Manipulierte Sterne bei Online-Bewertungen: Neun häufige Tricks

Verbraucherschützer wollten es genauer wissen: Wie verlässlich sind Rezensionen und vergebene Sterne auf Bewertungsplattformen oder den Seiten der Onlineshops?
Dafür hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) Beschwerdefälle analysiert, die ihm über ein verbandsinternes Frühwarnnetzwerk gemeldet wurden.
Die SZ sprach mit Referentin Sabrina Wagner über die Ergebnisse und die Schlussfolgerungen daraus.
Frau Wagner, wie vielen Beschwerden sind Sie nachgegangen?
141. Die Fälle stammen aus der Zeit zwischen Februar 2019 und Juni 2021. Das Frühwarnnetzwerk ist ein Meldesystem, in dem die Verbraucherzentralen der Länder Sachverhalte aus ihren Beratungen anonymisiert melden.
Die Analyse hat also keinen repräsentativen Charakter?
Nein. Wir können daraus keine Rückschlüsse auf die Häufigkeit dieses Phänomens ziehen. Trotzdem geben uns die Daten konkrete Hinweise auf auffällige Problemstellungen.
Geben Sie bitte mal ein Beispiel.
Eine Masche, die die Entstehung positiver Rezensionen begünstigt, ist die sogenannte Incentivierung. Dabei locken die Unternehmen mit Geld oder anderen materiellen Anreizen. Gleichzeitig löschen oder verhindern sie negative Bewertungen.
Was wird zum Beispiel angeboten?
Uns wurde von Gutscheinen im Wert von bis zu 50 Euro berichtet. Alternativ sollten die Kunden neue Produkte erhalten oder den Kaufpreis zurückbekommen. Deshalb erhalten sie neben ihrer bestellten Ware eine kleine Karte, auf der zum Beispiel fünf von fünf Sterne abgebildet sind. Oder es steht da ganz konkret: "Bewerte unser Produkt mit fünf Sternen und erhalte den Kaufpreis zurückerstattet." Der Prozess der Bewertung und Rückerstattung wird genau erklärt. Immer wieder gibt es auch den Hinweis, dass man die Karte in der Rezension keinesfalls erwähnen oder ein Foto davon posten solle. Damit soll vermutlich vermieden werden, dass die Portale, über die die Firmen ihre Produkte verkaufen, auf diese Incentivierung aufmerksam werden und die so entstandene positive Bewertung löschen. Es soll nicht ersichtlich sein, dass es sich um eine Bewertung mit Gegenleistung handelt.

Ist diese Incentivierung illegal?
Die Juristen-Antwort wäre jetzt wohl: Kommt darauf an. Es ist eine Einzelfallbewertung. Wir als Verband wollen auf folgendes Problem hinweisen: Für potenzielle Käufer des fraglichen Produkts ist nicht erkennbar, dass da eine verdeckte Beeinflussung stattgefunden hat. Sie werden getäuscht. Diese Praxis gibt es bei Händlern, die ihre Ware über Portale anbieten, aber auch bei kleinen Webshops.
Wie reagieren Händler, die eine negative Bewertung bekommen haben?
Laut Analyse war der vierthäufigste Beschwerdegrund, dass Kunden mit juristischen Schritten gedroht wurde, sollten sie ihre negative Bewertung nicht ändern oder löschen. Teilweise kündigten Firmen an, man werde Schadenersatz geltend machen, oder es kam direkt Post vom Anwalt des Händlers. In manchen Fällen trafen die Schreiben noch am selben Tag ein.

Welche Summen wurden angedroht?
In einem Fall, bei dem es um einen Kopfhörer geht, wurde der Streitwert mit 15.000 Euro angesetzt, wie uns gemeldet wurde. Die Forderung stand also in keinem Verhältnis zum Wert des gekauften Artikels. Das setzt Verbraucher enorm unter Druck. Firmen müssen dann gar nicht die Unterlassung und Zahlungsaufforderungen auf dem Klageweg geltend machen, weil sie schon mit ihrem ersten Schreiben ihr Ziel erreichen: Die negative Bewertung wird zurückgenommen. Das ist für viele Betroffene eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung. Aber es spielt denen in die Karten, die sich dieser perfiden Masche bedienen.
Welche Maschen gibt es noch, um die Zahl der negativen Bewertungen möglichst niedrig zu halten?
Teilweise verhindern Anbieter schlechte Rezensionen mit dem Hinweis, sie entsprächen nicht den Regeln zur Veröffentlichung. Dabei werden allerdings weder die konkreten Regeln genannt noch Möglichkeiten zur Nachbesserung gegeben.
Kann der Gesetzgeber solchen Methoden nicht einen Riegel vorschieben?
Ein erster Schritt zur Eindämmung gekaufter oder gefälschter Bewertungen ist getan: Ab 28. Mai wird die Umsetzung der Modernisierungsrichtlinie im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb wirksam.
Was ändert sich dadurch?
Unternehmen werden gezwungen, ihren Umgang mit Bewertungen transparenter zu gestalten. Dazu zählt beispielsweise die Information, ob sämtliche Bewertungen veröffentlicht werden, oder nach welchen Regeln gelöscht wird. Und sie müssen sicherstellen, dass die veröffentlichten Bewertungen von Kunden stammen, die diese Produkte wirklich erworben und verwendet haben. Außerdem hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Beauftragung gefälschter Bewertungen unlauter ist. All das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Man muss aber auch sagen, dass die neuen Infopflichten des Gesetzes wohl nur eingeschränkten Schutz vor den vielen verschiedenen Maschen der Unternehmen bieten. Der VZBV wird die Entwicklung weiterhin genau beobachten.
Welche Bedeutung sollten Onlinekäufer also den Bewertungen – wo auch immer sie sie finden – letztlich beimessen?
Sie sollten kritisch bleiben, keinesfalls Bewertungen blind vertrauen und sich nicht von vermeintlich guten Durchschnittswerten täuschen lassen. Entscheidend ist, sich ein umfassendes Bild zu verschaffen. Welche Bewertungen finden sich auf der Anbieter-Webseite, welche auf den Bewertungsportalen? Was wird in den negativen Rezensionen thematisiert? Was haben Profile, die Bewertungen abgegeben haben, sonst noch bewertet? Verdächtig ist, ob sich der Wortlaut bestimmter positiver Schilderungen öfter wiederholt. Ein Indiz für gekaufte oder gefälschte Bewertungen kann letztlich auch das gehäufte Auftreten positiver Rezensionen sein, die innerhalb sehr kurzer Zeit abgegeben worden sind.
Beherzigen Sie all diese Tipps, wenn Sie selbst im Netz einkaufen?
Ich versuche, so wenig wie möglich im Netz, sondern lokal einzukaufen. Ist das unmöglich, verschaffe ich mir tatsächlich ein möglichst umfassendes Bild. Das ist natürlich auch beruflich bedingt. Ein gewisses Misstrauen ist programmiert.
Das Gespräch führte Andreas Rentsch.