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Absturz jenseits der Neiße

Am 5. März 1945 fliegt ein amerikanischer Bomber schwer beschädigt und tief über Jonsdorf und Oybin nach Osten. Sein Schicksal klärt sich erst 70 Jahre nach Kriegsende auf.

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Die Kopie der "City of Savannah" im Nationalmuseum der Mighty Eigth in Savannah.
Die Kopie der "City of Savannah" im Nationalmuseum der Mighty Eigth in Savannah. © Museum

Von Matthias Schildbach

Mitten in der Hauptstadt des US-Bundesstaates Gerogia in Savannah befindet sich das National Museum of the Mighty Eighth, das Nationalmuseum der "mächtigen Achten". Gemeint ist damit die einstige 8. Luftflotte der US-Armee, die im Zweiten Weltkrieg den Bombenkrieg gegen Deutschland führte. Was in unserem Land immer wieder zu heftigen Debatten anregt, wird in den USA relativ einstimmig als unverzichtbarer Beitrag betrachtet, Hitler gestürzt und den Krieg beendet zu haben. Und so sind die letzten verbliebenen Bomber die Stars der Museen. Wie in Savannah. Hier wurde in den letzten Jahren die Kopie einer B-17G "Flying Fortress" restauriert - Fliegende Festungen – wie sie aufgrund ihrer schweren Bewaffnungen genannt wurden, die "City of Savannah", so sein Spitzname. Der Bomber war der fünftausendste B-17-Bomber, der an das Militär ausgeliefert wurde. Das Original der "City of Savannah" schrieb überraschenderweise Geschichte, inmitten der Oberlausitz.

Mit 21 Jahren meldete sich der junge New Yorker Ralph Wade Kittle freiwillig beim Luftwaffenkorps der U.S. Army. Er schlug die Offizierslaufbahn ein und wurde im Dezember 1944 als frisch ausgebildeter Pilot mit einem nagelneuen Langstreckenbomber der Marke Boeing ausgestattet. Kittles Maschine war die fünftausendste B-17, die an das US-Militär ausgeliefert wurde und das machte ihn und sein Flugzeug von Anfang an zu etwas besonderem. Kittle überführte persönlich die B-17 aus den USA über Grönland und Island ins Kriegsgebiet nach Großbritannien.

Der Bomber "City of Savannah" und die Knittle-Crew, Dezember 1944.
Der Bomber "City of Savannah" und die Knittle-Crew, Dezember 1944. © Matthiaa Schildbach (Repro)

Nach zwölf Feindansätzen steht am Montag, dem 5. März 1945, ein neuer Einsatz für die neunköpfige Kittle-Crew bevor. Stille liegt über der winterlichen Ebene in der Grafschaft Suffolk. Der Tag ist grau, die Krähen ziehen übers Land. Fast zweifelt man, dass Krieg in Europa herrscht. Auf dem Flugfeld Knettishall, 50 Kilometer östlich von Cambridge, herrscht geschäftiges Treiben an diesem Morgen. Das Flugfeld ist die Operationsbasis der 388. Bombergruppe der Amerikaner. Mehrere Staffeln schwere B-17 Langstreckenbomber starten von hier aus nahezu täglich. Ihre Aufgabe: das Bombardieren strategischer Ziele in Deutschland.

In den frühen Morgenstunden werden die Piloten und Copiloten, allesamt im Offiziersrang, beim "Briefing" über Ziel, Anflugrichtung, mögliche Gefahren und Aufgabe des Angriffes instruiert. "Mission" nennen es die Amerikaner. Für Lieutenant Knittle und seine Besatzung ist es die 13. Mission. Die 13. von 30, dann hätten sie ihr Soll erfüllt, dann dürften sie nach Hause. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Bomber für Bomber hebt im Morgengrauen über dem Flugfeld Knettishall ab. Nach und nach finden sich in der Luft immer mehr Flugzeuge zu einem gewaltigen Bomberstrom zusammen. An diesem Tag werden es über 1.000 Flugzeuge, Bomber und Jäger, sein, die von der britischen Insel nach Deutschland zu Kampfeinsätzen starten. Mitten über Deutschland teilt sich der Strom wieder auf. Für die 388. Bombergruppe ist das Ziel vorgeschrieben. Es ist ein langer, ein langweiliger Flug bis zum Ziel: Ruhland in Brandenburg, zwischen Cottbus und Dresden gelegen. Die dortigen Hydrierwerke produzieren Kraftstoff für die deutsche Kriegsmaschinerie. Die Bomberbesatzungen sind diesmal nicht sehr nervös, sie werden von P-51 Jagdflugzeugen, den sogenannten Mustangs begleitet und beschützt. Noch mitten über Deutschland heißt es, das Ziel liegt unter dichter Wolkendecke. Für diesen Fall sind den Bombergruppen "Secondary Targets" - Zweitziele – zugewiesen worden. Für die 388. Bombergruppe heißt das neue Ziel: Plauen.

Das Ehrenmal in Víska für die Bomberbesatzung der "City of Savannah".
Das Ehrenmal in Víska für die Bomberbesatzung der "City of Savannah". © Matthias Schildbach

Über dem Ziel wird es ungemütlich. Die deutsche Flugabwehr schießt akkurat. Noch bevor die "City of Savannah" zum Bombenabwurf kommt, erhalten zwei Motoren Flaktreffer, fallen aus. Lieutenant Knittle berät sich mit seinem Copiloten Lieutenant Rutt, sie treffen eine Entscheidung: Der Weg zurück nach England oder wenigstens auf durch eigene Einheiten besetztes Gebiet ist zu weit. Um exakt 11.02 Uhr verlässt die "City of Savannah" den Bomberstrom, dreht nach Osten ab. Ihre letzte Chance, um dem Feind zu entgehen: Landen hinter der Ostfront, in von der Roten Armee besetztem Territorium. Der Funkkontakt zum Bomberstrom reißt wenig später ab, die Abschiedsnachricht der "City of Savannah" kommt aus dem Raum Klingenthal, über dem Kamm des Erzgebirges: "Wir haben zwei beschädigte Triebwerke und fliegen nach Polen".

Das Flugzeug ist zu schwer, um sich mit zwei von vier Motoren zu halten. Es sinkt auf seinem Flug nach Osten immer weiter, obwohl das Gelände, die Höhen des Erzgebirges, immer weiter steigen. Lieutenant Knittle wirft die Bomben über unbewohntem Gebiet ab. Die Maschine fängt sich. Dann fällt der dritte Motor aus. Es beginnt der Kampf ums überleben. Die Besatzungsmitglieder werfen alles über Bord, was zu demontieren ist: Funkgerät, Sauerstoffflaschen, Vorratskisten, Bodenplanken, bis hin zu den Bord-MGs und der Munition. Mit aller Kraft kämpfen die beiden Piloten, um die Steuerknüppel zu halten und die Höhenruder zu justieren. Nur der rechte Außenmotor läuft noch, die B-17 hat einen beständigen Linksdrall nach unten, den die Piloten mit reiner Muskelkraft am Steuer und den Ruderpedalen ausgleichen müssen. "Prepare to bail out" - Vorbereiten für Absprung - hatte Pilot Knittle bereits vorsorglich durch die Bordsprechanlage kundgegeben. Für alle Fälle.

Es ist kurz nach dem Mittag. Die Bewohner von Oybin und Jonsdorf werden überrascht von einem tieffliegenden amerikanischen Bomber. Abseits der alliierten Flugrouten zu deutschen Städten ist dies eine sehr seltene Erscheinung, auch inmitten des Krieges. Das Flugzeug hängt schräg in der Luft und zieht eine Qualmspur nach sich. Es ist langsam – und verliert an Höhe. Langsam zieht der Bomber weiter, nach Osten hinaus nach Böhmen, in Richtung Grottau (Hrádek nad Nisou).

Die Frontlinie der Sowjets rückt näher und näher. Doch dann ist es soweit, der Boden kommt langsam immer näher. Die Piloten müssen einsehen, dass sie die Maschine aufgeben müssen. "Bail out – bail out – good luck guys" - "Absprung – Absprung – Viel Glück Jungs" ist das letzte, das Knittle für seine Männer tun kann. Mann für Mann springen sie durch die Notausstiegsluken und den geöffneten Bombenschacht ab. Jeder ist nun für sich selbst verantwortlich. Der letzte, der die Maschine verlässt, ist der Heckschütze Robert H. Warren. Hat er den Absprung um wertvolle Sekunden verzögert? Sein Fallschirm hat keine Gelegenheit mehr, sich zu öffnen. Warren stirbt beim Aufprall. Sein Leichnam wird später von Einheimischen in einem Steinbruch bei Dörfel (Víska) gefunden. Einst war der Ort das östlichste Dorf Sachsens. Alle anderen acht Besatzungsmitglieder kommen heil am Boden an.30 Kilometer weiter im Nordosten steht die Rote Armee. Hier in Minkowitz ist deutsches Gebiet. Die Fallschirme werden weithin gesehen, schnell stellen Zivilisten wie Uniformträger die Amerikaner als Kriegsgefangene. Es ist ihr Glück, dass sie zügig davongeführt und nicht, wie andernorts, als "Terrorflieger" an Ort und Stelle gelyncht werden.

Der Absturzort heute: eine Weide westlich des Dorfes Minkowitz in Tschechien.
Der Absturzort heute: eine Weide westlich des Dorfes Minkowitz in Tschechien. © Matthias Schildbach

Der führunglose Bomber driftet endgültig in eine linke Steilkurve, kippt nach links weg, im Tiefflug streift er noch fast die Dächer des Dorfes Minkowitz bei Friedland (Frydlant) und schlägt dann mit gewaltiger Wucht in einen Acker auf. Das freigesetzte Flugbenzin fängt sofort an zu brennen. Die "City of Svannah" ist die einzige Maschine, die der gewaltigen US-Streitmacht an diesem Tag verloren geht. Ihre Überreste werden in den folgenden Tagen zum Flugplatz Reichenberg (Liberec) gebracht.

Nach seiner Gefangenschaft und der Rückkehr in die Staaten macht der ehemalige Pilot Kittle Karriere als Jurist. In den 50er und 60er Jahren arbeitet er in verschiedenen Beratungsgremien des Kongresses. Kittle verstirbt 2001 im Bundesstaat Virgina, USA. Der Absturz der "City of Savannah" gilt als der letzte ungeklärte Flugzeugabsturz in Tschechien, 2015 deckt der Ballonfahrer und Luftfahrtforscher Vladimír Lacina die Geschichte auf. In dem einstigen Dörfel erinnert ein Ehrenmal an die in den Oberlausitzer Bergen verunglückte Bomberbesatzung.