SZ + Zittau
Merken

Aufbruch ins digitale Zeitalter

In eigener Sache: Die Lokalredaktion Löbau/Zittau hat als eine der ersten auf "online first" umgestellt. Und macht dadurch auch eine bessere Zeitung - die heute 75 Jahre alt wird.

Von Thomas Mielke
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Thomas Mielke, Chef der Lokalredaktion Löbau/Zittau, an "seiner" Monitorwand, auf die er die Online-Zahlen im Blick behält.
Thomas Mielke, Chef der Lokalredaktion Löbau/Zittau, an "seiner" Monitorwand, auf die er die Online-Zahlen im Blick behält. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Es ist ganz still, als die Redakteure die Grafik zur Altersstruktur der SZ-Leser sehen. Fassungslos müssen sie erkennen, dass viele inzwischen im Rentenalter sind. Junge Leser rücken kaum nach. Was diese Entwicklung langfristig für die Zeitung und damit Hunderte Arbeitsplätze bedeutet, ist allen klar.

Das war vor drei Jahren. SZ-Chefredakteur Uwe Vetterick bezeichnet diesen Moment der Erkenntnis als den Punkt, an dem sich die SZ auf den Weg in die Zukunft gemacht hat. Dabei stand die Frage im Raum: Stirbt die Zeitung? Interessieren sich nur noch ältere Menschen für Nachrichten, Berichte, Interviews und Reportagen? Nein, sagten schon damals steigende Zugriffszahlen auf die inzwischen auch schon 25 Jahre alte SZ-Internetseite "sz-online": Auch junge Leute wollen wissen, was in ihrem Umfeld passiert. Nur mit der gedruckten Zeitung können sie nichts mehr anfangen.

Daraus hat Vetterick den Schluss gezogen: Die SZ hat nur eine Zukunft, wenn sie sich stärker aufs Internet konzentriert - ohne dabei ihre treuen Zeitungsleser aus dem Blick zu verlieren. Eine Blaupause für diesen Prozess gibt es nicht, obwohl weltweit die meisten Zeitungen vor demselben Problem stehen. Also hat sich der heute 52-Jährige mehrfach ausgezeichnete SZ-Chef-Journalist auf den eigenen Weg gemacht - und die Lokalredaktion Löbau/Zittau als "Versuchskaninchen" ausgewählt.

Doch wie gehen andere vor und welche Inhalte funktionieren im Netz? Die Schweden zum Beispiel waren schon einen Schritt weiter, weil der Veränderungsdruck bei ihnen früher einsetzte. Uwe Vetterick flog mit Kollegen wie dem Löbau-Zittauer Lokalchef Thomas Mielke nach Skandinavien. Nach Gesprächen und Besichtigungen bei zwei großen Zeitungen in Stockholm war klar: Man kann so viele neue, zahlende Leser im Internet gewinnen, dass es eine Zukunft gibt. Doch Analysen zeigten auch: Nur 20 Prozent der Artikel aus der gedruckten Zeitung funktionieren im Internet. Das sind vor allem solche, die für möglichst viele Menschen relevant sind, die sie emotional berühren, exzellent erzählt und exklusiv sind oder ihnen Orientierung in ihrem Umfeld, in ihrem Leben geben.

Für die Redaktion Löbau/Zittau bedeutete das einen tiefgreifenden Wandel beim Tagesablauf und bei der Arbeit mit Themen - plötzlich war nur noch der Bau einer Hauptstraße wichtig, nicht mehr der einer Nebenstraße, an der nur eine Handvoll Menschen lebt. Im Netz gibt's keinen Redaktionsschluss, aktuelle Ereignisse stehen in wenigen Minuten online. Die Devise: "Wir müssen 'online first' - also 'online zuerst' - denken und arbeiten". Und danach vor allem mit diesen für viele Menschen relevanten Inhalten die Zeitung bestücken - denn zwei Teams, eins für online und eins für die Zeitung, kann sich kaum ein Verlag leisten. Zumal es eine ganze Stange Geld kostet, allein die technischen Voraussetzungen für den Wandel zu schaffen und zu testen.

Das radikale Umdenken löste Sorgen und Ängste in der Redaktion aus. Wie reagieren die Zeitungsleser, wenn sie plötzlich andere Inhalte bekommen? Bestellen sie in großer Zahl ab? Uwe Vetterick nahm die Sorgen ernst. Jede Phase der Umstellung haben die Mehrwert-Macher, die wie die SZ zum Dresdner Druck- und Verlagshaus gehören, mit dem Lesewert-Verfahren begleitet. Dabei wird gemessen, welche Inhalte der gedruckten Zeitung wie von den Lesern angenommen werden. Das Ergebnis: Mit jedem Umstellungsschritt vom Frühsommer bis zum Herbst 2018 fiel die Nutzungsintensität der gedruckten Lokalausgabe nicht etwa - sie stieg.

Im November 2018 wurde aus "sz-online" dann "sächsische.de". Gleichzeitig war die Umstellung in Löbau und Zittau abgeschlossen - der neue Weg hat da aber erst begonnen. Noch sind viele inhaltliche, rechtliche, technische, wirtschaftliche Probleme zu lösen. Eins ist die Kostenlos-Mentalität im Netz. Es wird wohl lange dauern, bis alle Nutzer anerkennen, dass professioneller Journalismus auch im Internet nicht kostenlos zu haben ist.

Jetzt, 17 Monate später sind alle SZ-Lokalredaktionen in der Loipe, die die Löbauer und Zittauer gespurt haben. Die Zahlen zeigen, dass der eingeschlagene Weg in die richtige Richtung führt. Die Zeitungsleser haben wegen der Umstellung nicht in Scharen abbestellt. Im Gegenteil: Sie fühlen sich besser informiert als vorher. Auf der anderen Seite abonnieren täglich Menschen die Online-SZ. Die Reichweite hat sich 2020 mehr als verdoppelt. Rund 14,5 Millionen Klicks erreichten allein die Artikel der Lokalredaktion Löbau/Zittau.

Der SZ-Weg wurde im gesamten deutschsprachigen Raum mit Spannung verfolgt. Verlagsmanager und leitende Redakteure von Dutzenden Zeitungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich in Dresden und Zittau die Klinke in die Hand gegeben, um sich zu informieren. Uwe Vetterick, Thomas Mielke und Lesewert-Geschäftsführer Ludwig Zeumer erhielten sogar eine Einladung zum European Newspaper Congress nach Wien, um vor Hunderten Medienchefs aus vielen europäischen Ländern darüber zu berichten. Ludwig Zeumer beendete den Vortrag im Wiener Rathaus mit den Worten: "Wir wollten online first - und haben am Ende eine bessere Zeitung bekommen."

Mehr Nachrichten aus Löbau und Umland lesen Sie hier.

Mehr Nachrichten aus Zittau und Umland lesen Sie hier.

Sie wollen die wichtigsten Nachrichten aus Löbau und/oder Zittau direkt aufs Smartphone gesendet bekommen? Dann melden Sie sich für Push-Nachrichten an.

Sie wollen schon früh wissen, was gerade zwischen Oppach und Ostritz, Zittauer Gebirge und A4 passiert? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter "Löbau-Zittau kompakt".

Wer uns auf Social Media folgen will: