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Die große Show der SPD-Kandidaten

In Dresden haben sich die sieben Paare für den SPD-Parteivorsitz präsentiert. Es ist der Schlussspurt. Ab Montag entscheiden die SPD-Mitglieder.

Von Karin Schlottmann
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Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping stellt sich mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zur Wahl. Köppings Auftritt wurde – gemessen am Beifall des Publikums - nicht zu einem gefeierten Heimspiel.
Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping stellt sich mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zur Wahl. Köppings Auftritt wurde – gemessen am Beifall des Publikums - nicht zu einem gefeierten Heimspiel. © Archivbild/Marijan Murat/dpa

An den Check-in-Schaltern im Erdgeschoss stehen Mallorca-Urlauber für den Abflug um 19.10 Uhr in der Schlange. Ein Stockwerk höher demonstrieren 40 Jugendliche mit Sprechchören und Musik für den Klimaschutz. „Nicht nur das Grokodeal stirbt aus“ und „Wer will uns braten? Sozialdemokraten“ haben sie auf ihre Transparente gemalt. Ihr Protest richtet sich nicht gegen die Fluggäste, sondern gegen die rund 400 SPD-Mitglieder aus Sachsen, die sich auf der sogenannten Event-Plattform in der oberen Etage zu ihrer Vorsitzenden-Kandidaten-Show treffen. Drei der jungen Demonstranten dürfen noch vor Beginn der Veranstaltung kurz auf die Bühne und ihre Kritik am Klimaschutz-Programm der Bundesregierung loswerden. Von der CDU habe man nichts anderes erwartet, sagt einer von der Freitags-Protestierer. Aber die SPD habe die Fridays-for-Future-Bewegung schon sehr enttäuscht. Nach ihrem Appell, den Klimaschutz ernster zu nehmen, werden sie vom Publikum mit wohlwollendem Applaus verabschiedet.

Die Regionalkonferenz im Dresdner Flughafen ist die vorletzte Kandidatenvorstellung vor dem bundesweiten Mitgliedervotum zur Wahl einer neuen SPD-Parteispitze. Am Sonnabend müssen die sieben Bewerberpaare noch nach München, dann soll am Montag die Wahl per Brief oder Online-Abstimmung beginnen. Auf der Tournee mit mehr als 20 regionalen Auftritten haben sich die Bewerber den Fragen der Basis gestellt. Etwa 23.000 von über 437.000 SPD-Mitgliedern haben insgesamt teilgenommen. Der Abend in Dresden beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags in Halle. Einen Tag nach dem Amoklauf eines Rechtsextremisten könne niemand einfach zur Tagesordnung übergehen, sagte Sachsens SPD-Chef Martin Dulig. 

Die Kandidaten-Duos: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
Die Kandidaten-Duos: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans © Marijan Murat/dpa
Dierk Hirschel und Hilde Mattheis 
Dierk Hirschel und Hilde Mattheis  © Marijan Murat/dpa
Olaf Scholz und Klara Geywitz 
Olaf Scholz und Klara Geywitz  © Marijan Murat/dpa
Ralf Stegner und Gesine Schwan 
Ralf Stegner und Gesine Schwan  © Marijan Murat/dpa
Christina Kampmann und Michael Roth 
Christina Kampmann und Michael Roth  © Marijan Murat/dpa
Karl Lauterbach und Nina Scheer
Karl Lauterbach und Nina Scheer © Marijan Murat/dpa
Petra Köpping und Boris Pistorius
Petra Köpping und Boris Pistorius © Carsten Rehder/dpa

Die gewachsene Bedrohung durch Neonazis blieb eines der zentralen Themen in der Debatte zwischen den Kandidaten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der sich gemeinsam mit Klara Geywitz aus Brandenburg für das Amt des SPD-Chefs bewirbt, sagte, der Begriff „Einzeltäter“ sei im Fall des Anschlags von Halle nicht korrekt. Der Attentäter sei nicht allein, weil sich das Denken, das ihn geleitet habe, immer weiter verbreite. Er warnte davor, dessen Motive „weg zu soziologisieren“. Eine Kindheit könne noch so schwer gewesen sein, sie dürfe nie als Grund für Taten wie diese herangezogen werden. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius forderte Bund und Länder auf, gegen Rechtsextremisten alle „rechtsstaatlichen Register“ zu ziehen.

Pistorius stellt sich gemeinsam mit Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping zur Wahl. Obwohl Köpping in ihrem eigenen Landesverband durchaus beliebt ist, wurde ihr Auftritt – gemessen am Beifall des Publikums - nicht zu einem gefeierten Heimspiel. Köpping und Pistorius wollen als Interessenvertreter der Kommunalpolitik punkten. Sie sehe sich als „Brückenbauerin“ innerhalb der SPD sowie zwischen den Interessen von Stadt und Land, sagte Köpping. Andere Bewerber erhielten ähnlich viel Zuspruch wie sie, darunter überraschend auch Gesine Schwan, die mit 76 Jahren älteste Bewerberin. Sie musste an diesem Abend in Dresden ohne ihren Mit-Kandidaten Ralf Stegner auskommen, der sich wegen einer Feier zu seinem 60. Geburtstages entschuldigen ließ.

Nicht mehr als Schlagworte

Überhaupt ließ sich weder bei den direkten Fragen der Basis an die Kandidaten noch beim Beifall erkennen, wer bei der sächsischen SPD zu den Favoriten zählt. Das Duo Nina Scheer/Karl Lauterbach setzt stark auf ökologische Themen sowie auf Grundrente und Kindergrundsicherung. Norbert Walter-Borjans, der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister, warnte vor einer Fixierung auf die „schwarze Null“ und kritisierte „neoliberale Irrwege“ in der Politik der Vergangenheit. Die Parteilinke Hilde Mattheis forderte eine stärkere Umverteilung größerer Vermögen und ein Ende prekärer Beschäftigungsverhältnisse.

Gegen Armut, für mehr Entwicklungshilfe, Grundrente, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, sozialen Wohnungsbau, sozial gerechten und ambitionierten Klimaschutz - die Liste dessen, wofür sich die Bewerber einsetzen wollen, scheint endlos zu sein. Fragen nach der Umsetzung ihrer Ziele wurden nicht gestellt. Dass für mehr als Schlagworte nicht ausreichend Gelegenheit war, liegt wohl auch an dem Format der Kandidaten-Roadshow, die Antworten im Minutentakt verlangt. Selbst nach über 20 Vorstellungsrunden im ganzen Land wagt kaum jemand eine Vorhersage über den Ausgang. Wenn die Wahl für keines der Paare eine deutliche Mehrheit ergibt, findet eine Stichwahl statt. Ein Bundesparteitag muss das Basisvotum im Dezember noch formal absegnen.