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645 Neuansiedlungen - wird Intel die nächste?

Sachsens Standortwerber feiern ihren 30. Geburtstag, Investitionen und Jobs. Doch der Rückstand zum Westen bleibt.

Von Michael Rothe
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Das jüngste Vorzeigeobjekt der Wirtschaftsförderung: die Bosch-Fabrik im Norden Dresdens.
Das jüngste Vorzeigeobjekt der Wirtschaftsförderung: die Bosch-Fabrik im Norden Dresdens. © Foto: dresden-foto.de

Der Ort der Geburtstagsfete zum „30.“ der Wirtschaftsförderung Sachsen (WFS) ist symbolträchtig: das „Theater Junge Generation“ im früheren Dresdner Kraftwerk Mitte. Immerhin versteht sich die landeseigene Tochter „als Türöffner, Brückenbauer und Netzwerker für Unternehmen, Investoren und den Wirtschaftsstandort“ – und so als Energiequelle.

„Seit ihrer Gründung 1991 hat die WFS 645 Neuansiedlungen und Erweiterungen mit einem Investitionsvolumen von etwa 10,8 Milliarden Euro begleitet, durch die über 60.000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert wurden“, sagt Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Zum Jubiläum vor 20 Jahren hatte sich das Unternehmen bereits 800 Ansiedlungen und rund 100.000 solcher Jobs gerühmt.

Der jetzige Geschäftsführer Thomas Horn nennt das auf SZ-Anfrage „Unschärfe“, man habe in den 1990ern „anders gezählt“. Nun seien alle Bilanzen „akribisch aufgearbeitet“.

Eine lange Erfolgsliste

Neue Jobs entstanden demnach vor allem in Autoindustrie, Logistik, Mikroelektronik, Maschinen- und Anlagenbau, Life Sciences, Umwelt- und Energietechnik – in jenen Zukunftsbranchen, die der Freistaat einst als förderfähig ausgemacht hat. „Was wir erreicht haben, kann sich wirklich sehen lassen“, sagt Minister Dulig, zugleich Aufsichtsratschef der WFS. Der Freistaat sei der größte Halbleiter-Standort Europas und „wieder ein weltweit bekanntes Autoland“.

Ohne die WFS „würde Sachsens Wirtschaft heute anders aussehen“, lobt Dulig. Er erinnert an den Umbruch nach der Wende, als hiesige Produkte nicht mehr gefragt und Exportmärkte weggebrochen waren. Er schaut auf die Flutkatastrophe von 2002, die Weltfinanzkrise 2007/08 und die anhaltende Corona-Pandemie. All das hätten die Standortwerber mit Bravour gemeistert.

Der Minister nennt Leuchtturmprojekte wie die Entscheidung von Volkswagen für Zwickau und Chemnitz, die Ansiedlungen von BMW, Porsche und DHL in Leipzig, die Siemens-Chipfabrik (heute Infineon), AMD (heute Globalfoundries) in Dresden. Um jene Anker habe sich ein Netz mittelständischer Zulieferer etabliert – als Basis für weitere Ansiedlungen. Zuletzt kamen Großinvestitionen von Bosch und Vodafone in Dresden, Beiersdorf in Leipzig, VW in Zwickau auf die Vorzeigeliste.

Andere entscheiden

Ob dort bald auch der US-Riese Intel und die taiwanesische TSMC stehen, lässt Dulig offen. Beide Konzerne wollen Halbleiterwerke in Europa errichten. Er stoße „an Stellen, wo es spekulativ wird“, sagt der Minister. „Wir können nur schauen, dass die Rahmenbedingungen funktionieren“, die Entscheidung träfen andere. Die jüngsten Erfolge bestätigten die Attraktivität des Standorts Sachsen. Dabei hatten einige noch vor wenigen Jahren prophezeit: „Die Zeit großer Investitionen ist vorbei“.

WFS-Chef Horn hatte dem schon bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren widersprochen – und sieht sich bestätigt. Der 52-Jährige warnt aber: „Der Wirtschaftsstandort kann auch künftig nur überzeugen, wenn er in Bestform ist.“ Horn und sein 60-köpfiges Team setzt „vor allem auf die hohe Technologiekompetenz in Zukunftsbranchen und den engen Schulterschluss der Wirtschaft mit Forschung und Entwicklung“. Exporte seien immer wichtiger geworden und seit der EU-Osterweiterung auf 40,3 Milliarden Euro, das Zweieinhalbfache von 2004, gestiegen. Mehr als jeder dritte Euro werde im Ausland verdient.

Exportquote schon größer

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sachsens von der Autoindustrie abhängige Exportquote vor Jahren höher war. Und: Der Produktivitätsrückstand zum Westen wurde statt kleiner eher wieder größer. Dulig nennt „zu viele verlängerte Werkbänke“ als Grundproblem, und WFS-Chef Horn nennt die kleinteilige Wirtschaft und fehlende Konzernsitze als Ursache.

Die Stimmung auf der abendlichen Geburtagsfeier soll das nicht vermiesen. Die WFS schaut nach vorn. Nach der Pandemie müsse im In- und Ausland verstärkt Präsenz gezeigt werden, um Schwung aufzunehmen, veränderte Marktlagen und Technologieentwicklungen in den Formaten abzubilden. Dazu würden in der Krise gewonnene Erfahrungen, etwa virtuelle Unternehmerreisen, genutzt und Bewährtes modern und funktional weiterentwickelt. In Technologiefeldern wie der Robotik würden gerade „die Claims abgesteckt“, und da wolle sich Sachsen früh zeigen.

Sachsens Anschieber

  • Die am 22. Juli 1991 gegründete Wirtschaftsförderung Sachsen ist eine 100-prozentige Tochter des Freistaats.
  • Im sechsköpfigen Aufsichtsrat sitzen auch drei Staatsminister: Martin Dulig (SPD), Wolfram Günther (Grüne) und Thomas Schmidt (CDU).
  • Die Bilanz von 2019 weist einen Umsatz von rund 5,1 Millionen Euro aus.
  • Er resultiert vor allem aus der Organisation von Messebeteiligungen und anderen Geschäftsbesorgungen.
  • Der Freistaat gleicht das kalkulierte Defizit aus: 2019 fast 4,7 Millionen Euro.
  • Der Jahresabschluss für 2020 wurde noch nicht veröffentlicht. (SZ/mr)