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Abschiebeverbot für Afghanistan vor Gericht

Für Mütter und minderjährige Kinder soll in Sachsen ein besonderer Schutz gelten. Bei den Vätern ist das umstritten.

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© dpa/P. Seeger

Von Karin Schlottmann

Er sei, sagt der afghanische Familienvater, mit großen Hoffnungen nach Deutschland gekommen. Rund 12 000 Euro habe er für die lange und strapaziöse Reise gezahlt. Das Geld hat er teils zusammengespart, teils von Verwandten geliehen. Er wünsche sich ein besseres Leben für seine Familie, erklärt der 28-Jährige den drei Richtern und zeigt auf seine drei kleinen Kinder im Saal.

Das Asylverfahren ist allerdings längst abgeschlossen. Es ist nicht gut für die Kläger ausgegangen. Das Bundesamt für Migration hat die Asylanträge abgelehnt und die Klagen vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz blieben erfolglos. In der mündlichen Verhandlung am Donnerstag vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen geht es nur noch um die Frage, ob für die Kläger ein Abschiebungsverbot gilt. Drei Fälle hat der Senat unter Vorsitz von Jürgen Meng ausgewählt, um für diese Grundsatzfrage ein Urteil zu fällen.

Viele Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren nach Sachsen gekommen sind, sind Afghanen. Längst nicht alle von ihnen haben dort auch gelebt, manche sind noch nie dort gewesen. Der Vertreter des Bundesamtes für Migration sagte in der mündlichen Verhandlung, seit geraumer Zeit kämen „ausnahmslos“ afghanische Flüchtlinge, die vor der Reise nach Deutschland im Iran gelebt haben. Im vorigen Jahr waren von den rund 9 100 Asylbewerbern in Sachsen elf Prozent afghanische Staatsangehörige und auch in diesem Jahr stehen sie bei insgesamt rückläufigen Zahlen auf der Top-Ten-Liste des Innenministeriums.

Die Anerkennungsquote ist jedoch relativ gering, bundesweit wird nur etwa jeder Zweite als Flüchtling anerkannt. Wegen der unsicheren Lage in dem Bürgerkriegsland stehen Behörden und Gerichte nach Abschluss der Asylverfahren jedes Mal vor der schwierigen Frage, ob sie die abgelehnten Asylbewerber in die Heimat zurückschicken oder ihnen auf unbestimmte Zeit ein Duldungsrecht in Deutschland geben.

Eigeninitiative bei der Jobsuche

Zwei Obergerichte, die Verwaltungsgerichtshöfe in Mannheim und in München, haben sich kürzlich wegen der desolaten humanitären Lage für ein Abschiebeverbot für Familien ausgesprochen. Und auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht will sich wohl an dieser Rechtsprechung orientieren, sagte Michael Heinlein, der für diesen Fall zuständige Berichterstatter des Gerichts. Für Rückkehrer-Familien mit minderjährigen Kindern sei das Leben in Afghanistan nicht sicher, heißt es in einem Experten-Gutachten. Offen ist wohl nur die Frage, ob das Abschiebeverbot auch für die Väter gilt und welche Rolle der grundgesetzlich verankerte Schutz der Familie bei der Gerichtsentscheidung spiele, hieß es.

Nach Ansicht des Bundesamtes kommt nur derjenige in den Genuss des Abschiebeverbots, der persönlich die Voraussetzungen dafür erfüllt. Alleinstehende junge Männer könnten trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage durchaus für ihren Lebensunterhalt in Afghanistan sorgen, sagte der Behörden-Vertreter. Eine gewisse Eigeninitiative könne erwartet werden. Seiner Meinung nach komme es für das Leben in dem Land auf den islamischen Glauben an und nicht, ob man Afghanistan gut kenne. Rechtsanwalt Olaf Müller entgegnete, es sei zynisch, zu sagen, so lange die Menschen dort nicht „sterben wie die Fliegen“, könne die Lage nicht so dramatisch sein.

Keiner der drei Familienväter, die an diesem Tag juristisch um ihr Bleiberecht in Deutschland kämpfen, hat eine Berufsausbildung absolviert. Einer ist Analphabet und war vor der Flucht drogenabhängig. Alle drei haben als Hilfsarbeiter Geld verdient, auf dem Bau, als Putzkraft, in der Landwirtschaft oder als kleiner Ladenbesitzer. Vor der Flucht habe man einigermaßen gut von dem Einkommen leben können, antworten die Kläger auf Fragen des Gerichts. Die Kosten für die Flucht nach Deutschland, die sich auf mehrere Tausend Euro belaufen, stammen in einem Fall aus dem Verkauf des Elternhauses, des Mobiliars und Darlehen von Angehörigen. Auf familiäre Netzwerke können sie im Falle einer erzwungenen Rückkehr nach eigenen Angaben nicht mehr zurückgreifen. Ihre Perspektive, sich oder gar ihre Familien in Afghanistan zu ernähren, scheinen danach denkbar gering.

Zurzeit schieben die Behörden nur in Ausnahmefällen Afghanen ab – vor allem Straftäter und Gefährder. In dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes heißt es, die Sicherheitslage sei unbeständig und regional sehr unterschiedlich. Es gibt danach Gebiete mit Kampfhandlungen, anderswo sei es eher ruhig. Die Regierung in Kabul könne angesichts der Machtkämpfe die Sicherheit der Bevölkerung nirgendwo umfassend sicherstellen. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht will in den nächsten Tagen seine Urteile verkünden.