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"Eine solche Dramatik noch nie erlebt"

Monatelang haben Pflegekräfte im Klinikum Oberlausitzer Bergland am Limit gearbeitet. Nicht nur das verdient Respekt, sagt Pflegedirektorin Andrea Zelyk.

Von Jana Ulbrich
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Andrea Zelyk ist Pflegedirektorin des Klinikums Oberlausitzer Bergland. "Was Pflegekräfte leisten, wird oft weit unterschätzt", sagt die 33-Jährige.
Andrea Zelyk ist Pflegedirektorin des Klinikums Oberlausitzer Bergland. "Was Pflegekräfte leisten, wird oft weit unterschätzt", sagt die 33-Jährige. © Matthias Weber/photoweber.de

Wenn Andrea Zelyk morgens die Treppen bis hinauf unters Dach steigt, kommt sie zuerst an der Notaufnahme vorbei, eine Treppe höher an der Intensivstation, ganz oben dann an der Physiotherapie. So ist sie schon auf dem Weg zu ihrem Büro mittendrin in ihrer Arbeit. Andrea Zelyk ist die Pflegedirektorin des Klinikums Oberlausitzer Bergland mit seinen Standorten in Zittau und Ebersbach. Sie ist 33 Jahre alt und gelernte Pflegefachkraft. Sie hat in der ambulanten Intensivpflege und als Wundschwester gearbeitet, war Stations- und Pflegedienstleiterin, hat berufsbegleitend Pflegewissenschaften studiert. "Was Pflegekräfte leisten, wird oft weit unterschätzt", sagt sie. "Ich weiß, wovon ich rede." Und heute, am internationalen Tag der Pflege, will sie das auch mal laut sagen.

Frau Zelyk, Sie haben die SZ um dieses Gespräch gebeten. Warum?

Weil es mir wichtig ist, auf die Leistungen der Pflegekräfte bei uns im Klinikum auch mal öffentlich aufmerksam zu machen. Ich dachte, der Tag der Pflege ist da eine gute Gelegenheit.

Der Tag der Pflege?

Sehen Sie, kaum jemand hier weiß, dass es diesen Tag gibt. In Stuttgart, wo ich jahrelang gelebt und gearbeitet habe, bevor wir wieder in die Heimat zurückgekommen sind, war der 12. Mai immer ein ganz besonderer Tag für alle Pflegekräfte - mit Veranstaltungen und viel Aufmerksamkeit und Anerkennungen für den Beruf. In den USA machen sie aus dem Tag sogar eine ganze Woche. Aber hier war das bisher kaum ein Thema. Dabei wird immer noch weit unterschätzt, was Pflegekräfte leisten.

Aber spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir das doch.

Sicher. Corona hat allen gezeigt, wie wichtig Pflege ist. Wenn die Leute vom Balkon geklatscht haben, war das für die Pflegekräfte auch eine Anerkennung. Aber Applaus alleine reicht nicht.

Das Klinikum hat gerade vom Bundesgesundheitsministerium mehr als eine Million Euro Corona-Prämie bekommen, die jetzt als Anerkennung an die Mitarbeiter verteilt werden kann.

Das hat uns natürlich riesig gefreut und ist sehr viel wert. Die hohe Summe macht aber auch sehr deutlich, welche riesengroße Belastung die Mitarbeiter in Zittau und Ebersbach gestemmt haben - auch im Vergleich zu anderen Klinken. Es konnte sich ja niemand auf so eine Situation vorbereiten. Es war für alle neu. Wir mussten Teams auseinanderreißen und neue zusammenwürfeln, Isolierstationen einrichten, andere Stationen schließen, Mitarbeiter dort hinschicken, wo gerade dringend welche gebraucht wurden. Wie da alle mitgezogen und einfach angepackt haben, das war wirklich großartig. Viele haben bis an ihre körperliche und seelische Schmerzgrenze gearbeitet, oft auch über das Limit hinaus. Das wird Folgen haben - positive und negative.

"Pandemie wird seelische Folgen haben"

Was für Folgen meinen Sie?

Positiv ist, dass wir ganz viel mitnehmen aus dieser Zeit, die uns als Klinikum und Mitarbeiter-Team sehr viel weitergebracht hat. Das wird bleiben. Es gibt jetzt, glaube ich, einen viel stärkeren Zusammenhalt unter den Mitarbeitern - auch über die eigene Stationsgrenze hinaus. Die Pflegekräfte waren von einem Tag auf den anderen vor eine völlig neue Situation gestellt und mussten auch sehr viel dazulernen. Auch das bleibt ihnen jetzt. Vor der Pandemie wäre es zum Beispiel undenkbar gewesen, dass auf einer Normalstation High-flow-Sauerstoffgeräte laufen.

Sie haben gerade auch von negativen Folgen gesprochen.

Ja. Damit meine ich die seelischen Nachwirkungen: Diese unwahrscheinliche psychische Belastung, die die Pflegekräfte auf den Stationen in dieser Dramatik nie zuvor erlebt haben, bleibt nicht folgenlos. Wenn du stundenlang am Bett eines Patienten stehst, alles tust, was du kannst, unter der Schutzkleidung schwitzt, dass du es fast nicht mehr aushältst, nicht zum Frühstücken kommst, längst schon Dienstschluss hättest - und dann stirbt der Mensch, um den du dich so gekümmert hast, trotzdem, und du kannst ihm nur noch beim Sterben die Hand halten. Das steckt man nicht so einfach wieder weg. Für die Mitarbeiter, die das fast täglich erlebt haben, planen wir jetzt Supervisionen, also Gespräche, in denen sie über das Erlebte reden können.

Dass Pflegekräfte am Limit arbeiten, ist zwar durch die Pandemie ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Aber gab es das Problem nicht auch vorher schon?

Das stimmt. Deswegen ist es uns wichtig, die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte im Klinikum bestmöglich zu gestalten. Es darf nicht sein, dass eine Krankenschwester nach dem Dienst völlig kaputt nach Hause kommt. Viele sehen gar nicht, was von den Pflegekräften alles erwartet wird: Es ist ja nicht nur die pflegerische Arbeit. Sie müssen ständig Ansprechpartner für die Ärzte sein, für die Patienten, für die Angehörigen. Sie müssen sich um eine Unmenge an Dokumentationen kümmern, Papiere fertigmachen, Krankentransporte organisieren, Seelsorger sein und sich nebenbei noch Zeit nehmen, um Schüler anzuleiten. Für all das ist der Pflegeschlüssel, den die Kliniken mit den Kassen aushandeln, meiner Meinung nach zu gering.

Personalschlüssel in der Pflege ist zu gering

Wie hoch ist der Pflegeschlüssel aktuell?

Derzeit wird auf den Normalstationen eine Pflegekraft auf zehn Patienten gerechnet. Das ist die Untergrenze. Auf den Covid-Stationen planen wir derzeit mit anderthalbmal so viel Personal, weil der Pflegeaufwand der Covid-Patienten deutlich höher ist. Auch wie die Schwestern und Pfleger des gesamten Klinikums das stemmen, ist großartig. Das Personal ist ja nicht mehr geworden. Generell würde ich mir für das Klinikum einen Personalschlüssel von 1:8 wünschen. Das wäre super.

Wie können die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte denn besser werden?

Wir haben bereits einiges getan: Wir haben die Nachtwachen auf den Stationen jetzt doppelt besetzt - das bedeutet jetzt zwar häufigere Nachtdienste, aber der Dienst selbst ist für zwei Pflegekräfte auf der Station nur noch halb so anstrengend als für eine alleine. Wir bemühen uns jetzt auch um Einzellösungen für Schwestern, die aus der Elternzeit zurückkehren. Wie haben einen Springer-Pool mit Wunscharbeitszeiten eingerichtet. Wer dort mitarbeitet, trägt ein, wann er arbeiten möchte, und wird dann gezielt dort eingesetzt, wo in dieser Zeit gerade jemand gebraucht wird. Mit dem Betriebsrat planen wir gerade ein Ausfallsystem, das klar regelt: Wer frei hat, hat frei und muss nicht befürchten, im Notfall zu Hause angerufen zu werden. Für den Notfall soll es Bereitschaftsdienste geben, die auch honoriert werden. Und wir haben eine Wechselschicht-Zulage eingeführt.

Weil Sie gerade vom Honorieren sprechen: Müssen Pflegekräfte besser bezahlt werden?

Ich bin immer für eine bessere Bezahlung. Aber Krankenhäuser sind Wirtschaftsunternehmen und können nicht beliebig die Gehälter erhöhen. Hier ist die Politik gefragt, da gibt es ja zum Glück auch schon ein Umdenken. Wir hier im KOB müssen aber auch jetzt - bei allen wirtschaftlichen Zwängen - zusehen, dass wir mit unserem Haustarif in den Gehältern wettbewerbsfähig bleiben. Pflegekräfte sind rar und können sich ihre Arbeitgeber aussuchen. Wir wissen aber auch, dass nicht nur die Bezahlung eine Rolle spielt, sondern eben auch ganz stark die Arbeitsbedingungen.

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