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Ein Jahr nach dem Desaster: So ist der Stand bei Blackstone Technology in Döbeln

Ein Jahr nachdem der Fall publik wurde, ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme beim Möchtegern-Batteriehersteller. Es gibt erste Antworten von Verwalter, Politik, Justiz.

Von Michael Rothe
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Prüfender Blick vom Ingenieur Michael Kretschmer bei Blackstone Technology in Döbeln. Damals war Sachsens Ministerpräsident noch von Ex-Chef Holger Gritzka (r.) empfangen worden.
Prüfender Blick vom Ingenieur Michael Kretschmer bei Blackstone Technology in Döbeln. Damals war Sachsens Ministerpräsident noch von Ex-Chef Holger Gritzka (r.) empfangen worden. © Dietmar Thomas

Die Anzeige bei Immonet liest sich vielversprechend: „Moderne Light Industrial Immobilie unmittelbar an der A14 in Döbeln-Ost zum Kauf!“. Laut Website steht ein 23.553 Quadratmeter großes Gewerbegrundstück zum Verkauf, das mit einer 4.700 Quadratmeter großen Lager- und Produktionsfläche und 1.600 Quadratmetern Bürofläche, verteilt auf zwei Etagen, bebaut ist. Preis: 6,45 Millionen Euro plus 5,95 Prozent Maklerprovision. Zu den inklusiven exklusiven Extras gehören unter anderem Kranbahn, teils antistatischer Boden, Erdwärme, klimatisierte Büros, E-Auto-Ladestation, einige Dutzend Pkw-Stellplätze sowie ein Fußballfeld großes, unbebautes Grundstück – Erweiterungspotenzial für die Zukunft.

Eine solche war den vorherigen Nutzern inmitten des Städtedreiecks Dresden–Chemnitz–Leipzig nicht vergönnt: weder der Stemke Kunststofftechnik GmbH, die nach der Insolvenz 2016 den Betrieb einstellte, noch dem Möchtegern-Batteriezellenhersteller Blackstone Technology, der im vergangenen Sommer pleite ging.

Die Industriehalle Am Fuchsloch im Döbelner Stadtteil Großsteinbach bringt ihren Nutzern scheinbar kein Glück. Dabei ist die Lage direkt an der Autobahnabfahrt und inmitten des Dreiecks Dresden-Leipzig-Chemnitz top.
Die Industriehalle Am Fuchsloch im Döbelner Stadtteil Großsteinbach bringt ihren Nutzern scheinbar kein Glück. Dabei ist die Lage direkt an der Autobahnabfahrt und inmitten des Dreiecks Dresden-Leipzig-Chemnitz top. © Foto: Lutz Weidler

Saechsische.de hatte mehrfach über Ungereimtheiten beim Unternehmen und seiner Schweizer Mutter berichtet. Sie wollten den Markt mit Batteriezellen aus dem 3-D-Drucker aufmischen: Kleinserien mit einer um 20 Prozent höheren Energiedichte als Lithium-Ionen-Batterien, wasserbasiert, nachhaltiger, effizienter produziert. Konzernchef Ulrich Ernst hatte beim angeblichen Produktionsstart 2021 Serienreife verkündet. Vom „Game Changer“, einem radikalen Spielveränderer, war die Rede, der 400 Jobs schaffen wollte.

Konzernsitz in der Schweiz entpuppt sich als Briefkasten

Die Euphorie war so groß, dass das Bundeswirtschaftsministerium einen Förderbescheid über 24,1 Millionen Euro erteilte. Für ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit fünf Partnern waren 17,2 Millionen Euro bewilligt worden. Der Bau der Betriebsstätte sollte mit 5,7 Millionen Euro gefördert werden – hälftig von Bund und Freistaat. Doch das noch 2022 von der Politik gefeierte Unternehmen hat im Juni darauf Insolvenz beantragt, als die Produktion bereits ein Dreivierteljahr ruhte. Beschäftigte klagten über ausstehende Löhne, Lieferanten über offene Forderungen.

Die Schweizer Blackstone Resources AG hat sich auf den Markt für Batterietechnologie und Batteriemetalle konzentriert. Sie entwickelt, forscht und handelt mit Lithium, Kobalt, Mangan, Graphit, Nickel und Kupfer. Das Unternehmen wollte 100 Millionen Batteriezellen pro Jahr fertigen – genug für bis zu 100.000 Akkus von E-Autos.

Doch laut Schweizer Fachmedien ist die Werthaltigkeit der Rohstoffminen in Kolumbien, Peru, Bolivien, Indonesien nicht belegt. Und der Konzernsitz in Baar entpuppt sich nach Recherchen von Saechsische.de als Briefkasten für 20 Firmen. Die Aktie flog nach Verstößen gegen Vorschriften zur Rechnungs- und Offenlegung sowie unterstellter Marktmanipulation von der Börse. Jetzt muss Blackstone Resources 250.000 Schweizer Franken (261.000 Euro) zahlen. Das Schiedsgericht der SIX Swiss Exchange hat die Beschwerde des Unternehmens gegen die Geldstrafe unlängst abgewiesen.

Das 2018 gestartete Papier hatte in zwei Jahren 90 Prozent an Wert verloren, aber mit Ankündigung des Döbelner Projekts war der Kurs zwischenzeitlich explodiert. Geprellte Anleger sprechen von Betrug. „In Döbeln wurden lediglich beschichtete Elektrodenfolien hergestellt, aber keine Zellen“, heißt es aus der rund 30-köpfigen Ex-Belegschaft. Es sei „nie richtig produziert, sondern nur geforscht worden“.

Sachsens Regierung wurden nur Attrappen gezeigt

Besuchern wie Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) seien Attrappen gezeigt worden, heißt es. Damit sie echt aussehen, hätten sie statt gestapelter Elektroden einen volumengleichen Plastikkörper beinhaltet. Die tatsächlichen Pouchzellen entstünden gegen Bezahlung bei einem Hersteller in Schleswig-Holstein. Vom „Potemkinschen Dorf“ ist die Rede. Dulig und Kretschmer waren im Landtag befragt worden, hatten das lästige Thema aber in 1:02 und 2:22 Minuten abgehakt.

Auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (r.) und SPD-Wirtschaftsexperte Henning Homann (M.) staunten über vermeintliches "Made in Saxony", das ihnen Geschäftsführer Holger Gritzka (l.) präsentierte.
Auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (r.) und SPD-Wirtschaftsexperte Henning Homann (M.) staunten über vermeintliches "Made in Saxony", das ihnen Geschäftsführer Holger Gritzka (l.) präsentierte. © Thomas Kube

Den Insolvenzverwalter Thomas Beck beschäftigt der Fall deutlich länger. Der Anwalt führt derzeit für Anlagen und Maschinen des Pleitebetriebs ein Angebotsverfahren durch, das in den kommenden Tagen abgeschlossen werden soll. Näheres will er aufgrund laufender Verhandlungen nicht sagen. Die millionenschwere Immobile gehöre nicht zum Unternehmen, sagt Beck. Sie sei von der ortsansässigen Partzsch-Gruppe an Blackstone vermietet worden.

Bis Dezember hatten 84 Gläubiger Forderungen von 16 Millionen Euro angemeldet – auch Sachsens Aufbaubank, welche die ausgezahlten 843.161,40 Euro mit Zinsen zurückhaben will. Weil die Sachsen nie Außenumsätze erwirtschaftet hätten, stecke ihr Vermögen nur in den Anlagen, so der Verwalter. Da ihr Wert nicht die Forderungen deckt, macht er Gläubigern wenig Hoffnung auf nur geringe Verluste.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Geschäftsführer

Der Fall Blackstone ist für den Anwalt, der Insolvenzen wie die der Döbelner Großbäckerei Erntebrot, der Wurst- und Fleischwaren Bautzen und des Dresdner Restaurants Villa Marie betreut hat, nicht alltäglich. „Hier handelt es sich auch für mich um ein sogenanntes atypisches Verfahren“, sagt Beck, der seit 2005 regelmäßig als Verwalter und Gutachter bestellt wird. Vorgefunden habe er eine noch nicht ausgereifte Technologie und keine Investoren für die Finanzierung der Weiterentwicklung nebst Markteinführung.

Der Insolvenzexperte ist nach Prüfung von Unterlagen, Gesprächen und Verhandlungen überzeugt, dass der Ansatz weiterentwickelt werden wird. Zur Standortfrage wollte er sich noch nicht äußern, lobt aber die Zusammenarbeit mit Vermieter, Lieferanten, Dienstleistern und Behörden.

Gibt es Hinweise auf Insolvenzverschleppung oder Subventionsbetrug? Ist am Ende alles nur „dumm gelaufen“? Die Untersuchung sei „sehr aufwendig und schwierig“, heißt es von der Staatsanwaltschaft in Chemnitz. „Die strafrechtlichen Ermittlungen richten sich gegen den letzten Geschäftsführer der GmbH“, sagt eine Sprecherin. Gemeint ist Michael Hingst. Der Chef des operativen Geschäfts von Blackstone Resources hatte Mitte 2022 Holger Gritzka ersetzt, der zuvor mit Promis vor Kameras posiert hatte und laut ehemaligen Beschäftigten „plötzlich weg“ war.

Besuchern des Unternehmens wurden Attrappen gezeigt, eine Produktion von Batteriezellen fand nie statt.
Besuchern des Unternehmens wurden Attrappen gezeigt, eine Produktion von Batteriezellen fand nie statt. © XXX

Die Akten lägen bei der Polizei, heißt es von der Staatsanwaltschaft. „Soweit Ermittlungen in der Schweiz notwendig werden, sind diese nur im Rahmen der Rechtshilfe möglich, die sich erfahrungsgemäß auch zeitintensiv gestaltet.“ Vor Mitte des Jahres sei nicht mit Ergebnissen zu rechnen.

Wirtschaftsministerium bedauert ohne Selbstkritik

Und welche Lehren zieht Sachsens Wirtschaftsministerium aus dem Desaster? „Auch aus heutiger Sicht sind die erfolglosen Bestrebungen des Unternehmens bedauernswert“, sagt Sprecher Jens Jungmann zu Saechsische.de. „Die vielversprechende Batterietechnologie des Unternehmens besaß das Potenzial, neue Impulse hinsichtlich eines raschen Vorankommens in der Energiewende zu liefern.“ Dass die hohen technischen Hürden des Fertigungsverfahrens erst im Zuge des Produktionshochlaufs erkennbar gewesen seien, zeige, welche Risiken beim Transfer neuer Produkte bestünden. Die Kürzungen der Batterieforschung des Bundesforschungsministeriums um 60 Prozent im Zuge der Haushaltskonsolidierung seien da keine gute Nachricht.

Ob das Wirtschaftsministerium eigene Versäumnisse sieht, beantwortet es nicht. Er sei „froh über jeden Lösungsansatz und jeden Beitrag zum technischen und wirtschaftlichen Fortschritt wie auf dem hochinnovativen Feld der Speichertechnologien“, sagt Minister Dulig. Er rät, „aus dem Scheitern zu lernen, neue Versuche zu wagen und innovative Industrien in Sachsen zu stärken und zu etablieren“. Der Freistaat böte „hervorragende Voraussetzungen“.

Möglich, dass Holger Gritzka, der „verschwundene“ Ex-Chef von Blackstone Technology, das anders sieht. Der Mann aus Großröhrsdorf bei Dresden wollte schon 2017 das große Rad drehen und mit der in Frankfurt am Main ansässigen Holding Terra-E die erste europäische Gigafabrik für Batteriezellen mit 3.000 Jobs bauen. Keine zwei Jahre später war das Unternehmen, in das die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Sachsen eingestiegen war, in Liquidation. Auch damals ging es um Millionen vom Bund für eine Technologie, welche die Zellfertigung günstiger machen sollte.

Ex-Chef nimmt neuen Anlauf für Gigafabrik in Norwegen

Nun ein neuer Anlauf: in Norwegen. Die Website der Elinor Batteries AS weist Gritzka als Einkaufsleiter jenes Trondheimer Unternehmen aus. Elinor, das sich auf Batteriezellen für die stationäre Energiespeicherung spezialisiert hat, wolle 30 Autominuten von Trondheim entfernt „eine Batteriezellenproduktion im Giga-Maßstab aufbauen, die auf modernsten Technologien und nachhaltig beschafften Materialien und Energie basiert“ heißt es.

Die Fabrik soll demnach in Kürze gebaut werden und ab 2026 produzieren – auf Basis von Lithium-Eisenphosphat statt mit Nickel und Kobalt, so die Ansage. Von 40 Gigawattstunden Vollkapazität ist die Rede, etwa der Leistung aller Pumpspeicherwerke in Deutschland, und von bis zu 2.500 Jobs. Elinor sei eine direkte Reaktion auf Norwegens neue Strategie zur Entwicklung der gesamten Wertschöpfungskette für die Batterieproduktion im Land.

Derweil sucht Blackstone-Verwalter Beck die Reste eines sächsischen Traums für den Verkauf zusammen und bilanziert: „Es ist wirklich zu bedauern, dass die Entwicklung des technologischen Ansatzes am Standort Döbeln so ins Straucheln geriet.“