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Eiserne Hochzeit: "Was haben wir Rock 'n' Roll getanzt!"

Heute vor 65 Jahren haben Brigitte und Horst Charamsa aus Zittau geheiratet. Und immer noch schenkt Horst seiner Frau jede Woche Blumen.

Von Jana Ulbrich
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Brigitte und Horst Charamsa aus Zittau feiern heute ihren 65. Hochzeitstag. Das Ehepaar ist 83 und 86 Jahre alt, hat drei Töchter, acht Enkel und neun Urenkel.
Brigitte und Horst Charamsa aus Zittau feiern heute ihren 65. Hochzeitstag. Das Ehepaar ist 83 und 86 Jahre alt, hat drei Töchter, acht Enkel und neun Urenkel. © Matthias Weber/photoweber.de

Eine eiserne Hochzeit! Das hört sich nach sehr alten Menschen an. Brigitte Charamsa schmunzelt verschmitzt. Die zierliche Frau trägt das graue Haar modisch kurz geschnitten und ein modisches Etuikleid über Leggins. Man könnte sie locker auf Anfang 70 schätzen. Brigitte Charamsa ist 83 Jahre alt. Ihr Mann Horst ist 86. Heute vor 65 Jahren haben sie geheiratet: am Ostersonnabend 1959.

Horst Charamsa hat den Arm um seine Frau gelegt. Den 65. Hochzeitstag wollen sie heute Abend ganz bescheiden feiern - im kleinen Kreis mit den Kindern. Von großem Pomp haben die beiden noch nie etwas gehalten. Der hätte ja auch nie Platz gehabt in ihrem Leben.

Manchmal denken sie, sie hätten sich eigentlich auch schon viel früher begegnen können. Beide sind sie Flüchtlingskinder. Brigitte kommt aus Seitendorf, heute Zatonie, im ehemaligen Zittauer Zipfel, Horst aus Wustung, heute Poustka, nur ein paar Kilometer weiter im Tschechischen.

An Flucht und Vertreibung im Frühjahr 1945 erinnern sich beide bis heute: Wie sie ihren kleinen Puppenwagen über die große Neißebrücke schiebt. Wie seine Mutter mit vier kleinen Kindern losläuft und den schweren Leiterwagen kaum ziehen kann. Wie es in Großhennersdorf dann nur noch drei Kinder sind. "Da standen wir mitten auf der Straße und meine kleinste Schwester war gestorben", erzählt Horst und wird ganz still. "Geht heim ins Reich", haben sie den Flüchtlingen hinterhergerufen. Einer ihrer Enkel hat in der Schule einen Aufsatz über die Erlebnisse seiner Großeltern geschrieben.

Brigitte und ihre Mutter stranden in Hirschfelde, Horst und seine Familie in Dresden. Als Horst mit 18 zur Armee soll, meldet er sich an die Grenze. Vielleicht käme er ja irgendwie in den Westen, denkt er sich. Er kommt stattdessen nach Rosenthal - ausgerechnet an diese Grenze, über die er als Kind vertrieben wird.

Es will ihm erst so gar nicht in den Kopf. Aber dann ist da diese junge Frau, die er Weihnachten 1956 beim Tanzen im Drausendorfer Kretscham trifft. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Am 28. März 1959, Ostersonnabend, heiraten Brigitte und Horst Charamsa in Hirschfelde. Auch die Hochzeit ist bescheiden: "Wir haben in der Wohnstube bei meiner Mutter gefeiert", erzählt Brigitte, "eine eigene Wohnung hatten wir ja noch nicht."

Das Ehepaar bekommt drei Töchter, hat inzwischen acht Enkel und neun Urenkel. "Es war am Anfang eine schwere Zeit", sagt Brigitte. Als die Mädels klein waren, hat Horst im Kraftwerk gearbeitet und sie in drei Schichten in der Flachsspinnerei, später dann 30 Jahre lang im Handel. "Ich frage mich heute manchmal, wie wir das überhaupt geschafft haben", sagt sie.

Aber sie machen es sich immer so schön und lebenswert, wie es nur geht. "Was haben wir Rock 'n' Roll getanzt!", schwärmen sie bis heute. Im November 1992 wird das Kraftwerk Hirschfelde abgeschaltet. Im September 1993 ist dann auch für Horst endgültig Schluss. "Da saß ich mit 55 Jahren auf einmal alleine zu Hause", erzählt er. Er habe sich erst einmal umgewöhnen müssen. "Seitdem bin ich der Koch im Hause." Er kocht hervorragend, versichert Brigitte.

Nach der goldenen Hochzeit ziehen sie vom Hirschfelder Nordpol nach Zittau - in eine helle, sanierte Altstadtwohnung mit großen Fenstern und hohen Decken. Und einem kleinen Gärtchen vorm Haus, das Brigitte pflegt.

Auf dem Stubentisch steht eine Vase mit bunten Rosen. "Mein Mann schenkt mir bis heute jede Woche einen Strauß frische Blumen", sagt Brigitte und lächelt. Zu einer langen, glücklichen Ehe gehört auch das: Wertschätzung. Zur Hochzeit ist es ein Strauß weiße Callas, etwas anderes hat der Gärtner gerade nicht im März 1959. "Manche waren entsetzt: Das sind doch Friedhofsblumen!", erzählt Brigitte. "Aber wir leben immer noch - und auch unsere Ehe!"