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Landratsamt kassiert Watsche im Bannewitzer Tempo-30-Streit

Im Umgang mit der Horkenstraße stellen Sachsens oberste Verkehrsexperten der Kreisbehörde in Pirna kein gutes Zeugnis aus. Warum das so ist.

Von Roland Kaiser
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Die vorbeirauschenden Fahrzeuge fabrizieren mitunter solchen Krach, dass sich Mitstreiter einer Bürgerinitiative demonstrativ Ohrschützer überstülpen.
Die vorbeirauschenden Fahrzeuge fabrizieren mitunter solchen Krach, dass sich Mitstreiter einer Bürgerinitiative demonstrativ Ohrschützer überstülpen. © Daniel Schäfer

Aus Sicht der Bürgerinitiative Horkenstraße dürfte dies eine gute Nachricht sein, die hoffen lässt: Im Ringen um Tempo 30 auf einem Abschnitt der viel befahrenen Kreispiste in Bannewitz ist längst noch nicht das letzte Wort gesprochen. Dem voraus ging eine Einschätzung von Sachsens obersten Verkehrsexperten. Sie haben ihnen überlassenes Datenmaterial ausgewertet und dem Landratsamt in Pirna mit Blick auf ihr Handeln in den zurückliegenden Monaten kein befriedigendes Zeugnis ausgestellt.

Unter anderem hatte die Kreisverwaltung suggeriert, dass entlang der Horkenstraße in Bannewitz in puncto Lärmschutz gesetzliche Grenzwerte eingehalten beziehungsweise sogar unterschritten würden. Grundlage dafür war eine Verkehrszählung im Januar, dem laut Bürgerinitiative allerdings verkehrsschwächsten Monat.

Die Ergebnisse waren deshalb von der Protestbewegung angezweifelt worden. Auch, weil sie zu verschiedenen Zeitpunkten bereits eigene Untersuchungen angestellt hatte und dabei zu anderen Zählwerten gelangte.

Seit Langem beklagen deren Mitstreiter "unhaltsame" Zustände an der Horkenstraße. Sie seien den Krach vor ihren Schlaf- und Wohnzimmerfenstern leid. Etwa 40 Familien wollen wieder ein Stück Lebensqualität zurück. Selbst abends falle hin und wieder ein Abschalten vom Alltag schwer, da auch dann der Geräuschpegel gefühlt recht hoch sei. Ein Grund dafür liege in dem Aufkommen an schweren Lastwagen, die zwischen der Autobahn A17 und Freital über die Asphaltpiste donnern.

Mit einer Anhebung der Lkw-Maut, so wurde bereits vor Monaten in den Reihen der Bürgerinitiative spekuliert, könnten es auf absehbare Zeit noch mehr Brummis werden - auch um den elektronischen Kontrollsäulen aus dem Weg zu gehen. Die gibt es in dem Bereich nicht. Wiederum an den Wochenenden würden die Ausflügler vorbeirauschen.

Um Klarheit zu erhalten, schob die Gemeinde Bannewitz im Sommer dieses Jahres eine eigene Messreihe an. Allerdings ließ sich diese ebenso in Zweifel ziehen. Denn es traten im Zuge der wiederum durch den Landkreis erfolgten Auswertung abermals Unstimmigkeiten auf. Die Kreisverwaltung suchte daraufhin Hilfe in Hainichen - und zwar bei den Fachleuten der LISt GmbH. Bei ihr handelt es sich um eine Gesellschaft des Freistaates, die ihren Fokus auf das Verkehrswesen richtet und ingenieurtechnische Dienstleistungen anbietet.

Verkehrsexperten ziehen ernüchterndes Fazit

Ihr Fazit: Keine der bisherigen Messungen sei geeignet, um als Grundlage für eine Lärmschutzberechnung zu dienen. Diese Einschätzung werde dadurch gestützt, dass ungleiche Messzeiträume - also keine gleichzeitige Messung beider Fahrtrichtungen - und darüber hinaus Geräte gewählt worden seien, die für Verkehrsmessungen nicht zugelassen seien. Allerdings könnten die bereits ermittelten Daten als Richtwerte herangezogen werden, hieß es.

Vor diesem Hintergrund erklärte ein Landratsamtssprecher, dass die LISt GmbH dem Landkreis kein Zeugnis ausgestellt habe, sondern das Zahlenmaterial lediglich einordnet. "Aus Sicht des Amtes bestätigt die LISt die Intention, durch die Verwendung des Zahlenmaterials, welches Gemeinde und Landkreis in der vergangenen Zeit erhoben hatten, und bei aller Messungenauigkeit oder unterschiedlichen Auslegung im Zuge der Lärmberechnung bereits eine Orientierung."

Seit einigen Wochen sollen Geschwindigkeitstafeln im Wohngebiet an der Horkenstraße dabei helfen, dass Autofahrer sich ans vorgeschriebene Tempo von 50 km/h halten. Eine der Tafeln wurde zwischenzeitlich demontiert. Sie kehre aber wieder an ihren ursprüng
Seit einigen Wochen sollen Geschwindigkeitstafeln im Wohngebiet an der Horkenstraße dabei helfen, dass Autofahrer sich ans vorgeschriebene Tempo von 50 km/h halten. Eine der Tafeln wurde zwischenzeitlich demontiert. Sie kehre aber wieder an ihren ursprüng © Daniel Schäfer

Dennoch dürfte das alles für die Kreisverwaltung in Pirna bislang nicht zufriedenstellend gelaufen sein. "Da die Messungen zwischen der Bürgerinitiative und den Behörden kein klares, akzeptiertes Ergebnis bezüglich der Bewertung des Lärms erbracht haben, haben wir uns dazu entschlossen, eine erneute Messung durchführen zu lassen - aber von externer Stelle und unter Beachtung aller fachlichen Rahmenbedingungen", teilte die Behörde weiter mit.

Neue Messreihe an Horkenstraße ist gleichzeitig letzte

Gemeint ist damit insbesondere eine Messung in beide Richtungen zur selben Zeit, die Verwendung zugelassener Messgeräte mit Achserkennung und Mikrofon sowie ein Messzeitraum von 14 Tagen zwischen März/April und Oktober ohne Feiertage oder Ferien gemäß einer Empfehlung der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV).

"Die Ergebnisse betrachten wir dann als nicht angreifbar und belastbar", betonte der Landratsamtsmitarbeiter. Wie es bereits zu einem früheren Zeitpunkt hieß, kämen andere Grundlagen für eine Geschwindigkeitsreduzierung im Fall der Horkenstraße nicht in Betracht.

Damit wird sich erst 2024 zeigen, ob sich der jahrelange Kampf der Bürgerinitiative um weniger Lärm, Feinstaub und Abgase ausgezahlt hat. Sollte sie damit Erfolg haben, hätte das Signalwirkung weit über die Gemeindegrenzen hinaus.

Dabei sind Lärmgutachter längst schon zu der Erkenntnis gelangt, dass sich bei niedrigeren Geschwindigkeiten der Geräuschpegel um durchschnittlich drei bis vier Dezibel verringere. Begründet wird das unter anderem damit: Wenn fünf Autos durch eine 50er-Zone fahren, ist es in etwa genauso laut, wie wenn zehn Fahrzeuge durch eine 30er-Zone rollen. Dies liege vor allem daran, dass das Geräusch der Reifen bei Geschwindigkeiten von mehr als 30 km/h den Motorenlärm übertöne. Auch aus Gesundheitsgründen plädieren Fachkreise für ein Umdenken in der Verkehrspolitik.