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Jung, weiblich, sorbisch: Sie wollen gehört werden

Junge Frauen aus der Lausitz setzen sich in zweisprachigen Texten mit ihrem Alltag und ihrer Herkunft auseinander. Jetzt ist ihr erstes gemeinsames Werk erschienen.

Von Olivia Daume
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Sie sind die "Lost Poetas" - junge Frauen aus der  Lausitz, die gehört werden wollen. Gründerin der Gruppe ist Jessy James LaFleur (u.r.). Marie Luise Paschke (hinten M.) und Pia Schneider (h.r.) sind Teil des Kollektivs.
Sie sind die "Lost Poetas" - junge Frauen aus der Lausitz, die gehört werden wollen. Gründerin der Gruppe ist Jessy James LaFleur (u.r.). Marie Luise Paschke (hinten M.) und Pia Schneider (h.r.) sind Teil des Kollektivs. © Jessy James LaFleur

Bautzen. Acht junge Frauen aus der Lausitz setzen sich mit ihrem Leben zwischen sorbischer Tradition und digitaler Moderne auseinander - entstanden sind Texte in zwei Muttersprachen. Verfasst wurden sie von den „Lost Poetas“, einem feministischen Poetry-Kollektiv.

Eine dieser „verlorenen Poetinnen“ ist Pia Schneider. „Ich habe schon immer Texte für mich selbst geschrieben. Diese jetzt aber in einem Buch zu veröffentlichen und die eigenen Gedanken, Erlebnisse und Gefühle mit anderen zu teilen, gibt mir ein schönes Gefühl“, sagt sie. Die 18-jährige sorbische Schülerin hat die Lost Poetas“ gemeinsam mit Jessy James LaFleur ins Leben gerufen.

Die Künstlerin Jessy James LaFleur stammt aus Ostbelgien und lebt mittlerweile in Ostdeutschland. 2017 hatte sie erste Auftritte im Landkreis Görlitz, ein Jahr später auch in Bautzen. Bei einem ihrer Workshops traf sie auf Pia Schneider, ihre erste weibliche Workshop-Teilnehmerin im Sorbenland. Gemeinsam wurde die Idee zu den „Lost Poetas“ geboren. Der Name soll laut LaFleur ausdrücken, dass es sich um Stimmen handelt, die sonst nicht gehört werden.

Ihrer Erfahrung nach gebe es zu wenig sorbische Jugendprojekte in den ländlichen Regionen der Lausitz, weshalb sie genau hier ansetzen möchte, sagt die 38-Jährige. Während sie sich um die Gründung der „Lost Poetas“ und die finanziellen Mittel kümmerte, machte sich Pia Schneider auf die Suche nach jungen, sorbischen Frauen, die Lust hatten, sich mal so richtig „auszukotzen“.

Wie lebt es sich als junge Sorbin in der Lausitz?

Sie fand neben anderen Marie Luise Paschke. „Motiviert hat mich definitiv der Gedanke, dass wir wirklich etwas verändern können und dass wir Menschen aufzeigen können, wie wir uns fühlen und wie es ist, sorbisch aufgewachsen zu sein“, sagt die 20-jährige Kassiererin. Sie habe sich den Poetas angeschlossen, um sich intensiver mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen. „Ich konnte mich durch meine Texte anderen Menschen öffnen und ihnen zeigen, wie es sich für mich anfühlt, in der Lausitz erwachsen zu werden. Jetzt fühle ich mich stärker und traue mich, meine Meinung öffentlich zu vertreten.“

Kurz vor Weihnachten 2023 ist „Pozběh je žónski - Aufbruch ist weiblich“ erschienen, das erste Buch der Lost Poetas“, welches persönliche Erfahrungen, eingebettet in poetische Texte, von allen acht jungen Frauen beinhaltet. Darin thematisieren sie unter anderem eine gewisse Doppelbelastung, die sorbischen Frauen von der Gesellschaft auferlegt werde. Neben Erwartungen an Frauen im Allgemeinen, wie etwa zu ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter, werde von sorbischen Frauen zusätzlich erwartet, dass sie die sorbischen Traditionen leben und bewahren.

Zudem gebe es immer noch Tabus und Vorurteile gegenüber Frauen. Pia Schneider schreibt beispielsweise über Kleidung und darüber, wie Frauen in bestimmten Kleidungsstücken von Männern sexualisiert werden. Ein Punkt, der Jessy James LaFleur dabei besonders wichtig ist: „Man darf sich nicht zum Opfer machen. Die Leserschaft ist keine Selbsthilfegruppe.“

Sorbische Traditionen können auch einschränken

Die 38-Jährige sagt: „Eigentlich wollte ich den Menschen nur Literatur nahebringen. Das mach ich auch, helfe aber gleichzeitig Jugendlichen aus der sorbischen Region dabei, sich mit eigenen Texten von einschränkenden Traditionen ihrer sorbischen Gemeinschaft zu befreien.“ Beispielhaft erzählt LaFleur von einem Vorfall, der sich vor wenigen Jahren ereignet haben soll. Damals sei eine Abiturientin von ihrer sorbischen Gemeinschaft kritisiert worden, weil sie das Tuch, welches traditionell zur sorbischen Tracht gehört, mit ihrem Abiball-Kleid kombiniert hatte.

„Das Buch ist etwas ganz Besonderes. Es ist schön zu sehen, dass all das, was wir als Lost Poetas erschaffen haben, nun in dieser Form festgehalten ist“, sagt Pia Schneider. „Für mich ist es wichtig, etwas zu haben, das unsere Arbeit verewigt. So gerät sie nicht in Vergessenheit.“ Die 18-Jährige hofft, dass sich durch die Texte jemand angesprochen fühlt und sie dem ein oder anderen dabei helfen, sich weniger einsam zu fühlen.

„Ich glaube, dass das Buch ganz viel mit den Frauen und ihrer eigenen Entwicklung gemacht hat“, schätzt Jessy James LaFleur ein. Ihr Wunsch ist es, dass sich das feministische Poetry-Kollektiv bei jungen Frauen aus der Lausitz als Ort etabliert, an dem sie sich gesehen fühlen, und dass jedes Jahr neue Poetas nachrücken, die etwas frustriert und die etwas zu sagen haben.

Das Buch „Pozběh je žónski - Aufbruch ist weiblich“ kann per Mail an [email protected] bestellt werden.

Wer die Lost Poetas live sehen möchte, kann dies am 8. Februar 2024, um 19 Uhr, im Haus der Sorben in Bautzen mit ihrer Theaterperformance „Frustracija“.