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Immer mehr junge Menschen in Sachsen geraten nach der Schule in den Schuldensumpf

Trotz insgesamt sinkender Überschuldung sind immer mehr junge Sachsen dauerklamm. Ihnen fehlt es oft an Finanzkompetenz.

Von Michael Rothe
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Vor allem junge Verbraucher übernehmen sich und tappen in die Schuldenfalle.
Vor allem junge Verbraucher übernehmen sich und tappen in die Schuldenfalle. © Symbolfoto: dpa/Mascha Brichta

Noch vor elf Jahren konnte sich Sachsen rühmen, nach Bayern und Baden-Württemberg die wenigsten Privatschuldner zu haben. Doch die Zeiten sind vorbei. Der jüngste Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform führt den Freistaat nur noch im Mittelfeld und – mit einer Überschuldungsquote von 8,2 Prozent exakt im Bundesdurchschnitt.

„Trotz hoher Inflation hat sich das 4. Jahr infolge die Zahl überschuldeter Personen in Deutschland um 233.000 und in Sachsen um 11.000 verringert“, sagt Thomas Schulz, Prokurist bei Creditreform Dresden. Damit kann jede/r Zwölfte Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen und hat zur Deckung des Lebensunterhalts weder Vermögen noch Kredite parat. Demnach gibt es im Freistaat große regionale Unterschiede. Der Erzgebirgskreis und der Landkreis Bautzen verzeichnen Bestwerte. Am Ende rangieren seit Jahren Leipzig und Chemnitz mit zweistelligen Quoten.

Befragt man die Sachsen nach Gründen, sehen sie einen Strauß von Auslösern, aber drei Viertel antworten: „Weil derjenige mit Kreditkarte oder Ratenzahlung Dinge kaufen konnte, für die er eigentlich kein Geld hatte.“ Neben unwirtschaftlicher Haushaltsführung gelten langfristige Niedrigeinkommen, Krankheit und Sucht als Hauptursachen. Aber auch gescheiterte Selbstständigkeit, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Trennung, der Tod des Partners – und nicht zuletzt: fehlende Finanzkompetenz.

Vor allem junge Leute tappen in die Schuldenfalle

Nach Studien weiß jede/r Vierte nicht, was eine Schufa-Auskunft ist, kennt knapp die Hälfte nicht die Höhe ihres Dispokredits. Ähnliche Wissenslücken gibt es zu Lohnabtretung, Restschuldversicherung, Rückgaberechten. Folge: Vor allem junge Verbraucher übernehmen sich und tappen in die Schuldenfalle. Sie kommen häufig aus einem Elternhaus, das ihnen unverantwortlichen Umgang mit Geld vorgelebt hat – und oft aus bildungsfernen Schichten.

Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) werden Themen wie der kluge Umgang mit Geld und bewusstes Einkaufen in der Schule zu wenig berücksichtigt. Speziell die finanzielle Bildung sei unzureichend, meinen 81 Prozent. „Kinder und Jugendliche sollten in der Lage sein, sich informiert durch den Verbraucheralltag zu bewegen“, sagt VZBV-Vorständin Ramona Pop. Werbeflut und Angebotsvielfalt seien besonders für jüngere Menschen große Herausforderungen – und finanzielle Bildung in der derzeitigen Preiskrise besonders wichtig. Doch gerade der Umgang mit Geld und Versicherungen werde ungenügend vermittelt, sagen 81 und bei den 18- bis 34-Jährigen 90 Prozent.

© Grafik: SZ/Gernot Grunwald

Diese Wahrnehmung stützt ein Blick in die Curricula der Länder: Nur in acht Bundesländern ist Verbraucherbildung in Lehrplänen oder Richtlinien verankert. Dass sie es auch ins Klassenzimmer schafft, ist damit noch nicht garantiert. Der Verband kritisiert, dass die Empfehlung der Kultusministerkonferenz, wonach Kinder und Jugendliche aller Klassenstufen und Schulformen Verbraucherbildung erhalten sollen, auch zehn Jahre nach der Verabschiedung noch nicht systematisch umgesetzt ist.

Kultusministerium sieht Eltern in der Pflicht

Und was tut Sachsen? „Schule kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen und schon gar nicht die ganze Erziehungsaufgabe übernehmen“, heißt es vom Kultusministerium in Dresden. Eltern bzw. Familien seien in der Pflicht, wenn es um finanzielle Bildung und Lebenskompetenz ihrer Kinder gehe. Heranwachsende müssten bei Alltagsaufgaben einbezogen werden, sagt Sprecherin Susann Meerheim auf SZ-Anfrage. So könne etwa Budgetplanung durch den Umgang mit Taschengeld erlernt werden. Auch bei größeren Anschaffungen sollten Eltern mit ihren Kindern darüber reden, wo das Geld herkomme, was man sich leisten könne, wie gespart werde.

Schule müsse das Rüstzeug an die Hand geben, um in Berufsleben und Alltag bestehen zu können, sagt Meerheim. „Wer Gedichte interpretieren kann und knifflige Matheaufgaben löst, wird auch beim Verstehen von Versicherungsunterlagen, bezahlen von Rechnungen und beim Ausfüllen von Steuererklärungen keine Probleme haben“, ist sie überzeugt. Schule könne aber nicht auf das Leben im Detail vorbereiten. Die Forderung, praktische Dinge wie Steuererklärungen zu vermitteln, setze Sachsen bereits um. Schulen arbeiteten mit Finanzämtern und anderen Einrichtungen zusammen, um das Faktenwissen mit der Lebenswelt zu verbinden.

Verschuldung ist gewollt und sogar notwendig, wenn ...

Laut Ministerium ist das Thema „Ökonomie“ in Lehrplänen aller Schularten verankert – nicht nur in Mathe, auch im Oberschulfach Wirtschaft/Technik/Haushalt. Meerheim nennt Grundschulmaterial wie „Mit Geld einkaufen“. Für Oberschule und Gymnasium gebe es Angebote etwa zu Sparformen, Kredit- und Ratenzahlungsplänen, zum Führen von Haushaltsbuches, zu Kredit und Tilgung. Auch bei Schülerfirmen und Schülerzeitung geht es um Finanzen und Budgetplanung. Aus einigen solcher Firmen würden richtige Unternehmen, die Schüler nach der Schule etwa bei der App-Entwicklung fortgeführt hätten.

Dennoch: Während Überschuldung – auch dank Kaufzurückhaltung und staatlicher Eingriffe während der Multikrise – bei Älteren abnimmt, legt sie bei Unter-30-Jährigen zu. Ein Grund sei laut Creditreform der Trend zu „Buy now, pay later“: Onlineshops liefern eine Bestellung, der Kunde zahlt in Raten oder später, wobei manche/r den Überblick verliert. Im Gegensatz dazu ist Verschuldung durchaus normal, sogar notwendig, damit Privathaushalte gesellschaftlich teilhaben und Unternehmen investieren können – vorausgesetzt, sie zahlen ihre Schulden vertragsgemäß zurück.