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Wie in Leipzig radikale Innovationen entstehen sollen

Rafael Laguna de la Vera soll mit der Agentur SPRIND bahnbrechenden Technologien aus Deutschland zum Durchbruch verhelfen. Jetzt spricht er über erste Erfolge, zu enge Räume und unerfüllte Versprechen aus Berlin.

Von Sven Heitkamp
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Rafael Laguna de la Vera ist Chef der Leipziger Agentur SPRIND.
Rafael Laguna de la Vera ist Chef der Leipziger Agentur SPRIND. © PR

Leipzig. Auf einem heruntergekommenen Gütergelände hinter Leipzigs Hauptbahnhof liegt einsam ein schon saniertes Gebäude. "Heimat für radikale Neudenker:innen" steht in großen Lettern am Treppenhaus. Neben der Klingel sind eine Reihe Firmennamen eingraviert, darunter SPRIND, Beventum, MicroBubbles und FabuLens.

Hier hat die Bundesagentur für Sprunginnovationen ihren Sitz, die bahnbrechende Technologien aus Deutschland zur Marktreife und zum internationalen Durchbruch führen soll. Ihr Direktor ist Rafael Laguna de la Vera, 58, Sohn eines Spaniers, geboren in Leipzig, erfolgreicher Unternehmer im Westen, seit 2019 im Regierungsauftrag auf der Suche nach neuen Ideen.

Sie sind vor drei Jahren mit viel Vorschusslorbeeren gestartet, um radikale Innovationen aus Deutschland auszulösen und haben "Vollgas" angekündigt. Danach ist es ruhiger geworden um SPRIND. Was haben Sie inzwischen auf die Bahn geschoben?

Zugegeben: Unser anfänglicher Enthusiasmus wurde gebremst, weil wir uns erstmal selbst erfinden mussten. Es gab keine Werkzeuge, mit denen wir hätten arbeiten können. Wir mussten die SPRIND erstmal aufbauen und entwickeln und ich musste zum Verwaltungsexperten werden. Dafür haben wir anderthalb Jahre gebraucht. Dabei sollte es für SPRIND eigentlich große Handlungsfreiheiten und ein Sondervermögen geben. Wir sollten eine GmbH sein, die befreit ist von der Bundeshaushaltsordnung. Stattdessen wurden wir eine nachgelagerte Behörde, ein Unterauftragnehmer zweier Ministerien im üblichen Haushaltsverfahren. Wir schwimmen also mit zwei Bleigewichten an den Füßen und verbringen viel Zeit damit, die SPRIND so zu entwickeln, wie sie ursprünglich sein sollte.

Ist das typisch deutsch: Stehen wir uns selbst im Weg?

Ich habe mit vielen nichtdeutschen Schwesterinstitutionen zu tun, mit Franzosen, Skandinaviern, Japanern. Die kämpfen im Großen und Ganzen alle mit demselben ganz formalen Wahnsinn, dem man in der öffentlichen Verwaltung begegnet. Die gute Nachricht lautet aber: Die Innovationskraft in Deutschland ist sehr groß.

Ist die Agentur inzwischen voll aufgebaut?

Beim Budget für Projekte sind wir jetzt auf Betriebstemperatur. Wir haben dieses Jahr rund 170 Millionen Euro zur Verfügung, bei nur sieben Millionen Euro Kosten für Mitarbeiter und Verwaltung. Wir könnten unseren Etat allerdings auch auf eine dreiviertel Milliarde steigern, die aussichtsreichen Projekten wäre da.

Was macht der Aufbau der Agenturzentrale in Leipzig?

Zur SPRIND gehören heute rund 50 Leute, etwa die Hälfte hat ihren Sitz in Leipzig, darunter die Verwaltung sowie zwei Drittel der Projektmanager und Analysten. Die anderen sind über die Republik verteilt. Das Areal unseres Sitzes, das alte Güterbahnhofsgelände hinter dem Hauptbahnhof, macht uns allerdings Sorge. Wir fühlen uns dort sehr wohl, wollen weiter wachsen und eine zusätzliche Etage für unsere Projekte anmieten. Aber die Weiterentwicklung des Geländes ist steckengeblieben, seit sich die Stadt Leipzig eingeschaltet hat und überlegt, ob man und wie man dort Baugenehmigungen erteilt. Wir würden uns wünschen, dass der Ausbau des Areals zügig vorankommt.

Die Bundesregierung will, dass die Agentur agiler, freier und unbürokratischer wird und hat dafür ein eigenes SPRIND-Freiheitsgesetz angekündigt. Was ist draus geworden?

Es ist paradox: Wir müssen uns heute bei allen relevanten Entscheidungen mit sieben Referaten in drei Ministerien abstimmen. Dabei bräuchten wir mehr Schnelligkeit und Flexibilität. Dafür müssen wir dieses Freiheitsgesetz bekommen, so steht es auch im Koalitionsvertrag. Aber es hängt seit 14 Monaten in der Fachabstimmung zwischen Forschungs-, Wirtschafts- und Finanzministerium fest. Danach muss der Gesetzentwurf noch in die Ressortabstimmung, in das Bundeskabinett, durch den Bundestag und den Bundesrat. Erst dann können wir unser Instrumentarium so erweitern, dass wir mehr Projekte mit weniger bürokratischen Hürden voranbringen und unsere Arbeit so tun können, wie wir es von Anfang an hätten tun sollen.

Was ist bisher bei der Arbeit der SPRIND herausgekommen?

Wir haben mehr als 1.200 Projekteinreichungen gesichtet, davon haben 47 einen Validierungsauftrag erhalten, 20 weitere werden in den kommenden Monaten beauftragt. Das bedeutet, wir geben Geld heraus, etwa 100.000 bis 200.000 Euro für jedes Projekt, um die Ideen weiterzuentwickeln. Inzwischen sind daraus neun Tochter-GmbHs gegründet worden, die zwischen 20 und 80 Millionen Euro in fünf Jahren bekommen. Und der Aufsichtsrat hat soeben vier weitere Gründungen beschlossen. Das Themenspektrum der Projekte ist breit, es reicht vom Hochwindrad über Alzheimerbekämpfung und Krebs-Behandlung bis zu einer neuartigen Augmented-Reality-Brille.

Gibt es erste greifbare Erfolge?

Das Hochwindrad mit 300 Metern Nabenhöhe nach den Plänen von Horst Bendix aus Leipzig ist auf dem besten Weg: Wir errichten zurzeit einen Messturm in der Lausitz, messen dann für sechs Monate die Winde und bauen bis Ende nächsten Jahres das weltgrößte Windrad. Der Standort ist ideal, weil er direkt neben einem offenen Tagebau in einem bestehenden Windpark liegt. Das Hochwindrad wird praktisch dessen zweite Etage. Fernziel dabei bleibt die Idee von Horst Bendix, den Generator in den Fuß der Anlage zu setzen. Aber dafür bräuchten wir weitere zehn Jahre – und wir haben es ja ein bisschen eilig beim Thema Energiewende.

Aber das Windrad kann nicht alles sein?

Weit fortgeschritten ist auch das Microbubbles-Projekt von Erfinder Roland Damann, mit dem Mikroplastik mithilfe mikroskopisch kleiner Luftbläschen aus Flüssen, Seen und Meeren entfernt werden kann. Die erste Pilot-Kläranlage ist gebaut, die Technologie funktioniert. Parallel dazu haben wir die Idee der rotierenden Strömungen in Rohren von Tayyar Bayrakci weiterentwickelt, mit dem Wasser von größeren Stoffen mechanisch gereinigt werden kann. Das sind zwei Projekte, die man verbinden kann, und zwei verschiedene Leute, die wir zusammengebracht haben. Wir sind da sehr optimistisch.

Es gibt also Synergien und Aha-Erlebnisse, wenn Sie zwei ähnliche gelagerte Projekte auf den Tisch bekommen?

Ja, wir machen das oft. Bei unserem jüngsten Challenge-Wettbewerb in Leipzig sind zwei der neun Bewerberteams sogar fusioniert.

Diese Challenges müssen Sie erklären.

Das ist eine Art Beschleunigungsinstrument. Wir versammeln visionäre Teams, die an radikal neuen Lösungen arbeiten, durch Ausschreibungen zu verschiedenen Schlüsselthemen. Sie müssen dann in mehreren Runden ihr Knowhow vor einer Jury erklären. Vier Challenges laufen bereits und sind mit jeweils 25 Millionen Euro dotiert. 33 Teams wurden damit schon finanziert. Bei der fünften Challenge mit weiteren 60 Millionen läuft gerade der Aufruf für Einreichungen. Die Themen sind zum Beispiel ein antiviraler Breitband-Wirkstoff, die Nutzung von CO2 aus der Atmosphäre, neue energiesparende Computerarchitekturen und Langzeit-Stromspeicher ohne Konfliktmaterialien. Einen davon wollen wir neben das Höhenwindrad stellen.

Wie wählen Sie die Themen aus?

Wir schauen, wo die drängenden Probleme sind, was technologisch im Gange ist und wo ein Durchbruch möglich scheint, etwa weil neue Analysemethoden wie Massenspektrometer und hochauflösende Mikroskope, Künstliche Intelligenz und wachsende Rechnerleistungen neue Erkenntnisse ermöglichen.

Wie weit ist der Supercomputer von Professor Christian Mayr aus Dresden?

Er ist bei unserer New-Computing-Challenge natürlich dabei. Wir sind sehr froh, dass wir ihm schon sehr früh Geld geben konnten, seine Supercomputer-Architektur weiterzuentwickeln und hoffen, dass er bald die noch fehlenden Millionen erhält. Wir fühlen uns ein bisschen mitverantwortlich, dass es funktioniert. Aber es gibt nicht nur ihn – auf dem Gebiet sind mehrere Koryphäen dabei.

Gibt es weitere Leuchtturmprojekte aus Dresden?

Unser Aufsichtsrat hat gerade ein weiteres großes Projekt in Dresden um die Forscher Stephan Krüger und Heidemarie Schmidt von der TechIFab genehmigt. Da geht es um die Memristor-Technologie. Sie hat das Potenzial, die Effizienz der Datenverarbeitung massiv zu erhöhen. Dafür gründen wir die MemLog GmbH und unterstützen sie mit einem höheren zweistelligen Millionenbetrag.

Sie haben kürzlich den ersten Leistungsbericht der SPRIND vorlegt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Wir bekommen viele großartige Innovationen zu sehen, daran besteht kein Mangel. Einige wichtige Projekte sind angeschoben, die ersten GmbHs für potenzielle Sprunginnovationen gegründet und bei den Challenges arbeiten 30 Teams, die sehr viel Innovationspotenzial haben. Insofern ist SPRIND trotz der Hindernisse und Ketten, die noch angelegt sind, schon jetzt ein Erfolgsmodell und selbst eine Sprunginnovation. Und wir können und wollen in Zukunft noch viel mehr machen.

Würden die Innovationen nicht auch ohne ihre Agentur das Licht der Welt erblicken – oder braucht es tatsächlich den Brutkasten SPRIND?

Absolut, ja. Zum einen hätten viele Ideen und Projekte ohne uns das Gehör und das Geld nie bekommen, weil sie keinen Zugang dazu hatten oder anderweitig abgelehnt wurden. Zum anderen sind es viele Wissenschaftsteams überhaupt nicht gewohnt, so wirtschaftlich zu denken und zu arbeiten. Wir entfachen da ein Feuer, dass es ohne uns nicht gäbe.

Das Gespräch führte Sven Heitkamp.