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Zu wenig Erzieher für zu viele Kinder

Weil Personal fehlt, stoßen die Kindergärten im Landkreis an ihre Grenzen. Eine Petition ist ihre letzte Hoffnung.

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© Rafael Sampedro

Von Marleen Hollenbach

Der kleine Gruppenraum der Kindertagesstätte ist voll. Die Kinder sitzen auf dem Boden und spielen. Ein kleines Mädchen hat schlechte Laune und weint, zwei Jungen streiten sich. Nur eine Erzieherin ist im Raum. Und die weiß gar nicht, wo sie zuerst hinschauen soll. Die Kindergärtnerin nimmt das Mädchen auf den Schoß, die Zankhähne ermahnt sie von Weitem. 13 Kinder betreut die Erzieherin gleichzeitig. Doch wenn eine Kollegin krank ist, dann kommen noch einmal so viele hinzu. Spielen, erziehen, trösten – und alles im Akkord. Alltag in den Bautzener Kitas.

Wenn Markus Gießler daran denkt, dann wird er wütend. Der Bautzener hat die sogenannten Vernetzungstreffen ins Leben gerufen. Seit Januar diskutiert er einmal im Monat mit Kita-Leitern, Erziehern und Eltern des Landkreises, hört sich deren Probleme an, sucht mit ihnen nach Lösungen. Vor der Landtagswahl sorgte er auch dafür, dass Abgeordnete und Kandidaten an den Treffen teilnahmen. Bei den Politikern traf er auf großes Verständnis und hörte viele Versprechen. Drei Monate sind seither vergangen. Jetzt hält der 21-Jährige den Koalitionsvertrag in den Händen. Rasch überfliegt er das Schriftstück. „Es ist zwar gut, dass den Kitas überhaupt so ein großer Abschnitt gewidmet wird. Aber wir haben mehr erwartet“, sagt der Bautzener. Enttäuschung liegt in seiner Stimme.

Die Landesregierung möchte in den nächsten Jahren die Qualität von Bildung, Erziehung und Betreuung in den Kindertagesstätten erhöhen. Wie das geschehen soll, haben die Politiker klar formuliert. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Am 1. September 2015 wird der Betreuungsschlüssel in den Kindergärten auf 1:12,5 verbessert und am 1. September 2016 auf 1:12.“ Veränderungen wird es auch bei den Krippen geben. Bis 2018 soll sich eine Erzieherin nur noch um fünf Kleinkinder kümmern. Momentan ist das Verhältnis hier noch 1:6. Eine gute Sache könnte man meinen. Doch Markus Gießler ist skeptisch. „Da fehlen noch viele Aspekte. Der Hort kommt zum Beispiel gar nicht vor“, sagt er.

Auch die freien Träger im Landkreis sind mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden. „Es ist sicher ein erster Schritt, allerdings nicht ausreichend“, sagt Marina Schneider, Geschäftsführerin der Awo in Bautzen. Sabine Strauß, Geschäftsführerin der Volkssolidarität Bautzen, hat schon nachgerechnet, was der neue Betreuungsschlüssel den Erziehern tatsächlich bringt. „Bis 2018 dürfen wir zehn zusätzliche Vollzeitkräfte einstellen. Das klingt viel. Ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass sich diese auf immerhin acht Einrichtungen verteilen“, sagt sie. Große Kindergärten, wie die Bautzener Kita Glückskäfer mit 126 Kindern, bekämen dann maximal zwei neue Erzieher. „In kleineren Einrichtungen werden die Eltern gar keinen Unterschied merken. Dort erhöhen sich durch den neuen Betreuungsschlüssel nur die Arbeitsstunden unserer Mitarbeiter“, erklärt Sabine Strauß und betont: „Wir müssen auf jeden Fall weiterkämpfen.“ Nur wie?

Im August veranstalteten viele Kitas einen Schließtag, um auf das Personalproblem aufmerksam zu machen. „Doch weil solche Aktionen immer zulasten der Kinder gehen, wollen wir jetzt einen anderen Weg einzuschlagen“, sagt Markus Gießler. Inzwischen nehmen 25 Kitas an seinen Vernetzungstreffen teil. Zusammen verfassten sie eine fünfseitige Petition. Dabei stehen die Kritik am neuen Betreuungsschlüssel und die Forderung nach noch mehr Personal im Mittelpunkt. Das Schriftstück liegt in vielen Bautzener Kitas und in Geschäften der Innenstadt aus – Unterschriftenlisten inklusive. Im Januar will Markus Gießler die Zettel einsammeln und nach Dresden schicken. „Das ist natürlich nur eine kleine Aktion. Aber wir wollen mit unseren Wünschen im Gespräch bleiben – den Kindern zuliebe“, sagt er.