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Wissen für alle

Decins Schlossherren begründeten eine riesige Bibliothek. Nach der Verstreuung kehrt nun ein kleiner Teil davon zurück.

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© Petr Špánek

Von Steffen Neumann

Decin. Wer in alten Büchern wälzt, braucht Handschuhe. Die von Frantisek Suman sind blütenweiß. Behutsam streichen sie über fast 200 Jahre alte Bände. „Sehen Sie, einige Bücher haben sogar noch die originale Signatur der Thunschen Bibliothek“, zeigt Suman auf Bände des französischen Politikers François Guizot und des deutschen Chronisten Karl August Varnhagen von Ense. Sie sind ein Ausschnitt der Bibliothek auf dem Schloss Decin (Tetschen), die im 18. Jahrhundert begründet wurde. Diese Kollektion mündete in eine 90 000 Bände starke Bibliothek, die im 20. Jahrhundert gleich zweimal verstreut wurde. Nun ist ein kleiner Teil wieder ins Schloss zurückgekehrt.

Einige Bücher haben noch die Original-Signatur der Thunschen Bibliothek.
Einige Bücher haben noch die Original-Signatur der Thunschen Bibliothek. © Petr Špánek

Die Bibliothek der Thuns war bemerkenswert. Da ist ihr Umfang, aber auch ihre Vielfalt. „Zur Sammlung trug jeder Schlossherr bei. Man kann eigentlich keinen hervorheben. Gerade das machte ihre Einzigartigkeit aus“, sagt Kurator Suman. Den Schlossherren ging es weder um Repräsentation noch um Sammelleidenschaft. „Die Bibliothek hatte eine klare Funktion. Sie war Informationsquelle für die ganze Grafschaft“, so Suman weiter. Sie sollte eine Art Kompendium des Wissens sein. Und das für alle. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts war die Schlossbibliothek eine öffentliche. Genutzt wurde sie vor allem von Lehrern und Beamten. Zutritt hatte im Prinzip jeder, der etwas nachschlagen wollte. Die immer weiter wachsende Bibliothek zog später in größere Räume um, den heutigen Repräsentationssaal, wo regelmäßig der Schlossball stattfindet.

Die Ausrichtung auf die praktische Vermittlung von Wissen bestimmte die Auswahl der Bücher. Trotzdem fanden sich darunter viele seltene bibliophile Ausgaben. „Die Bibliothek umfasste über 300 Handschriften, rund 100 Inkunabeln, also Werke aus der Frühzeit des Buchdrucks, eine Reihe Erstausgaben deutscher, tschechischer und französischer Klassiker sowie repräsentative Kunstbände“, zählt Suman auf. Dafür gingen die Thuns damals nicht in den Buchladen. Bücher wurden beim Buchhändler bestellt oder sie kamen gleich direkt von den Verlagen. „Außerdem kauften die Thuns ganze Bibliotheken, einige wurden geerbt“, nennt Suman einen weiteren Weg, wie sich die Bibliothek über die Jahrhunderte vergrößerte.

Was nun in das Schloss zurückgekehrt ist und ab Ende Juni im Rahmen der Führungen besichtigt werden kann, stellt nur einen Bruchteil dieses Erbes dar. Um den größten Teil kam die Bibliothek Anfang der 1930er-Jahre mit dem Verkauf des Schlosses. „Die Thuns zogen damals aus finanziellen Gründen in ihr kleineres Schloss in Jilove (Eulau). Dorthin nahmen sie nur einige Tausend Bände mit“, skizziert Suman das Schicksal der Bibliothek.

Ausgehend von seinem eigenen Geschmack behielt der damalige Schlossherr Franz Anton Thun vor allem Stammbäume, Biographien und Erinnerungen. Der Rest wurde verkauft und steht heute in den Beständen der tschechischen Nationalbibliothek, der Bibliothek des Nationalmuseums, im Militärhistorischen Institut, aber auch in den Bibliotheken von Havard, Yale und Oxford. Ein zweites Mal wurde die Bibliothek 1945 verstreut. Als die Thuns von Schloss Eulau vertrieben wurden, zählte sie noch rund 8 000 Bände. Über Decin gelangten die Bücher in das Zentraldepot auf Schloss Sychrov (Sichrow). Von da wurden sie auf verschiedene staatliche Institutionen verteilt. Die wertvollsten Bände, handgemalte Musterbücher von Augsburger Rüstungsherstellern aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts landeten im Kunstgewerbemuseum in Prag. Die restlichen 4.800 Bände wurden erst nach Velke Brezno (Großpriesen) und dann ins Schloss von Benesov nad Ploucnici (Bensen) verlegt, von wo sie das Schloss Decin nun als Dauerleihgabe erhalten hat. „Sie hätten schon längst zurück sein können, es fehlte aber die Möglichkeit der Unterbringung“, sagt Kurator Suman. Für die Bücher mussten neue Schränke nach Maß gefertigt werden und das ist teuer. „Grundbedingung war, dass die Bücher immer Luft haben. Deswegen haben die Schränke keine feste Rückwand. Sie ist aus Leinen.

Es sind auch keine Fenster in den Türen.“ Dass das nun endlich klappte, hat das Schloss einem gemeinsamen EU-Projekt mit dem Schloss Weesenstein zu verdanken, aus dem der Bau der Bibliothek finanziert wurde. In der alten Bibliothek, die nach dem Umzug der Bücher in den großen Bibliothekssaal in Handbibliothek umbenannt wurde, sind nun noch 4 316 Bücher ausgestellt. Blättern kann man in ihnen aber nicht mehr, zumindest nicht mehr jeder. „Sollte jemand ein Buch für Forschungszwecke brauchen, muss er sich an das Nationalmuseum wenden“, sagt Suman. Er glaubt nicht, dass noch viele Bücher aufs Schloss Decin zurückkehren. „Ab und zu wird eins bei einer Versteigerung angeboten. Da machen wir aber nicht mit, das ist viel zu teuer“, so Suman. Er freut sich auf eine Sonderausstellung am Ende des Jahres, wenn für kurze Zeit die wertvollsten Handschriften der Thun-Bibliothek auf das Schloss zurückkehren. „Damit geht für mich ein Traum in Erfüllung“, gesteht der Kurator. Mit der Rückkehr der Bücher ist das Schloss seinem Aussehen von Anfang 1930 ein großes Stück ähnlicher geworden. Angesichts der Tatsache, dass es nach Jahrzehnten des Daseins als Kaserne dreier Armeen komplett leer war, ist das schon mehr, als je zu hoffen war.