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Auf Tour mit den Storchen-Beringern im Landkreis Bautzen

Niemand kommt den Storchenkindern im Landkreis Bautzen so nahe: Rund 40 Storchenbabys bekamen jetzt Ringe an die Beine. Eine tierische Begegnung.

Von Tim Ruben Weimer
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Katrin Hoffmann arbeitet seit drei Jahren bei der Vogelschutzstation Neschwitz. Nun übernahm sie zum ersten Mal die Beringung der Weißstörche im Landkreis Bautzen.
Katrin Hoffmann arbeitet seit drei Jahren bei der Vogelschutzstation Neschwitz. Nun übernahm sie zum ersten Mal die Beringung der Weißstörche im Landkreis Bautzen. © Steffen Unger

Malschwitz. Unbeweglich erhebt sich die Silhouette des Storches auf dem alten Schornstein der Fensterbaufirma Eibel in Pließkowitz bei Malschwitz vor der noch tief stehenden Sonne. Ganz vorn am Rande des aus Zweigen gebauten Nestes steht er mit angelegtem Schnabel und Flügeln und blickt hinunter in den Hof der Fabrik, wo Stefan Mehnert den Hubwagen der Bautzener Baumdienstfirma Knorre langsam auf den Storchenhorst zu manövriert. Von den Mauern des ehemaligen Landgestüts dröhnt das Motorengeräusch vielfach zurück. Der Storch schaut unbeirrt der von unten heraufkommenden Hubplattform entgegen.

Dass Menschen so nahe an seine Jungtiere kommen, gefällt diesem Storch in Pließkowitz nicht. Schlussendlich sucht er das Weite - und kehrt, kurz nachdem die Menschen den Horst verlassen haben, zurück.
Dass Menschen so nahe an seine Jungtiere kommen, gefällt diesem Storch in Pließkowitz nicht. Schlussendlich sucht er das Weite - und kehrt, kurz nachdem die Menschen den Horst verlassen haben, zurück. © Steffen Unger

Katrin Hoffmann und Stefan Mehnert sind heute auf Storchentour. Um sieben Uhr beginnt die Rundfahrt durch den Landkreis Bautzen in Pließkowitz, weiter geht es über Doberschütz, Briesing, Commerau über Caminau und Saalau bis ins Sorbische nach Nebelschütz und Crostwitz. Das Ziel: Rund 40 Jungstörche sollen beringt werden. Katrin Hoffmann von der Vogelschutzstation Neschwitz ist in diesem Jahr das erste Mal dabei.

Stefan Mehnert steuert den Hubwagen, auf dem er und seine Kollegin stehen und maximal noch eine dritte Person Platz hätte, zielsicher dem Storchennest entgegen. Da wird es Papa Storch – Oder ist es Mama Storch? Aus der Ferne lassen sich die Geschlechter nicht unterscheiden – doch zu bunt. Mit ausgebreiteten Flügeln schwebt er in den angrenzenden Wald.

Beringung ist nur binnen weniger Wochen möglich

Nun geht es für Hoffmann und Mehnert an die Arbeit. Statt zweier Storchenkinder finden die beiden sogar drei im Nest vor. Unbeweglich liegen sie nebeneinander, die Augen geöffnet und die noch schwarzen Schnäbel ins Federkleid der anderen gesteckt. Zwischen vier und sechs Wochen sind sie alt – der einzige Zeitraum, in dem die Beringung möglich ist. Sind die Vogelschützer damit zu früh dran, fallen die Ringe von den Beinen ab. Kommen sie zu spät, sind die Storchenkinder schon flügge und fliehen vor den Beringern.

Dieser Anblick ist echt süß: In den meisten Storchennestern im Landkreis Bautzen liegen derzeit zwei bis drei Jungstörche.
Dieser Anblick ist echt süß: In den meisten Storchennestern im Landkreis Bautzen liegen derzeit zwei bis drei Jungstörche. © Steffen Unger

Den richtigen Zeitpunkt kennt der Radiborer Storchenfreund Andreas Baumgärtel. In seiner Freizeit fährt der Rentner häufig die Horste in der Gegend ab, schaut durchs Fernglas und zählt die Jungstörche, erzählt er. Insgesamt 14 beringte Elternstörche gebe es derzeit im Landkreis Bautzen. Bei rund 60 Brutpaaren ergibt das einen Beringungsanteil von rund zehn Prozent.

Storchen-Lebensgeschichte lässt sich nachverfolgen

Mit den Ringen kann die Lebensgeschichte der Störche nachverfolgt werden. Jede Beobachtung eines beringten Storches wird an die für Ostdeutschland zuständige Beringungszentrale auf Hiddensee gemeldet. Ein 2015 in Briesing geborener Storch wurde so in den darauffolgenden Jahren in Luga, Oppach, im tschechischen Rumburk und 2022 in Sohland wiederentdeckt.

Da Störche Zugvögel sind, legen sie dazwischen große Strecken zurück. So wurde ein im Juli 2022 in Saalau bei Wittichenau geborener Jungstorch nur zwei Monate später im 2.336 Kilometer entfernten Yumurtalik in der Türkei entdeckt – leider tot.

Die meisten Störche, die aus dem Landkreis Bautzen gen Süden ziehen, wählten die Ost-Route über die Türkei nach Afrika, erklärt Andreas Baumgärtel. Die Jungen kämen nach rund drei Jahren im geschlechtsreifen Alter wieder zurück – allerdings nur zu rund 20 Prozent. Viele blieben in Strommasten hängen oder würden beispielsweise im Libanon abgeschossen, sagt Baumgärtel, in Afrika würden Störche zum Teil auch gegessen.

Doppelte Sicherheit: An ein Bein kommt ein metallener Ring mit individueller Kennung, ans andere Bein ein gelber Plastikring, dessen Kennung auch aus der Ferne mit dem Fernglas erkennbar ist.
Doppelte Sicherheit: An ein Bein kommt ein metallener Ring mit individueller Kennung, ans andere Bein ein gelber Plastikring, dessen Kennung auch aus der Ferne mit dem Fernglas erkennbar ist. © Steffen Unger

In Deutschland setzt den Jungstörchen eher Kälte und Nässe zu. Doch dieses Jahr sei ein gutes Storchenjahr, so Baumgärtel. Vier Horste seien neu- oder wiederbesetzt worden, wogegen sich die Zahl der Störche im Kreis Bautzen in den letzten Jahren eher die Waage gehalten habe. „In Deutschland ist die Zahl in den letzten 15 Jahren von 4.000 auf 10.000 Paare angestiegen“, sagt der Storchenfreund.

Anwohner freuen sich über die tierischen Nachbarn

Den meisten Anwohnern gefällt die Anwesenheit der Vögel in den weißen Prachtkleidern. So auch Madlen Muder, die von ihrer Terrasse direkt auf das Storchennest am Ortsrand von Briesing blickt. „Störche vor der Haustür zu haben, ist etwas Schönes“, sagt sie. In den 15 Jahren, in denen sie hier wohne, sei der Horst immer besetzt gewesen, trotz Umsiedlung von einem morschen Holzstamm auf einen eigens errichteten Metallpfahl.

Vor einigen Jahren hätten sich alle Störche aus der Umgebung auf den Briesinger Hausdächern gesammelt, um gemeinsam in den Süden zu fliegen, schwärmt Madlen Muder. In einem anderen hätten die Eltern dagegen eines ihrer Jungen aus dem Nest geworfen, weil nicht genug Futter für alle da war.

Katrin Hoffmann führt genau Buch über Flügellänge und Gewicht der Jungstörche.
Katrin Hoffmann führt genau Buch über Flügellänge und Gewicht der Jungstörche. © Steffen Unger

Katrin Hoffmann und Stefan Mehnert sind mit der Hubplattform am Storchennest angekommen. Mehnert nimmt eines der drei Storchenkinder, misst die Flügellänge und hängt es in einer Tüte an eine Waage. Mit 2,5 bis 3,5 Kilogramm wögen viele Kinder mehr als ihre Eltern, um für den langen Flug gerüstet zu sein, sagt Storchenexperte Baumgärtel.

Messen und Wiegen bitte: Auf diese Weise werden die Jungstörche gewogen.
Messen und Wiegen bitte: Auf diese Weise werden die Jungstörche gewogen. © Steffen Unger

Katrin Hoffmann nimmt einen metallenen Ring mit einer Kennnummer und drückt ihn am Bein des Storches zusammen. Ans andere Bein kommt ein besser auch mit dem Fernglas zu erkennender, aber nicht ganz so langlebiger Ring aus Plastik. Die Daten werden ins Notizbuch eingetragen, dann geht es weiter in den nächsten Ort. Ob die Jungstörche aus Pließkowitz und Briesing den langen Flug nach Afrika überleben werden, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Wo sich derzeit noch Storchenkinder beobachten lassen, ist unter sachsenstorch.de einzusehen.