Gnadenhochzeit: "Wir fühlen uns im Herzen ganz jung"
Im kleinen Wohnzimmer in der Olbersdorfer Grundbachsiedlung geht es fröhlich zu an diesem Mittwochvormittag. Hannelore und Hanskarl Schönrich stoßen lachend mit einem Gläschen Sekt an: ein Prost auf sagenhafte 70 Jahre Ehe! Auf eine ausgesprochen glückliche Ehe wohlgemerkt. Das müssen die beiden gar nicht extra betonen. Das sieht jeder sofort.
Hannelore Schönrich ist 89 Jahre alt, ihr Mann Hanskarl 94. Das ist kaum zu glauben, so fit und junggeblieben die beiden wirken. Ihre Wohnung liegt im dritten Stock. Den Fahrstuhl nehmen sie nur, um die Einkäufe nach oben zu bringen. Und es freut sie, dass jetzt endlich Frühling wird und sie beide wieder rausgehen können. In den Wald. In die Natur. "Der Frühling ist das Schönste", sagt Hannelore.
Im Frühling haben die beiden auch geheiratet: am 27. März 1954 - vor 70 Jahren. "Da war unsere Große schon unterwegs", schmunzelt Hannelore. Die große Tochter wird noch drei Brüder bekommen. Inzwischen haben Hannelore und Hanskarl Schönrich auch noch sechs Enkel und sieben Urenkel, der Jüngste erst vier Wochen alt. Zur großen Feier im April werden sie alle nach Olbersdorf kommen. "Wirklich alle", strahlt Hannelore, "auch die beiden Enkel aus Wien und Paris und das kleine Urenkelchen." Die Familie, sagt sie, die sei ihr größtes Glück.
Und die Familie hält Hannelore und Hanskarl Schönrich auf Trab. Oma und Opa sind immer da, wenn Kinder, Enkel oder Urenkel rufen. "Mit der Familie fühlen wir uns im Herzen ganz jung", sagt Hanskarl. Zu Weihnachten haben die Enkel ihnen zwei iPads geschenkt. Seitdem können sie sich beim Telefonieren auch sehen. "Wir skypen", erklärt Hannelore. Sie skypen ganz oft. Und noch öfter sind sie mit ihren Kindern zusammen, die in der Nähe wohnen.
Wie man das so lange zusammen aushält? "Ganz einfach", lacht Hannelore Schönrich: "Wir haben zwei Fernseher: Er guckt seinen Sport, ich meine Schnulzen." Humor hält eine Ehe eben auch jung. Natürlich ist es auch manchmal schwierig gewesen, fügt die 89-Jährige hinzu. Als die Kinder klein sind zum Beispiel und sie beide voll arbeiten gehen, sie als Textilfacharbeiterin bei Lautex, er als Vermesser im Olbersdorfer Braunkohletagebau.
"In der Grube gab's Deputat-Schnaps, zwei Flaschen 'Kumpeltod' pro Monat für jeden Arbeiter", erzählt Hanskarl Schönrich. Mit dem 32-prozentigen Klaren hat Hannelore immer Eierlikör gemacht. Nach der Wende erleben sie mit, wie die alte DDR-Wirtschaft zusammenbricht. Schon 1990 ist Schluss in der Grube, wenig später werden die Mitarbeiter bei Lautex entlassen. Für Hannelore und Hanskarl Schönrich beginnt das Rentnerleben. Weil Hannelore noch etwas tun will, trägt sie noch zehn Jahre lang in aller Herrgottsfrühe die Sächsische Zeitung aus.
Auf dem Stubentisch liegt das Hochzeitsfoto von 1954: die ganze Hochzeitsgesellschaft vor "Taubmanns Restaurant" in Olbersdorf. "Weil es nichts gab, haben wir das ganze Essen mitgebracht: die Suppe, die Kartoffeln, das Fleisch, das haben wir alles irgendwie zusammengetragen", erinnert sich Hanskarl.
"Taubmanns Restaurant" gibt es heute nicht mehr. Es steht nicht einmal mehr das Haus. Aber vielleicht machen Hannelore und Hanskarl Schönrich ja zu Ostern einen Ausflug zum Burgteich nach Zittau. Im Burgteich haben sie sich nämlich kennengelernt. "Das war 1953", erzählt Hannelore. "Ich war mit meiner Freundin zum Tanzen dort, Hanskarl mit seinem Freund." Auch Freund und Freundin wurden damals ein Paar. "Wir waren immer zu viert", sagt Hannelore, "unsere Freundschaft hat ein Leben lang gehalten." Doch die Freunde sind inzwischen beide gestorben.
Hannelore und Hanskarl Schönrich wollen gerne noch lange leben. "Wir haben uns vorgenommen, die Zeit, die uns noch verbleibt, so gut wie nur möglich zu genießen", sagen sie. "Wir hatten und haben ein schönes Leben in voller Harmonie mit unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln." Und noch einmal stoßen sie an mit ihrem Gläschen Sekt: auf die Liebe und das Leben.