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Mit dem Krankenwagen ins Kriegsgebiet

Der Seifhennersdorfer Jürgen Noßmann und andere Freiwillige holen Patienten aus der Ukraine - eine gefährliche Mission. Zu Hause bereitet seine Frau schon die nächste Hilfsaktion vor.

Von Holger Gutte
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Dieses Foto wurde von einem vorangegangenen Hilfskonvoi auf dem Weg durch die Ukraine gemacht.
Dieses Foto wurde von einem vorangegangenen Hilfskonvoi auf dem Weg durch die Ukraine gemacht. © privat

Jeden Moment kann bei Jürgen Noßmann in Seifhennersdorf das Telefon klingen. Dann macht sich der Rentner auf in die Ukraine. "Seit Sonntag warte ich schon darauf, dass es endlich losgeht", sagt er. Er will helfen, wie schon so oft. Kommt der erwartete Anruf, fährt er zum DRK nach Zittau und mit anderen medizinisch geschulten Fahrern zum Roten Kreuz nach Dresden. Wenig später wird er dann, wie einige andere auch, am Steuer eines Krankenwagens sitzen und damit in die Ukraine fahren. Wohin genau steht noch nicht endgültig fest. "Wir fahren erst einmal an die rumänische oder an die moldawisch-ukrainische Grenze", sagt er.

"Wir holen Patienten aus der Ukraine raus", erzählt er. Das ist das Ziel der humanitären Aktion. So wie er das sagt, klingt es, als würde Jürgen Noßmann wie ein Taxifahrer einen Patienten ins Zittauer Krankenhaus bringen. Er weiß, dass es nicht so ist, aber lässt es sich nicht anmerken.

Renate und Jürgen Noßmann sammeln mit ihrem Verein „Hilfe für Kinder in Not Seifhennersdorf“ seit vielen Jahren Spenden für notleidende Kinder in der Ukraine und bringen diese selber hin. Nun fährt Noßmann mit einem Krankenwagenkonvoi in die Ukraine.
Renate und Jürgen Noßmann sammeln mit ihrem Verein „Hilfe für Kinder in Not Seifhennersdorf“ seit vielen Jahren Spenden für notleidende Kinder in der Ukraine und bringen diese selber hin. Nun fährt Noßmann mit einem Krankenwagenkonvoi in die Ukraine. ©  Thomas Eichler (Archiv)

Viele Male war er schon in der Ukraine. Aber jetzt geht es mit einem Krankenwagen ins Kriegsgebiet. Doch selbst damit hat er bei einem Hilfstransport seines Vereins Hilfe für Kinder in Not Seifhennersdorf bereits Erfahrungen gemacht. 2015 hat der Verein Hilfsgüter in die Ukraine gebracht. Die Kämpfe im Donbas/Donez-Gebiet sind da schon in vollem Gange gewesen.

Die Fahrt bis zur ukrainischen Grenze ist Routine für ihn. Durch die Hilfsaktionen des Seifhennersdorfer Vereins, dessen Vorsitzender er ist, kennt Jürgen Noßmann die langen Wartezeiten an den Grenzübergängen und die teilweise akribischen Zollkontrollen an den Grenzen. Und jetzt durch den Krieg ist es damit noch schlimmer geworden.

Ab ukrainischem Territorium wird es eine Fahrt ins Ungewisse. Das Ziel des Krankenwagenkonvois aus Sachsen in der Ukraine erfahren sie kurzfristig, weil die Lage sich ständig ändern kann.

Auf seinem Handy hat Jürgen Noßmann ganz aktuelle Fotos aus umkämpften Gebieten in der Ukraine. Einige stammen aus Gegenden, in die er mit seinem Verein zusätzlich gleich nach dieser Aktion noch hin will. Die Fotos haben Helfer von einem anderen Hilfskonvoi gemacht. Sie zeigen tote Zivilisten, die an einer Hauswand auf dem Gehweg liegen und nur schnell mit einer Decke verhüllt wurden. Auf einem anderen Foto ist ein Auto zu sehen, dessen Beifahrerin noch erschossen darin liegt.

"Wir müssen den Menschen dort helfen. Meine Kinder und Enkel sind schon groß", sagt Jürgen Noßmann. Es klingt wie: "Mir wird schon nichts passieren." Dennoch fährt er nicht blauäugig ins Kriegsgebiet. Dem Seifhennersdorfer ist bewusst, wie gefährlich das ist.

Erst vor wenigen Tagen ist ein ukrainischer Helfer beim Verteilen von Hilfsgütern ums Leben gekommen, weiß er von einem anderen Hilfskonvoi. Bei dem sind in der Ukraine die Hilfsgüter auf kleinere Transporter verladen worden. So ist die Chance größer, die Waren in die Stadt Kiew oder in andere gefährliche Gebiete zu bringen. "Der Fahrer eines solchen Kleintransporters wurde dabei erschossen. Er war Vater von zwölf Kindern und hatte die Rot-Kreuz-Zeichen auf seinem Fahrzeug", schildert Jürgen Noßmann.

Entsetzliche Bilder von einem Hilfskonvoi in der Ukraine

Die russischen Truppen schießen auch auf Zivilfahrzeuge. In diesem Auto konnte die tote Beifahrerin noch gar nicht geborgen werden.
Die russischen Truppen schießen auch auf Zivilfahrzeuge. In diesem Auto konnte die tote Beifahrerin noch gar nicht geborgen werden. © privat
Leichen von Zivilisten liegen notdürftig mit einer Decke zugedeckt am Rand eines Fußweges in einer Stadt an der Fernverkehrsstraße von Sarny nach Kiew.
Leichen von Zivilisten liegen notdürftig mit einer Decke zugedeckt am Rand eines Fußweges in einer Stadt an der Fernverkehrsstraße von Sarny nach Kiew. © privat
Überall gibt es bombardierte und zerschossene Wohngebäude.
Überall gibt es bombardierte und zerschossene Wohngebäude. © privat
Eine Detonation hat alle Fensterscheiben dieses Krankenwagens kaputt gemacht.
Eine Detonation hat alle Fensterscheiben dieses Krankenwagens kaputt gemacht. © privat
Der Verein "Hilfe für Kinder in Not Seifhennersdorf" bei der Übergabe einer Spende in der ukrainischen Stadt Sarny.
Der Verein "Hilfe für Kinder in Not Seifhennersdorf" bei der Übergabe einer Spende in der ukrainischen Stadt Sarny. © privat

Also wird auch sein Krankenwagen vor den russischen Granaten nicht sicher sein. Und wahrscheinlich werden von Jürgen Noßmann nicht nur seine Fahrkünste im ukrainischen Zielort gebraucht, wenn er Patienten von dort heraus holt und sie über die Grenze in Sicherheit bringt. Er hat viele Jahre als Fachpfleger für Anästhesie und Intensivtherapie gearbeitet und zuletzt in Seifhennersdorf einen privaten Pflegedienst geführt.

Wie Jürgen Noßmann und die anderen Helfer des Konvois wieder nach Deutschland zurückkommen, weiß er noch nicht. "Vielleicht mit dem Flugzeug, mit dem Zug, keine Ahnung", sagt er. Für ihn ist das auch Nebensache. Denn die Krankenwagen bleiben an der ukrainischen Grenze. Andere Fahrer werden dann damit so viele Patienten aus der Ukraine nach Moldawien oder Rumänien holen, wie es nur geht.

In Seifhennersdorf wartet dann schon auf Jürgen Noßmann die nächste Aktion. Bei der will er möglichst schnell gleich wieder in die Ukraine fahren. Dann aber auf Initiative des Seifhennersdorfer Vereins. Seit Tagen sammelt der Verein dafür Hilfsgüter. Seine Frau Renate organisiert das zu Hause.

Etwa zwei Tonnen sollen so zusammenkommen. "Wir sammeln Bekleidung für Kinder und Erwachsene, Decken, Schlafsäcke, Verbandsmaterial, Erste-Hilfe-Kästen - auch unvollständige oder schon überlagerte, wenn sie noch sauber sind", schildert er. Vor allem werden jetzt aber Windeln für Kinder und generell Hygiene-Artikel gebraucht. Von Lebensmittelspenden rät Jürgen Noßmann ab. Damit wird es beim Zoll immer ziemlich schwierig. Deshalb sollte lieber Geld gespendet werden, damit vor Ort an der Grenze Lebensmittel gekauft werden können. Das sei möglich.

Bei dieser Hilfsaktion steht der Zielort mit der Stadt Sarny bereits fest. Sarny liegt etwa 200 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Sobald genügend Sachspenden zusammen sind, soll es losgehen. Mit seinem Opel-Transporter und dem vier Meter langen Anhänger kann er zwei Tonnen Hilfsgüter laden. Zwei Anlaufpunkte will Jürgen Noßmann in und um Sarny ansteuern - einmal ein Krankenhaus, in dem der Chefarzt für ihn der Ansprechpartner ist und eine kirchliche Einrichtung. Die werden dann die Waren an Hilfsbedürftige verteilen.

"Wer für diese Aktion Spenden möchte, kann uns damit gerne unterstützen", sagt er. Anfragen sind auch über das Kontakttelefon des Vereins unter 0160 99382433 möglich.

Spendenkonto: Hilfe für Kinder in Not Seifhennersdorf; VR: 7946; Volksbank Löbau-Zittau; DE92 8559 0100 4561 2778 05