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„Wir wurden schon oft verfolgt“

Zwei Dresdner berichten im Internet über fremdenfeindliche Aktionen. Dafür kriegen sie und ihr „Straßengezwitscher“ einen Preis – und Drohungen.

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© Ronald Bonß

Von Linda Barthel

Sie sind jung, sie sind interessiert und sie haben etwas gegen Rassismus. Johannes Filous und Alexej Hock berichten auf Twitter über Pegida, fremdenfeindliche Demos und andere Aktionen rund um das Thema Asyl. Für ihren eigenständig finanzierten Account „Straßengezwitscher“ wurden die beiden 27-jährigen Dresdner jetzt mit dem renommierten GrimmeOnline-Award ausgezeichnet. Seit der Gründung im März 2015 haben sie schon mehr als 5 000 Tweets – Kurzbeiträge, die sich auf 140 Zeichen beschränken – veröffentlicht, die nach eigener Aussage rund drei Millionen Twitter-Mitglieder erreichten. Ihre Beiträge wurden oft und gern geteilt. Im SZ-Interview spricht Johannes – ausnahmsweise ohne Alexej, weil der gerade ein Praktikum in Berlin macht – darüber, warum es Online-Journalisten schwer haben und weshalb seine eigene Meinung völlig egal ist.

Der bekannte Satiriker Jan Böhmermann ist bei der Preisverleihung leer ausgegangen. Sie sind dagegen ausgezeichnet worden. Ein gutes Gefühl?

Das ist eine schöne Bestätigung unserer Arbeit. Es zeigt, dass das, was wir machen, richtig und wichtig ist. Für uns war es schon eine große Ehre unter den 28 Nominierten zu sein. Jedes Projekt war extrem gut. Für uns ist der Preis eine große Wertschätzung. Wir haben ziemlich emotional darauf reagiert, weil wir auch oft für unsere Berichterstattung kritisiert werden.

Inwiefern?

Wir hören häufig den Vorwurf, dass im Internet nur Unfug verbreitet wird. Vor allem Behörden sind oft der Meinung, dass Online-Journalismus kein richtiger Journalismus ist. Das merken wir vor allem beim Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Die Mitarbeiter sagen uns nicht, ob Demonstrationen geplant sind oder nicht. Wir sind der Meinung, dass dieses Zurückhalten von Informationen Journalisten in Gefahr bringt und sicher damit zu tun hat, dass wir Online-Journalismus machen. Wir wollen zeigen, dass wir zwar schnell, aber trotzdem präzise berichten. Alles muss verifizierbar sein. Zum Glück bekommen wir deutlich mehr Zuspruch als Kritik. Viele Menschen sind dankbar, dass es unser Format gibt und sie sich auf unsere Informationen verlassen können.

Wie ist Straßengezwitscher eigentlich entstanden?

Im März 2015 haben 150 ehemalige Pegida-Anhänger ein Flüchtlingscamp auf dem Dresdner Theaterplatz angegriffen. Alexej und ich waren damals dort. Die Leute haben „Weg mit dem Dreck!“ gerufen. Das war so erschreckend und hatte nichts mehr mit Menschenwürde zu tun. Wir fanden, dass die Medien zu wenig über den Vorfall berichtet haben. Alexej und ich wollten, dass jeder weiß, was da passiert ist und sich damit auseinandersetzt. Also haben wir uns entschlossen, darüber zu twittern. Das schien uns der beste Weg zu sein, um Informationen schnell zu verbreiten.

Anfangs haben Sie anonym berichtet. Dann sind Sie aber doch den Schritt in die Öffentlichkeit gegangen. Warum?

Am Anfang wollten wir anonym bleiben, um uns zu schützen. Es war auch egal, wer wir sind, da unsere Meinung völlig egal war. Es ging um die Fakten. Das ist auch heute noch so. Allerdings haben wir uns irgendwann gefragt, ob es nicht doch besser wäre, Gesicht zu zeigen. Als wir dann mit einem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurden, war die Entscheidung gefallen.

Seitdem ist klar, wer hinter Straßengezwitscher steckt. Wie begegnen Sie den Gegnern Ihrer Berichterstattung?

Wir wurden nach Demos schon oft verfolgt, haben es aber zum Glück immer geschafft, die Leute abzuschütteln. In Freital mussten wir uns einmal abholen lassen. Zum Bahnhof hätten wir es damals nicht mehr geschafft. Es gab auch schon körperliche Attacken. Alexej wurde bei einer Pegida-Demo in den Rücken getreten und mir hat man auf den Arm geschlagen, weil ich eine Kamera in der Hand hatte. Auch die Halsabschneider-Geste wurde uns schon gezeigt. Einige Gegner beschimpfen und drohen uns außerdem auf Twitter. Sie schreiben zum Beispiel: „Eines Tages kriegen wir euch auch noch.“ Solche Beiträge machen mir aber keine Angst, die werden einfach blockiert. Trotzdem versuche ich, alles Persönliche so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.

Sie erreichen mit Ihren Beiträgen mehrere Millionen Twitter-Mitglieder. Wie muss man schreiben, um von ihnen gelesen zu werden?

Wir berichten so präzise wie möglich, vermeiden Pauschalisierungen wie das Wort Nazis. So etwas liest man bei uns nicht. Außerdem gilt das Vier-Augen-Prinzip. Ein Beitrag wird erst veröffentlicht, wenn ihn ein Zweiter gelesen hat. Oft sind die Situationen sehr aufregend, man kann nicht so klar denken wie sonst. Deshalb müssen die Tweets redigiert werden. Wir nutzen eine klare, einfache, adjektivarme Sprache. Dazu zwingt einen allein schon die maximale Zeichenzahl von 140. Mittlerweile habe ich ein ganz gutes Gefühl dafür, was in einen Tweet passt und was zu lang ist.

Der jüngeren Generation wird häufig unterstellt, dass sie politisch uninteressiert ist. Stimmt das?

Wir zeigen, dass es nicht so ist. Ich würde mir allerdings auch mehr Aktivität von meiner Generation wünschen. Wir sind an einem Punkt, an dem entschieden wird, wie wir künftig leben. Ich erwarte von den jüngeren Leuten, dass sie sich mehr mit politischen Themen auseinandersetzen, dass sie sich positionieren und unsere Gesellschaft mitgestalten. Um das zu fördern, veranstalten wir im Oktober einen Kongress gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Dresden. Eingeladen sind Experten, Politiker und alle, die Interesse haben. Wir wollen neue Wege in der Auseinandersetzung mit Rassismus finden und ein positives Signal aus Dresden senden.

Was haben Sie mit „Straßengezwitscher“ noch für Pläne?

Wir wollen weitere Redaktionen gründen. Ziel ist, Sachsen so gut wie möglich abzudecken, damit uns nichts durch die Lappen geht. Die Redaktionen in Dresden und Leipzig laufen schon super, die in Chemnitz wird gerade aufgebaut. Außerdem soll Ende Juli die erste Version von „Crowdgezwitscher“, einem Informationsportal über rechte Kundgebungen, online gehen. Dort können dann beispielsweise überregionale Journalisten für ihre Artikel recherchieren. Wir animieren jeden Bürger, Beiträge für die Plattform zu schreiben. Natürlich müssen dabei Standards eingehalten werden. Wir redigieren jeden Artikel, bevor er veröffentlicht wird.

Aus dem Maschinenbauer und dem angehenden Arzt werden jetzt also hauptberufliche Journalisten?

Journalismus macht wirklich viel Spaß, aber ich werde weiter Medizin studieren. Ich weiß selbst nicht genau, wie ich das zeitlich auf die Reihe bekomme, aber es geht. Alexej macht gerade ein Praktikum bei einer Zeitung. Er will den Journalismus jetzt tatsächlich zum Beruf machen.

Das Gespräch führte Linda Barthel.