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Der mörderische falsche Paketzusteller von Zittau

Ein 20-jähriger Mann gesteht vor Gericht, die beste Freundin seiner Ex grausam überfallen zu haben. In seiner Welt wollte er so seine Geliebte zurückerobern.

Von Frank Thümmler
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Der Angeklagte mit seinem Verteidiger vor der Verhandlung auf der Anklagebank.
Der Angeklagte mit seinem Verteidiger vor der Verhandlung auf der Anklagebank. © Danilo Dittrich

Wenn man diesen jungen Mann – 20 Jahre alt und äußerlich jünger, nahezu unschuldig wirkend – so auf der Anklagebank des Görlitzer Landgerichts sitzen sieht, traut man ihm diesen grausamen Überfall, den er am 27. August vergangenen Jahres begangen hat, auf keinen Fall zu. Das Opfer, die heute 21-jährige beste Freundin seiner Ex-Geliebten, die sich gerade von ihm getrennt hatte, schwebte dadurch in Lebensgefahr. Gerettet, so heißt es in der Anklage, wurde sie nur, weil ein Mann das Geschehen bemerkt hatte, den Täter vom Opfer zog und Rettungsmaßnahmen einleitete.

Folgendes hatte sich laut Anklage an jenem Sommertag zugetragen und wurde zusätzlich vom Opfer bestätigt, das am ersten Verhandlungstag vor Gericht aussagte: Der Angeklagte war an jenem Tag aus seinem Wohnort bei Münster nach Zittau gereist, hatte am Wohnhaus der jungen Frau in Zittau geklingelt und sich als Postbote ausgegeben, um sie vor die Tür zu locken. Sie, so sagt sie vor Gericht, glaubte zwar die Stimme des Ex-Freundes ihrer besten Freundin zu erkennen und befürchtete auch Rachegedanken von ihm, weil er sie für das Ende seiner Beziehung verantwortlich machte. Aber sie ließ sich nach einer telefonischen Rückfrage bei ihrer besten Freundin überzeugen, dass er es nicht sein könne, weil er zu Hause sei. Ein folgenschwerer Irrtum: Sie öffnete die Tür, nahm ein Päckchen von dem Mann entgegen, den sie zuvor nur auf Fotos gesehen hatte und der unter Maske, Brille und Cap versteckt war. Er entfernte sich noch mal, angeblich, um das Bestätigungstool für den Päckchenempfang zu holen - in Wahrheit wohl, um sich zu versichern, dass die Luft rein ist.

Passant rettet Opfer das Leben

Als er zurückkam, griff er sofort an die Kehle der sehr schlanken jungen Frau, schob sie in den Eingangsbereich des Hauses, brachte sie zu Boden und versuchte, ihr mit beiden Händen die Kehle zuzudrücken. Sie wehrte sich, drehte sich auf den Bauch, woraufhin er vergeblich versuchte, ihr von hinten mit ruckartigen Bewegungen das Genick zu brechen. Sie drehte sich, so schildert sie es vor Gericht, wieder auf den Rücken, kam noch dazu zu sagen, das seine Ex am Telefon sei. Aber nichts konnte den Täter aufhalten. Er drückte wieder mit beiden Händen den Hals zu, drückte auch das Knie in den Hals und ergriff den Kopf der jungen Frau, um ihn auf den Fliesenboden zu schlagen. Sie war benommen, er hatte leichteres Spiel, noch fester zuzudrücken. "Ich dachte, entweder er bringt mich jetzt um oder ich halte so lange durch, bis mir jemand zu Hilfe kommt", sagt sie vor Gericht.

Als sie schon bewusstlos war, kam tatsächlich jemand und rettete ihr so wohl das Leben. Für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: Versuchter Mord aus niedrigen Beweggründen, hinterlistig ausgeführt. Richter Theo Dahm fügte das Mordmerkmal Heimtücke noch hinzu. Laut Anklage soll der junge Mann als Heranwachsender verurteilt werden, was die Höchststrafe auf zehn Jahre Freiheitsentzug - statt lebenslänglich - begrenzen würde.

Tragödie in der Kindheit

Der junge Angeklagte hatte eine Einlassung vorbereitet, 29 handschriftlich geschriebene Seiten lang. Diese Einlassung trug er vor und räumte gleich zu Beginn ein, die Tat begangen zu haben, ohne sich allerdings zum eigentlichen Tatgeschehen zumindest jetzt äußern zu wollen. In seiner Erklärung schilderte er sein wirres Seelenleben, das ihn zu der auch für ihn selbst einschneidenden Tat geführt hat.

Den Anfang dieser Tragödie sieht er in seiner Kindheit – Dauerstreit im Elternhaus, Scheidung als er sechs Jahre alt war, weiterhin Streit auch mit der Schwester, ungeliebt sein, in der Schule gemobbt werden, nie Freunde zu haben. Er habe sich hinter eine Lügenmauer, in eine Spielwelt und ins Internet zurückgezogen, so schildert er es. Licht in sein Leben sei erst gekommen, als 2017 über ein Internetforum Kontakt zu einer etwa gleichaltrigen Zittauerin entstand, die selbst psychische Probleme hatte, bis hin zu Selbstmordgedanken. Mit ihr konnte er sich in stundenlangen Chats austauschen, sie wurde seine Liebe, erst als reine Fernbeziehung. Später zog sie Hunderte Kilometer aus Zittau in seine Nähe. Sie kamen zusammen. "Wir waren eine kleine Familie, unsere drei Haustiere waren wie unsere Kinder", schildert er.

Aber es gab Probleme, weil er es gewohnt war, eine Lügenfassade zu leben und das jetzt nicht ablegen konnte, wie er selbst reflektiert. Dazu kamen Internetchats mit anderen über sexuelle Dinge – sogenanntes Sexting. Er wurde von seiner Geliebten erwischt, versprach sich zu ändern, besuchte sogar einen Therapeuten. Trotzdem wurde es eine Beziehung mit emotionalen Aufs und Abs. Das Fass zum Überlaufen brachten aus Sicht des Angeklagten Chats mit der besten Freundin seiner Geliebten, in denen es ebenfalls um sexuelle Inhalte ging, angeblich ohne, dass der eine vom anderen etwas wollte.

Das kam raus, wobei seine Geliebte ihm nicht glaubte, dass da nichts mit ihrer besten Freundin sei. Der Angeklagte hatte den Chatverlauf schon gelöscht – und die beste Freundin half ihm nicht, das aufzuklären. Vielmehr hegte er den Verdacht, dass sie ihn und seine Geliebte auseinander bringen wollte, gab letztlich ihr die Schuld am Auseinanderbrechen. Und so entspann sich in seinem Kopf der kranke Plan. Wenn er ihr etwas antun würde, würde er sich erstens rächen, und zweitens seiner Geliebten beweisen, dass da nichts mit ihr war.

Urteil vermutlich im April

Nach dieser Einlassung dürfte es schwer für den Angeklagten und seinen Verteidiger werden, eine Verurteilung wegen Mordversuchs zu verhindern. Der Angeklagte räumte schließlich einen ausgetüftelten, hinterhältigen Mordplan ein, auch die Tötungsabsicht. Er war eine Woche vor der Tat sogar extra nach Zittau gereist, um Gegend und Wohnhaus seines Opfers auszukundschaften. Auch die lange Zugfahrt vor der Tat und die Zeit des Nachdenkens brachte ihn nicht von seinem Vorhaben ab. Die Tat selbst war dann ja auch keine Sekundensache, auch wenn er das mitgebrachte Messer nicht einsetzte. Und aus juristischer Sicht quasi ein Eigentor des Angeklagten: Er berichtete so reflektiert über sein falsches Verhalten, dass man meinen könnte, er habe die Reife eines Erwachsenen. Seine Liebe zu seiner Ex-Geliebten scheint ungebrochen. In einem Versteck hinterließ er ihr ein Foto aus der schönsten gemeinsamen Zeit und einen Zettel: "Bitte warte auf mich!"

Fünf weitere Verhandlungstage sind angesetzt. Nach jetzigem Stand wird mit einem Urteil am 22. April gerechnet.