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Was ist dran an den Vorwürfen der GDL gegen die Bahn?

Laut Gewerkschaft stopfen sich Vorstand und Führungskräfte die Taschen voll und gönnen den Lokführern nichts. Sächsische.de fragte nach.

Von Michael Rothe
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Er hat gut Lachen und genießt das Heimspiel in seiner Geburtsstadt: GDL-Chef Claus Weselsky am Donnerstag bei der Streikkundgebung vor dem Dresdner Hauptbahnhof.
Er hat gut Lachen und genießt das Heimspiel in seiner Geburtsstadt: GDL-Chef Claus Weselsky am Donnerstag bei der Streikkundgebung vor dem Dresdner Hauptbahnhof. © dpa-Zentralbild

Während bei der Deutschen Bahn auch am zweiten Streiktag der Lokführer auf der Schiene wenig geht, formieren sich am Donnerstagnachmittag vor Dresdens Hauptbahnhof rund 120 GDL-Mitglieder zum Protest. Mit Megafon mittendrin: ihr Bundesvorsitzender Claus Weselsky. Der streitbare Sachse genießt das Heimspiel in seiner Geburtsstadt – und die große Resonanz auf den Streikaufruf. Weil die Gewerkschaft im Osten stärker ist und es weniger dienstverpflichtete Beamte gibt, ist der Ausstand dort noch spürbarer. Und die Empörung bei geringerer Geräuschkulisse aus der Bahnhofshalle unüberhörbar.

"Gemessen an der Stimmung in der Belegschaft könnte der Streik gar nicht lange genug dauern", erklärte GDL-Chef Weselsky (M.) im Streikaufruf seiner Gewerkschaft. Dem verleiht die Dresdner Basis am zweiten vollen Streiktag Nachdruck.
"Gemessen an der Stimmung in der Belegschaft könnte der Streik gar nicht lange genug dauern", erklärte GDL-Chef Weselsky (M.) im Streikaufruf seiner Gewerkschaft. Dem verleiht die Dresdner Basis am zweiten vollen Streiktag Nachdruck. © dpa-Zentralbild

„Verzicht predigen, aber Boni kassieren“, steht auf einem Schild. „3.500 Führungskräfte erhalten 64 % Boni 2020. Brotkrumen für operative Eisenbahner“, heißt es auf einem anderen. Was ist dran an den Vorwürfen? Vor Kameras und Mikrofonen gehen Konzernvertreter kaum auf die Argumente und markigen Sprüche der Gegenseite ein. Die Sächsische Zeitung fragte nach.

Der Haken: die Laufzeit

Ist die „verbesserte“ DB-Offerte mit einem Lohnplus von 3,2 Prozent nur ein „Scheinangebot“, wie die GDL behauptet? Bei der gescheiterten Schlichtung im November seien auch 1,5 Prozent mehr Lohn und 800 Euro Corona-Prämie vorgeschlagen worden, dazu eine von 3,3 auf 3,7 Prozent erhöhte betriebliche Altersvorsorge – mehr als im öffentlichen Dienst, heißt es aus Bahnkreisen. Weselsky habe abgelehnt und 3,2 Prozent gewollt – just das, was die DB ihm jetzt offeriert. „Das Angebot ist eindeutig besser als das vom Herbst“, heißt es.

Der Haken: 40 Monate Laufzeit statt 28 wie im öffentlichen Dienst. Damit bliebe laut GDL weniger als ein Prozent, nicht mal ein Inflationsausgleich. Die Bahn orientiere sich an den Flughäfen, welche mit Flugausfällen ähnlich unter der Pandemie litten, argumentiert die Bahn. Sie habe 2020 sechs Milliarden Euro Verlust eingefahren, in diesem Jahr würden es noch zwei Milliarden sein. Dennoch habe es im Corona-Jahr ein Lohnplus von 2,6 Prozent gegeben – bei 0,5 Prozent Inflation.

Auch während des Lokführerstreiks blieb die Anzeigetafel im Dresdner Hauptbahnhof nicht leer. Die Wettbewerber der Deutschen Bahn waren ganz normal unterwegs. An sie hatte der Staatskonzern in den letzten Jahren zahlreiche Verbindungen verloren.
Auch während des Lokführerstreiks blieb die Anzeigetafel im Dresdner Hauptbahnhof nicht leer. Die Wettbewerber der Deutschen Bahn waren ganz normal unterwegs. An sie hatte der Staatskonzern in den letzten Jahren zahlreiche Verbindungen verloren. © Archiv: dpa/Sebastian Kahnert

In der Tarifkommission des öffentlichen Dienstes habe der GDL-Vertreter „die 40 Monate bei den Flughäfen durchgewunken, bei uns bestreikt er bei gleicher Laufzeit das Land“, lautet ein Vorwurf. Ein Insider unterstellt dem GDL-Chef „Tarifwinkelzüge“. Für den Konzern wären die geforderten 28 Monate „Tarifpolitik auf Pump“. Zur Erfüllung der 47 GDL-Forderungen müsse er sich „katastrophal verschulden – das, was die GDL bekämpfen will“, heißt es. Die verlangten 600 Euro Corona-Prämie entsprächen zwei Prozent Tariferhöhung.

900 Euro Zusatzrente bleiben

Doch es geht um mehr als um Prozente und Laufzeit. Ein Knackpunkt: die Altersversorgung. „Während sich die Führungskräfte bis zu 20.000 Euro monatlich genehmigen, sollen den Lokomotivführern von ihren 150 Euro Betriebsrente auch noch 50 Euro weggenommen werden“, empört sich die GDL bei ihrer Streikankündigung.

„Das stimmt nicht“, heißt es aus Bahnkreisen. Die Altersversorgung der DB bestehe aus zwei Teilen. Den Löwenanteil mache ein Pensionsfonds aus, den weit kleineren der vom Konzern Ende letzten Jahres gekündigte Zusatzversorgungstarifvertrag. Die DB zahle jedes Jahr 3,3 Prozent vom Gesamtgehalt ein, das sei „mit Abstand das Beste der gesamten Branche“. Ein Lokführer erhalte so nach 40 Jahren rund 900 Euro Rente. Seit Januar entfalle nur der kleinere Teil mit im Schnitt 3,58 Euro Anwartschaft pro Jahr.

„Wir nehmen niemandem etwas weg, die erworbenen Anwartschaften bleiben“, versichert die Bahn. Der Vertrag habe angesichts der Hauptsäule keine Funktion mehr, sei aber eine bilanzielle Belastung. Und: Was die DB jährlich beisteuere, sei das Dreifache dessen, was die GDL mit der privaten Konkurrenz vereinbart habe. Die Rückstellungen von gut zehn Millionen Euro für Ruhegehälter der Ex-Bahnchefs Grube, Mehdorn & Co könne man keinem derzeitigen Manager anlasten, so ein Experte. In der jüngsten Jahresbilanz finden sich aber auch 28 Millionen Euro unter der Rubrik „Pensionsrückstellungen für aktive Vorstandsmitglieder“. Derer gibt es sechs.

Bahnchefs "Geringverdiener"

Allerdings stehen Spitzenmanager des Staatskonzerns Deutsche Bahn beim Einkommen bestenfalls im Mittelfeld der deutschen Wirtschaft. Vorstandschef Richard Lutz hat ein Jahresgrundgehalt von 900.000 Euro. Hinzu kommen Variable, die die Vergütung verdoppeln können. Zum Vergleich: Laut dem Handelsblatt war Postchef Frank Appel mit zehn Millionen Euro im Corona-Jahr 2020 der Top-Verdiener unter den 30 Dax-Konzernen vor Joe Kaeser, Ex-Siemens-Boss, mit rund 9,3 Millionen Euro.

Gehälter von Führungskräften in Deutschland haben meist einen variablen Anteil, der vom Erfolg des Unternehmens abhängt – auch bei der Bahn – und nicht zu verwechseln ist mit den Boni von Bankern. Im Corona-Jahr fielen alle ökonomischen Faktoren bei den DB-Entscheidern auf null. Die verbesserte Pünktlichkeit und andere Parameter retteten gut die Hälfte der variablen Vergütung.

In der Folge seien die Gehälter der Führungskräfte um zehn Prozent gesunken, jener Betrag, den der Konzern gern als Solidarbeitrag in der Pandemie verkauft. Da ihnen außerdem eine Nullrunde beim Grundgehalt verordnet worden sei, laufe es 2021 auf ähnliche Abstriche hinaus, heißt es. Der Bahnvorstand habe zwei Jahre auf eine Erhöhung seines Grundgehalts verzichtet und 2020 komplett auf den variablen Teil. Die skandalisierte angebliche Erhöhung um zehn Prozent für Richard Lutz, Fernverkehrsvorstand Berthold Huber und Infrastrukturchef Ronald Pofalla sei eine „Ente“.

Tarifeinheit spaltet Gemüter

Bleibt die umstrittene Tarifeinheit. Der Grundsatztarifvertrag zwischen Bahn und GDL von 2015 sah bis 2020 zwei Dinge vor: Schlichtungsabkommen und dass das Tarifeinheitsgesetz nicht angewendet wird. So lange wurden die Besserstellungen in den Tarifverträgen für alle Bahnbeschäftigten übernommen. Anders: Jeder bekam von allen das Beste. Das ist seit 1. Januar anders.

Bahn-Personalvorstand Martin Seiler strebt nach eigenem Bekunden Tarifpluralität und „geordnete Koexistenz“ an. Doch dazu braucht es laut Bundesverfassungsgericht das Ja von GDL und der mit ihr verfeindeten EVG. Das scheint in weiter Ferne.

Für die Bahn ist es lediglich ein Streik der Lokführer. Aus den Bereichen, welche die GDL für sich erobern will, hätten sich nur wenige Beschäftigte beteiligt, heißt es.
Für die Bahn ist es lediglich ein Streik der Lokführer. Aus den Bereichen, welche die GDL für sich erobern will, hätten sich nur wenige Beschäftigte beteiligt, heißt es. © dpa-Zentralbild

Der Streik sei nur ein Ausstand der Lokführer, einzelner Zugbegleiter und noch weniger Bahnhofsbeschäftigter, wiegelt die Bahn ab. In den Werkstätten, wohin sich die GDL ausdehnen wolle, streike „kein Einziger“, und bei Netz/Infrastruktur mit 40.000 Beschäftigten hätten „nur ein paar Dutzend“ die Arbeit niedergelegt, heißt es.

Von den aufgebrachten Demonstranten vor dem Dresdner Hauptbahnhof würde das so keiner unterschreiben.

Wer verdient wie viel bei der Deutschen Bahn?

Das verdienen DB-Mitarbeiter pro Jahr inklusive Zulagen und Weihnachtsgeld:

  • Lokführer: 44.000 bis 52.500 Euro
  • Fahrdienstleiter: 36.000 bis 54.500 Euro
  • Gleisbauer: 37.000 bis 47.000 Euro
  • Zugbegleitdienst (Kundenbetreuer, Zugbetreuer, Zugchef):37.000 bis 50.000 Euro
  • Bordgastronomie: 33.500 bis 40.500 Euro
  • Reiseberater (Fahrkartenverkauf): 33.000 bis 41.500 Euro
  • Lehrlinge (nach Lehrjahr pro Monat): 1.004 bis 1.208 Euro plus Weihnachtsgeld
  • Vorstand: 400.000 bis 900.000 Euro plus variable Vergütung je nach Erfolg

Basis: 39-Stunden-Woche; Quelle: dpa, DB, Business Insider