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Zu Hause

Der Gymnasiast Lars Lotter musste plötzlich für sich allein sorgen. Hilfe bekommt er dabei auch von der Stiftung Lichtblick.

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© Claudia Hübschmann

Von Harald Daßler

Mittwochs ist Waschtag. Freitags wird eingekauft. Die Hausordnung ist jeden zweiten Montag dran. Um den Haushalt „so nebenbei“ zu schmeißen, hat sich Lars Lotter einen festen Plan aufgestellt. Es ist sein eigener Haushalt, seit er vor gut einem halben Jahr in der Martinstraße einzog, in seine Wohnung.

Dass ein 20-Jähriger auf eigenen Beinen steht und einen Hausstand begründet, ist nichts Ungewöhnliches. Anders aber, wenn er Schüler und ohne Einkommen ist. Lars nennt „schwierige Konflikte“ im Elternhaus als Grund für den Umzug. Als sie sich in diesem Frühjahr zugespitzt hatten und er sich an das Jugendamt wandte, bekam er die Empfehlung ins Obdachlosenheim zu gehen. Zum Glück fand der angehende Abiturient beim Amt für Arbeit und Soziales mehr Verständnis für seine Situation und sofort Hilfe. „Sie gaben mir einen Hartz IV-Antrag“, berichtet der junge Mann. Und das Amt sorgte dafür, dass er – nachdem er für einige Tage bei Freunden unterkam – in einem Internatszimmer der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung einziehen konnte. Im  Juni stand die Wohnung zur Verfügung.

Fürs erste stattete er sein Zuhause aus dem Möbellager der Heilsarmee aus. Lehrer halfen beim Transport und stellten ihm weitere Gerätschaften für Küche und Haushalt zur Verfügung. Der Förderverein des Franziskaneums unterstützte ihn und auch die Stiftung Lichtblick, die Lars jetzt eine Beihilfe zukommen ließ, damit er sich für die kalte Jahreszeit einkleiden kann.

Der Bruch mit dem Elternhaus hat wehgetan. Ob Höhen oder Tiefen in seinen schulischen Leistungen – dass der Sohn keinerlei Anteilnahme verspürte, hat ihn sehr verletzt. Andererseits hat er früh erkannt, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen muss. Sicher hat ihn das auch darin bestärkt, sich nicht einzuigeln oder vor der Welt zu verstecken. Nein. Er gibt sich selbstbewusst, steht zu seiner Art zu leben, zu seinen Werten und Zielen. Und er fühlt sich akzeptiert.

Dass „nur der Wille zählt“, wie er es ausdrückt, ist für Lars keine Phrase. Eher ein Motto. Er engagiert sich auch im Schüllerrat und für die Belange der Jugend in Meißen. Gern würde er einige Ideen in der Stadt mit umsetzen – etwa Konzerte am Elbufer oder Abschlussläufe, bei denen die Schulabgänger in jedem Jahr Spendengeld für ihre Stadt sammeln könnten. Lars Lotter singt im Chor des städtischen Gymnasiums, organisiert Feste und Konzerte, übernimmt zahlreiche Moderationen. Klar, dass er auch während der Flut in der Stadt unterwegs war, als Meißner Schüler beim Sandsackfüllen oder Räumen halfen.

„Ich hatte Lehrer, die mir geholfen haben, auch manchen Anstoß gaben. Und die Roland-Berger-Stiftung“, antwortet Lars auf die Frage, wo er Rat fand. Seit der neunten Klasse ist er Stipendiat innerhalb eines besonderen Programms der Roland-Berger-Stiftung, das Kinder aus sogenannten schwierigen Verhältnissen unterstützt. Neben Zuwendungen für einen Internet-Anschluss, Schulmaterialien oder Nachhilfe in Englisch erhielt er über die Stiftung Kontakt zu Sylvia Wähling. Die Meißnerin, die das Menschenrechtszentrum in Cottbus leitet, wurde seine Mentorin. Sie vermochte es ihren Schützling auch für weiteres Engagement zu begeistern, so in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.

Seinem Selbstbewusstsein hat Lars nicht nur die Sprecherfunktion unter den Stipendiaten der Roland-Berger-Stiftung in Sachsen oder die Hauptrolle als Löwe bei der Aufführung „Die Konferenz der Tiere“ in der Dresdner Semperoper zu verdanken. Aus tiefster Überzeugung sagt er auch, dass ihm vermeintliche Statussymbole nichts bedeuten. Mit seinem Einkommen – Hartz IV und Kindergeld – sind große Sprünge eh nicht drin. Wichtig ist ihm, mit dem auszukommen, worüber er verfügen kann.

Bildung sollte ein Statussymbol sein, ist Lars überzeugt. Als Lehrer könnte er selbst einen Beitrag dazu leisten. Er weiß um seine Fähigkeiten: „Ich kann reden, mich gut ausdrücken und erklären“. Nach dem Abi auf Lehramt oder Sozialpädagogik zu studieren, wäre ein Weg. Als Lehrer würde er gern Geschichte und Englisch unterrichten. Und an einer Mittelschule. Er weiß um den Alltag vieler Kinder und Jugendlicher, die diese Schulen besuchen – wenn sie aus Familien kommen, die von Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und Verwahrlosung betroffen sind. Er sieht eine Berufung darin, etwas zurückzugeben von dem, was er selbst an Rat und Hilfe erhalten hat.

Wenn Lars nach einem langen Schultag, nach Klausuren und Vorbereitungen für das Weihnachtskonzert nach Hause in seine kleine Wohnung kommt, sorgt er in diesen Tagen für vorweihnachtliche Stimmung. Wenn etwas Zeit bleibt, bastelt er an Weihnachtsdeko oder kleinen Geschenken. Auch Plätzchen hat er gebacken. Das Weihnachtsfest wird Lars nicht allein verbringen. Er feiert es bei seinem Freund und dessen Familie in Meißen.