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Der Weg zur nachhaltigen Stadt

Nur eine weitsichtige Stadtplanung ebnet den Pfad in eine grüne Zukunft.

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© Thorsten Eckert

Von den Siedlungen der Sumerer zu modernen Megacities: Urbanität erfordert eine Menge Planung. Eine besonders umfangreiche Perspektive auf das Feld des nachhaltigen Städtebaus hat Prof. Wolfgang Wende. Er ist Professor für Siedlungsentwicklung an der TU Dresden. Außerdem leitet er den Forschungsbereich Landschaft, Ökosysteme und Biodiversität am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung.

Herr Professor Wende, ist Stadtplanung eine neuzeitliche Disziplin?

Ein konzeptuelles Denken darüber, wie bauliche Strukturen zusammengeführt werden sollen, existierte auch schon bei der ältesten Stadt der Welt – Ur in Mesopotamien. Heutzutage ist die Stadtplanung allerdings wesentlich komplexer. In der Renaissance fand mit der Wiederentdeckung der zeichnerischen Perspektive ein gewaltiger Sprung statt. Erstmals seit der Antike wurde es dadurch wieder möglich, Plätze und Freiräume zu planen und zu gestalten. In Deutschland kann man seit dem 19. Jahrhundert von einer baurechtlich regulierten Stadtplanung sprechen.

"Es geht um nicht weniger als die Attraktivität des Lebens in der Stadt."
"Es geht um nicht weniger als die Attraktivität des Lebens in der Stadt." © Jörg Gläscher

Welchen Herausforderungen muss sich eine nachhaltige Stadtplanung stellen?

Im globalen Kontext besteht die größte Aufgabe darin, soziale Stadtstrukturen zu schaffen. Rund eine Milliarde Menschen leben heute in informellen Siedlungen unter schrecklichen Bedingungen. Klassische Stadtplanungsinstrumente helfen da nicht weiter, es braucht neue Herangehensweisen. Andererseits stellt sich die Frage, wie sich Megacities organisieren lassen.

Was bei der Forschung noch mehr in den Fokus gerückt werden muss, ist: Welche Auswirkungen bringt die Urbanisierung für ländliche Regionen? Auch das Umland und dörfliche Strukturen bedürfen Entwicklungsperspektiven und müssen in ein Planungskontinuum einbezogen werden. Außerdem verlangen unsere Städte nach Anpassungen an den Klimawandel – das heißt zum Beispiel: dem Hitzestau mit Grünflächen entgegenwirken. Aber auch der Bausektor muss reformiert und dekarbonisiert werden, denn er trägt noch heute zu 40 % der CO2-Emissionen bei. Da liegt ein Schlüssel, um Klimaschutz zu betreiben. Ein weiterer Punkt sind Wohnungsnot und Leerstand – wir benötigen Mechanismen, um den Bestand zu reaktivieren.

Wie gelingt ein Teilhabeprozess, der die Bedürfnisse der Bevölkerung mitdenkt?

Es gibt formale Beteiligungsprozesse wie die Neuaufstellung eines Flächennutzungsplans, an denen Bürgerinnen und Bürger auch heute schon intensiv teilhaben können. Trotzdem merkt man zunehmend, dass diese formalen Ansätze nicht ausreichen: Für eine echte Teilhabe braucht es neue, niederschwellige Instrumente. Diese werden auch vielerorts schon angewandt – in Dresden zum Beispiel in den Zukunftsstadt-Workshops oder in Raumbildansätzen. Solche spielerischen Methoden funktionieren jenseits der bürokratischen Planungssprache. Der Stadtraum wird greifbar und die Leute sind dazu eingeladen, mitzugestalten. Das spielt auch im Zusammenhang mit der Smart City eine große Rolle.

Müssen wir unser Konzept des urbanen Zusammenlebens rigoros ändern?

Schon 1972 hat eine Studie des Club of Rome uns die Grenzen des Wachstums aufgezeigt. Nun drängt die Zeit, wir müssen uns grundlegender um eine nachhaltige Stadtplanung kümmern. Wir sehen beispielsweise einen ungebrochenen Trend zu mehr Wohnfläche pro Kopf in Deutschland. Aktuell sind es durchschnittlich 48 Quadratmeter, die jeder Einzelne für sich beansprucht. Ohne eine Kehrtwende diesbezüglich wird sich nachhaltiges urbanes Zusammenleben nicht bewerkstelligen lassen, denn mit der Zunahme der Wohnfläche ist ein CO2-Zuwachs verbunden.

Ähnlich ist es mit dem veralteten Leitbild der autogerechten Stadt. In Kopenhagen, Barcelona oder Freiburg sehen wir, wie eine wachsende Stadt und autofreie Quartiere zusammengedacht werden. Da entsteht letztlich ein fruchtbarer Wettbewerb, denn es geht um nicht weniger als die Attraktivität des Lebens in einer Stadt.

Ein weiteres Augenmerk sollte der Altbestand sein – Umbauen statt Abreißen, das spart eine Menge Treibhausgas. Wir müssen es schaffen, Wohnen dort attraktiv zu machen, wo der Leerstand schon vorhanden ist und Quartiere auch aus sozialer Sicht nachhaltig gestalten. Eine solche Aufwertung geschieht zum Beispiel mit dem Masterplan „Soziale Stadt“ Prohlis.

Welche verheißungsvollen Trends gibt es in der nachhaltigen Stadtplanung?

Stadtplanung heißt nicht nur, Häuser zu bauen. Stattdessen müssen wir die Stadt aus dem Freiraum heraus denken: Denn ein ausgewogenes Verhältnis von Bau-, Grün- und Freiraumstrukturen ist entscheidend für die Lebensqualität der Stadtbewohner. Um sich gegenüber dem Klimawandel zu wappnen, spielt das Konzept der Schwammstadt eine gewichtige Rolle. Dabei geht es darum, die zunehmenden Starkregenereignisse abzupuffern, indem Stadtstrukturen das Wasser aufnehmen und speichern können. Auf der anderen Seite werden wir es mit starker Hitze zu tun bekommen. Um besonders gefährdete Gruppen wie alte Menschen und Kinder zu schützen, brauchen wir verschattete Plätze, entsiegelte Flächen und begrünte Baustrukturen. Mit Luftleitbahnen kann man zudem dafür sorgen, dass nachts Kaltluft in die Stadt einströmt.

Welche Beispiele aus der Praxis gibt es in Dresden?

Wo besteht Nachholbedarf? Ein wunderbares aktuelles Beispiel aus Dresden ist die Lili-Elbe-Straße. Da wurden Zisternen in den Straßenkörper eingebaut, die das Wasser auffangen und in trockenen Phasen in die Vegetation abgeben. Wenn so etwas Schule macht, ist es der richtige Weg hin zu einer nachhaltigen, klimaresilienten Stadt. Auch in der Altstadt könnte es deutlich mehr grüne Infrastruktur geben. Dresden steht für barocke Architektur. Das historische Stadtbild und grüne und autofreie Strukturen widersprechen sich aber keinesfalls. Sie sind beide enorm reizvoll für Touristen.

© Thorsten Eckert

Das innovative Bewässerungssystem der Lili-Elbe-Straße: Die Gehwege und Stellplätze sind wasserdurchlässig. Durch die zusätzliche Neigung fließt Regenwasser, das nicht versickert, zur Vegetation. Zwei unterirdische Zisternen sammeln Regenwasser und geben es automatisiert an die Pflanzen ab. So wird der Wasserbedarf der Bepflanzung auch nach der Anwuchsphase sichergestellt.

Das Gespräch führte Viktor Dallmann.

© TU Dresden