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Auch für Radler gilt: Seid friedlich zueinander!

Der Fahrradverkehr ist schneller, dichter, gefährlicher und politischer geworden. Viele Nerven liegen blank auf der Straße. Umso dringender müssen wir abrüsten.

Von Oliver Reinhard
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Als Fahrradfahrer hat man es im Straßenverkehr nicht einfach. Doch auch wer auf zwei Rädern unterwegs ist, nimmt es mit der Rücksicht nicht immer so genau.
Als Fahrradfahrer hat man es im Straßenverkehr nicht einfach. Doch auch wer auf zwei Rädern unterwegs ist, nimmt es mit der Rücksicht nicht immer so genau. © dpa

Zwei Seelen wohnen in meiner Brust: die eines Fahrrad- und die eines Autofahrers. Gelegentlich hadern beide miteinander, was ja auch kein Wunder ist. Schließlich herrscht, glauben wir den Lobbys beider Seiten und unserem subjektiven Empfinden, auf Deutschlands Straßen ein zunehmend heftiger tobender Krieg Auto gegen Fahrrad. Einer, der uns dazu drängt, uns für eine Seite zu entscheiden. Was mir, zugegeben, immer schwerer fällt.

Lange war ich entschieden aufseiten der Fahrradfahrerinnen und -fahrer. Denn sie respektive wir sind nicht nur die deutlich schwächere und lebensgefährdetere Spezies im Zweifelskampf Mensch im Auto gegen Mensch im Sattel, der für Letztere regelmäßig tödlich endet. Dafür braucht es keinen Lkw. Schon wer auf dem Rad in Konflikt gerät mit einem 2-Tonnen-SUV, dessen Fahrer mal fix Kuchen holen will, hat schlechte Karten.

Autolobby dominiert die Politik

Wir haben zudem das miesere Blatt im Kampf um mehr, um breitere und damit um sichere Radwege. Überall wird deren Bau und Ausbau ausgebremst von einer Politik, die immer noch von der Autolobby dominiert ist. Noch dazu von einer, die – wie etwa in Dresden – regelrecht beton- beziehungsweise blechköpfig daherkommt. Und zum Beispiel auf die Pläne für eine eigene Radspur über das Blaue Wunder teils derart hysterisch reagiert, als hätte man beschlossen, die Brücke pink zu streichen.

Womit wir beim dritten Zoff-Beschleuniger wären: Das Radfahren ist politisch geworden. Wer von vier auf zwei Räder umsteigt, handelt nachhaltiger, weil er Umwelt, Klima und Ressourcen schont. Immer mehr Menschen greifen nicht nur, aber auch und sogar zunehmend genau deshalb zum Rad. Übrigens eine Entscheidung, die laut Studien höher Gebildete häufiger treffen als Menschen ohne Hochschulreife. Kurz: Das Biken ist zum Statement geworden, zum hippen und letztlich klassistischen Emblem.

Ich radle, also bin ich cool und gut. Was wiederum die Gegenwehr anders Gesinnter provoziert, denen das mit der Moderne eh alles zu schnell geht, die schon beim bloßen Anblick von Lastenrädern Schnappatmung kriegen und fürchten, ein „linksgrünfaschistischer“ Putsch stehe ins Land.

Fahrradfahren werden immer schneller

Kommen wir zum vierten Stressfaktor, und hier wird es schon deutlich unbequemer für Radfahrende. Denn zu den Widersachern für uns Bikerinnen und Biker hat sich ein neuer und sehr mächtiger Gegner gesellt: wir selbst. Wir sind nämlich gerade in den Corona-Jahren nicht nur mehr geworden. Wir fahren auch immer schneller – und riskanter.

Das liegt nicht zuletzt am unterschiedlichen Wirken des technologischen Fortschritts. Hat sich der Autoverkehr insgesamt entschleunigt, weil kein Tesla-Fahrer Lust verspürt, nach einer Stunde Vollgas auf der A 4 schon wieder für eine halbe Stunde an der Säule abzuhängen, hat sich der Radverkehr beschleunigt. Auch durch E-Bikes, aber nicht nur.

Mal aus dem Nähkästchen: Ich war immer ein zügiger bis fixer Radler. Doch wo ich vor einigen Jahren noch auf dem Weg zur Arbeit acht von zehn Bikern überholt habe, die in meiner Richtung unterwegs waren, überholen mich heute acht von zehn, aber weniger E-Bikes als analoge Klapperkisten. Und nein: Ich bin zwar älter, aber nicht langsamer geworden. Dass der Sportsgeist – um es mal nett auszudrücken – im Sattel immer dominanter wird, ist ebenfalls hinlänglich erwiesen. Selbst Vatis rasen oft derart schnell dahin, als wären sie panisch auf der Flucht vor den Aggro-Autofanatikern von „Fridays For Hubraum“.

Egoismus auf zwei Rädern

Allerdings sind wir nicht nur schneller geworden, sondern auch rücksichtsloser und egoistischer. Weiter im Nähkästchen: Werde ich auf dem Rad überholt, höre ich fast zuverlässig vorher weder ein Klingeln noch einen Warnruf. Auch das Abstandsgebot beim Überholen, auf das wir gegenüber Autofahrern rigoros und zu Recht bestehen, hält kaum ein Biker ein. Im Gegenteil reicht den meisten schon eine Handbreit zwischen Lenker und Lenker. Kommen wir dann an eine rote Ampel, zumal einer an Linkseinmündungen, fahren wir zumeist einfach drüber. Falls nötig, wechseln wir vorher auf den Fußweg. Platz da, ihr Schnecken!

Nebenbei: Die Benutzung der männlichen Form in diesem Text sagt über das Geschlechterverhältnis der Rüpel-Radler gar nichts aus. Denn Kampfradler benehmen sich auf ihren 9.000-Euro-Biathlon-Bikes genauso daneben wie etwa junge Mütter auf Hollandrädern mit besetztem Kindersitz oder -hänger. Dass gerade der Elberadweg längst einem Hochrisikoparcours für Biker und Flanierer gleicht, ist inzwischen eine Binsen-Erkenntnis.

Es mag verständlich sein, wenn sich in unserer insgesamt beschleunigten, krisengeschüttelten und konfliktreichen Gegenwart die aufgestaute Luft auch im Straßenverkehr entlädt. Doch so geht und so fährt es nicht weiter! Dass wir Autofahrer mehr Platz haben und von Knautschzonen umgeben sind, macht uns Radler zwar automatisch zu potenziell gefährdeteren Opfern eines Crashs. Aber nicht zwingend zu besseren Verkehrsteilnehmern. Insofern heißt es auch von Zweirad zu Zweirad: Wir müssen dringend abrüsten! Auch weil, wer für eine stärkere Fahrradlobby kämpft, ebenfalls zeigen sollte, dass es uns Radlern auch untereinander ernst ist mit dem besseren und rücksichtsvolleren Miteinander.