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Wird die Baustelle zur Existenzbedrohung?

Die Sanierung des Neustädter Abfangkanals setzt Wirt Klaus Schiemann zu. Er überlegt, seine beiden Lokale zu schließen.

Von Melanie Schröder
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Vor der Gaststätte „Zum Landstreicher“ von Klaus Schiemann geht es seit einigen Wochen besonders eng zu. Grund sind Sanierungsarbeiten am Neustädter Abfangkanal.
Vor der Gaststätte „Zum Landstreicher“ von Klaus Schiemann geht es seit einigen Wochen besonders eng zu. Grund sind Sanierungsarbeiten am Neustädter Abfangkanal. © René Meinig

Dass diese Baustelle sein Geschäft bedrohen könnte – daran hat Klaus Schiemann im Mai dieses Jahres nicht gedacht. „Als ich damals informiert wurde, habe ich das nicht so ernst genommen“, sagt er kühl. „Heute muss ich von Existenzgefährdung sprechen.“ Die roten Ränder seiner Brille lenken nur wenig von den Augenringen ab. Seit 2011 betreibt Schiemann die Gaststätte „Zum Landstreicher“ in der Kötzschenbroder Straße – und wenige Meter weiter die Elbe hinab seit drei Jahren auch „Die Weibswirtschaft“. Ob er beide Läden im Frühjahr noch halten kann, sei nicht sicher, sagt er.

Der Grund für Schiemanns Aufregung: Gäste können seine Lokale mit dem Auto nicht mehr erreichen, weil die Straße gesperrt ist. Auch Taxis kommen laut dem Wirt nicht mehr. „Zu Ihnen fahren wir nicht, da können wir weder rein- noch rausfahren. Das habe ich jetzt schon öfters gehört.“ Von Umsatzeinbußen spricht der Gastronom, der jahrelang das Schlossrestaurant in Moritzburg geführt hat. „Dabei ist rund um Weihnachten und Silvester noch viel gebucht und das Geschäft recht gesichert. Aber wie es im neuen Jahr aussieht ...“. Er winkt ab.

Gebaut wird bis Ende Oktober 2019

Seit gut drei Wochen sind einige Hundert Meter der Kötzschenbroder Straße für den Verkehr dicht. Hier wird das vorletzte Stück des Neustädter Abfangkanals saniert. Der insgesamt 6,6 Kilometer lange und mehr als 100 Jahre alte Kanal regelt das Abwassersystem auf der Neustädter Elbseite. Aktuell wird vom Ballhaus Watzke bis zum Beginn der Flutrinne in der Böcklinstraße gebaut. In die bestehenden unterirdischen Betonrohre sollen glasfaserverstärkte Kunststoffrohre eingesetzt werden. Dauern wird das laut dem zuständigen Bauunternehmen Echterhoff Bau GmbH bis voraussichtlich Ende Oktober nächsten Jahres. Den Anwohnern wurde für diese Zeit versprochen, die Wege nicht nur für sie, sondern auch für Lieferanten und Rettungsdienste offen zu halten. Diese Theorie fällt in der Praxis kreativ aus.

Ein Baustellenfahrzeug und ein Posttransporter stehen sich auf dem schmalen Straßenstreifen gegenüber und diskutieren, bis schließlich einer nachgibt. Im Rückwärtsgang trödelt das Baufahrzeug aus der Gasse. Auch Anwohner, die mit dem Auto durchfahren wollen, müssen einige Male vor- und zurückkurbeln, bis sie es auf die Straße schaffen, ohne gegen den Bauzaun zu fahren.

Rene Vits ärgert dieses Chaos. Der Anwohner der Kötzschenbroder Straße bezeichnet die Parksituation derzeit als katastrophal. Und er versteht nicht: „Warum wurde den Anwohnern keine Lösung angeboten?“ Er selbst hätte eine: „Man könnte einen provisorischen Parkplatz auf dem großen, weitgehend brachliegenden Grundstück der Medienvilla einrichten“, sagt er. Der Stadtbezirksbeirat Pieschen hat diesen Wunsch bereits an die zuständige Stadtentwässerung herangetragen. Doch diese hätte gern bessere Nachrichten für die Anwohner, wie Sprecher Torsten Fiedler erklärt.

Wirt hat Verständnis für Bau

Auf einem Teil des Geländes werden die Rohre für die Baumaßnahme gelagert, auf dem übrigen Teil des Grundstückes habe der Eigentümer selbst mit Baumaßnahmen für neue Wohnungen begonnen. „Es bestehen keine Reserven für Ersatzparkplätze“, teilt Fiedler mit.

Eine andere Idee, um die Situation zu entspannen, hat Gastronom Schiemann. Er könnte sich vorstellen, dass das strikte Halteverbot zwischen 18 und 0 Uhr aufgehoben wird. Dann dürften sowohl Anwohner als auch Kundschaft zumindest zeitweise parken. „Man hat mir aber geklärt, dass das juristisch nicht funktioniert. Wenn über Nacht im Baustellenbereich etwas passieren sollte, ist fraglich, wer dafür haftet.“

Generell zeigt der Wirt Verständnis für die Baumaßnahme: „Es ist klar, dass das gemacht werden muss. Auch die Leute, die hier vor Ort arbeiten, sind einwandfrei“, erklärt er. Aber vor allem die Dauer der Baustelle sorgt ihn. „Man weiß ja, dass große Bauvorhaben wie diese selten im Zeitplan liegen.“ Vor allem der Blick ins neue Jahr bereitet ihm Sorge. Schiemann beschäftigt 14 Mitarbeiter. Seine Öffnungszeiten zu verkürzen, kommt für ihn noch nicht infrage. „Ich trage Verantwortung für meine Leute. Wenn ich das mache, schneide ich einer kleinen Familie das Geld ab“,erklärt er mit Nachdruck.

Beim Arbeitsamt hat er sich bereits über eine Kurzarbeiterregelung informiert. Sie kann in Kraft treten, wenn beispielsweise ein Betrieb überraschend in eine wirtschaftliche Schieflage gerät. So sollen Arbeitsplätze erhalten und Kündigungen vermieden werden. Ob es so kommt – Schiemann will sich noch nicht festlegen. „Ich lasse das jetzt auf mich zukommen. Wenn ich die Flügel strecken muss, dann mache ich das. Dann habe ich ja keine Wahl.“