuhalten – als einzige Vertreter Ihrer Zunft?

Richardson: Irgendwie schon. Und ich erinnere mich noch an diese Frage, die man uns früher in jedem Interview gestellt hat. Nämlich: Macht ihr euch keine Sorgen, dass ihr eine Teenie-Band seid, dass euer Erfolg schon morgen vorbei sein könnte? Da war unsere Antwort: Wir sind Sänger, wir lieben Musik und wir haben immer davon geträumt, in dieser Industrie arbeiten zu können. Also hoffentlich halten wir uns da. Und bislang gab es zwar etliche Höhen und Tiefen, aber wir sind immer noch hier. Wir fühlen uns immer noch inspiriert, wir haben immer noch Spaß an dem, was wir tun, und wir touren gerne und viel. Von daher haben wir Glück, viel Glück sogar.

Fühlen Sie sich mittlerweile als Gesangsgruppe akzeptiert? Konnten Sie das Etikett der Boyband abstreifen?

Richardson: Definitiv! Ich meine, als wir damals unseren Durchbruch in Deutschland hatten, war die Formel der Boyband weitverbreitet und auch das Stigma, das damit einherging. Wir wurden in diesen Topf geworfen, weil wir halt fünf Jungs waren, die gesungen und getanzt haben. Aber in den meisten Gruppen gab es höchstens ein oder zwei Typen, die wirklich singen konnten. Der Rest sah nur gut aus, hatte aber keine Ahnung von a cappella. Wir dagegen waren immer stolz darauf, eine Harmoniegesangsgruppe zu sein, und das haben wir in jedem Interview betont. Eben, dass wir keine Boygroup sind.

Irgendwann haben Sie sich aber doch auf die kreischenden Teenager und die Bravo-Poster eingelassen.

McLean: Das haben wir mit der Zeit tatsächlich, einfach, weil dich das jung hält und eine nette Sache ist. Doch wenn wir heute irgendwo ein Radio-Interview geben oder eine technische Panne auf der Bühne haben, was immer mal wieder vorkommt, singen wir einfach a cappella – weil wir halt Sänger sind. Jeder von uns kann den Lead-Gesang übernehmen, aber wir sind auch eine Gruppe, ein Team. Das ist es, was uns zu dem macht, was wir sind: Eine starke Gesangsgruppe.

Ihr letztes Album liegt fast sechs Jahre zurück – in der modernen Popkultur eine halbe Ewigkeit. Warum hat „DNA“ so lange gedauert?

McLean: Wir haben fast drei Jahre daran gearbeitet, aber nicht durchgehend, sondern nur hier und da.

Richardson: Was allein daran liegt, dass wir zwischenzeitlich auf Tour waren und halt Familien haben.

McLean: Insofern ist es gar nicht so einfach, Termine zu finden, an denen wir alle verfügbar sind. Wir leben schließlich in verschiedenen Bundesstaaten und unsere Kinder – außer Nicks Sohn – gehen jetzt zur Schule. Ich selbst habe noch eine fast zweijährige Tochter, die bald den Kindergarten besucht. Das erfordert entsprechende Planung.

Gibt es noch etwas, das Sie noch nicht erreicht haben? Haben Sie noch Träume und Ziele?

McLean: Ich würde wahnsinnig gerne am Broadway auftreten, so wie Kevin das schon getan hat. Das war mir nie vergönnt. Und ich habe erst vor ein paar Tagen gelesen, dass sie da die Horrorkomödie „Beetlejuice“ aufführen. Da bin ich fast ausgeflippt, weil ich mir nichts Besseres vorstellen könnte. Das wäre großartig gewesen. Aber leider sind die Rollen schon besetzt und ich werde auf Tour sein. Insofern wird das leider nichts.

Warum ist es keinem von Ihnen je gelungen, eine erfolgreiche Solokarriere zu lancieren? Funktionieren Sie nur als Kollektiv?

McLean: Wir wissen mittlerweile nur zu gut, dass keiner von uns je so groß wird, wie wir fünf zusammen. Und das ist okay. Das haben wir verstanden. Trotzdem unterstützen wir einander, wenn jemand das Verlangen hat, Sachen auszuprobieren – also Schauspielerei, Theater, Solo-Alben, was auch immer. Doch am Ende des Tages hat die Band immer oberste Priorität. Sie ist und bleibt das Wichtigste. Also selbst wenn einer alleine einen gewissen Grad von Erfolg erreichen sollte: Er würde der Band nie den Rücken kehren und die Familie nie verlassen.

Was ist aus dem Badboy AJ McLean geworden, dem Rock ’n’ Roller der Backstreet Boys?

McLean: Er steht vor ihnen – ein zweifacher Familienvater, der wunschlos glücklich ist.

Der aber immer noch schwarz lackierte Fingernägel trägt.

McLean: Oh ja, genau wie Keith Richards. Die einzige andere Farbe, auf die ich mich noch einlasse, ist ein bisschen Pink. Einfach, weil ich eine Tochter habe. Und das ist halt unser Vater-Tochter-Ding: Sie lackiert mir die Fingernägel – am liebsten in Pink. Ich hatte sogar mal zwei Wochen lang pinke Fußnägel. Was toll aussah. Nicht, dass mich jemand damit gesehen hätte, aber es fühlte sich gut an.

Das Interview führte Marcel Anders.

Backstreet Boys

Gegründet wurden die Backstreet Boys 1993 in Orlando, Florida. Musikunternehmer Lou Pearlman zog dabei die Strippen. Den Bandnamen entlehnten die fünf Sänger – Howie Dorough, Alexander James „AJ“ McLean, Nick Carter, Brian Littrell und Kevin Richardson – einem Flohmarkt in Orlando, dem „backstreet flea market“.

Backstreet Boys

Ihr erster Hit war 1995 „We’ve Got It Going On“, bis heute verkaufte die Band weltweit 130 Millionen Tonträger.

Backstreet Boys

„DNA“ ist das neunte Album der Band und seit 25. Januar auf dem Markt. Im Frühjahr kommen die Backstreet Boys auf ihrer Tour auch nach Deutschland. Konzerte geben sie in Hannover (21.5.), Mannheim (25.5.), München (27.5.), Berlin (29.5.) und Köln (20.6.).

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