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„Wir stoßen in eine neue Dimension vor“

Heute startet Plastic Logic in Dresden die Produktion elektronischen Papiers. Die SZ sprach mit Konrad Herre, Chef von Europas größtem Risikokapital-Projekt.

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Herr Herre, das Festzelt für die Eröffnung steht. Aber noch wird überall gewerkelt. Ein Millimetereinlauf.

Ja, wir sind froh, alles in so kurzer Zeit geschafft zu haben. Anfang Januar 2007 fiel die Entscheidung für Dresden, im folgenden Mai war Grundsteinlegung, jetzt die Eröffnung – das muss mal einer nachmachen. Für die schnelle und kompetente Bearbeitung gebührt auch Stadtverwaltung und Wirtschaftsförderern Dank. Schnelligkeit ist in unserer Branche sehr wichtig.

Seit Ihrer Grundsteinlegung hat die Konkurrenz nicht geschlafen und erste Geräte auf den Markt gebracht: Sony den Reader, Amazon den Kindle, ...

Aber wir sind besser und stoßen in eine neue Dimension vor.

Das müssen Sie sagen, weil Sie etwas verkaufen wollen.

Nein. Unser Lesegerät im A4-Format ist viel größer als das der Konkurrenz. Dabei ist es flacher, robuster, wiegt weniger als 500 Gramm, ist per Touchscreen einfach zu bedienen, kann Texte markieren und verschicken, braucht kaum Strom und kann auch bei direktem Lichteinfall bestens gelesen werden.

Demnach fühlt sich Plastic Logic nicht als dritter Sieger?

Nein. Wir sehen uns ganz vorn. Natürlich verfolgen wir, was die anderen tun, und reagieren. Grundsätzlich halten wir unsere patentierte Lösung für die beste. Das jetzt mehrere mit ähnlichen Produkten auf den Markt kommen, macht es auch leichter und minimiert das Risiko.

Laut Apple-Chef Steve Jobs ist das Konzept grundlegend falsch, weil die Leute nicht mehr lesen würden. Lästert er, weil die revolutionäre Idee nicht auf seinem Mist wuchs?

Fragen Sie ihn. Ich erinnere an Ex-IBM-Chef Thomas Watson, der einst den Weltbedarf an Computern auf fünf geschätzt hat und die Entwicklung nicht mitgehen wollte. Das Ergebnis ist bekannt.

Ist der Markt wirklich reif?

Ich bin nach der preisgekrönten Präsentation des ersten Funktionsmodells vorige Woche in San Diego überzeugter denn je. Das Echo war groß, fast schon euphorisch.

Ihre Geldgeber wollen sicher bald Cash sehen.

Klar, der Erfolgsdruck ist da. Die 100-Millionen-Investition muss sich rechnen. Aber die Geldgeber, keine reinen Finanzinvestoren, verstehen Markt und Abläufe. Sie wollen eine neue Industrie beflügeln.

Wer soll das Produkt kaufen?

Angesichts der Speicherkapazität von Zehntausenden Seiten sprechen wir zuerst Geschäftsleute an, die Dokumente schnell und einfach verfügbar haben und nicht kiloweise Papier mit sich schleppen wollen – Anwälte oder Hausverwalter, die mit den Updates immer das aktuell Gesetz dabeihaben. Ganze Bücher lassen sich aufspielen.

Und Zeitungen?

Die Verlage haben sich mit ihren Online-Auftritten ja schon auf das digitale Zeitalter eingerichtet. Auf die neue SZ muss man dann nicht mehr bis zum Morgen warten, sondern hat sie immer taufrisch dabei.

Wann kommt das Gerät auf den Markt, und was wird es kosten?

Mitte nächsten Jahres in den USA. Bis dahin werden wir ein Vertriebsnetz aufbauen. Der Preis wird dem der Konkurrenzprodukte ähneln: zwischen 200 und 600 Euro.

Was fertigen Sie in Dresden?

Wir stellen nicht das komplette Gerät her, sondern ein flexibles Display mit seinen Mikroanschlüssen, also das Herzstück. Unsere hochautomatisierte Fabrik mit 80Beschäftigten startet mit einigen Hunderttausend Stück im Jahr. Später, wenn wir mit 140 Leuten rund um die Uhr arbeiten, sind es Millionen.

Sachsen rühmte sich immer seiner Kapazitäten in Forschung und Entwicklung – und ist jetzt nur noch Werkbank?

Wir entwickeln einen Prozess für die Massenfertigung. Das ist nicht zu unterschätzen.

Die Mikroelektronik-Leuchttürme in Dresden bauen ab und strecken Investitionen. Wird Ihnen da nicht bange?

Nein. Die Silizium-Produktion ist nicht tot, man braucht nur das richtige Produkt. Parallel entsteht mit uns und anderen ein „Organic-Valley“. Wir werden uns befruchten und haben noch Jahrzehnte innovativen Wachstums vor uns.

Gespräch: Michael Rothe

Unser Gesprächspartner (52) stammt aus Erfurt und hat in Jena Physik studiert. Konrad Herre kann auf 30 Jahre Erfahrung in der Mikroelektronik zurückblicken: zu DDR-Zeiten im Kombinat Mikroelektronik in Erfurt, später bei der dortigen X-Fab, bei Infineon in Berlin und zuletzt als Vorstand beim Dresdner Chiphersteller ZMD.