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Belarus: Widerstandskampf vorerst verloren

Die belarussische Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja sieht ihre Bewegung vorläufig in einer Sackgasse. Man arbeite aber an einer neuen Strategie.

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"Ja, es sieht im Moment so aus, als hätten wir verloren": Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus Belarus.
"Ja, es sieht im Moment so aus, als hätten wir verloren": Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus Belarus. © Claudio Bresciani/TT NEWS AGENCY/AP/dpa

Genf/Minsk. Nach monatelangen Protesten in Belarus räumt Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja eine vorläufige Niederlage gegen Machthaber Alexander Lukaschenko ein. "Ich muss zugeben, wir haben die Straße verloren", sagte sie in einem Interview mit der Schweizer Zeitung "Le Temps" (Genf). "Wir haben nicht die Mittel, um der Gewalt des Regimes gegen die Demonstranten etwas entgegenzusetzen." Die Regierung habe die Waffen und die Macht. "Ja, es sieht im Moment so aus, als hätten wir verloren", sagte sie.

Aber die Opposition sei dabei, Strukturen für die nächsten Kämpfe aufzubauen, so Tichanowskaja. "Unsere Strategie ist es, uns besser zu organisieren, das Regime unter ständigen Druck zu setzen, bis die Menschen wieder bereit sind, auf die Straße zu gehen, vielleicht im Frühjahr." Die Rückkehr zur Demokratie brauche mehr Zeit als angenommen. Die Proteste begannen vor einem halben Jahr. In den vergangenen Wochen gab es aber nur vereinzelt Aktionen.

"Le Temps" sprach mit Tichanowskaja in ihrem Exil in Litauen. Ihr Mann sitzt in Belarus in Haft. Sie will im März in die Schweiz reisen, wo bis zum 23. März der UN-Menschenrechtsrat tagt, der sich auch mit der Situation in der Ex-Sowjetrepublik befassen will.

Dort gab es am Wochenende neue kleinere Proteste nach der jüngsten Verurteilung zweier Journalistinnen. Menschen zogen in Kleingruppen mit der weiß-rote-weiße Fahne der Opposition durch die Straßen. An diesem Montag will Lukaschenko Russlands Präsident Wladimir Putin in der russischen Schwarzmeer-Stadt Sotschi treffen.

Nach den historischen Massenprotesten hat sich Präsident Lukaschenko von mehr als 2000 handverlesenen linientreuen Funktionären in seinem Kurs bestätigen lassen.
Nach den historischen Massenprotesten hat sich Präsident Lukaschenko von mehr als 2000 handverlesenen linientreuen Funktionären in seinem Kurs bestätigen lassen. © Maxim Guchek/POOL BelTa/AP/dpa

In Belarus (Weißrussland) hat die weithin als gefälscht geltende Präsidentenwahl am 9. August 2020 landesweite Proteste ausgelöst, die oft brutal niedergeschlagen wurden. Der langjährige Machthaber Lukaschenko hatte sich mit 80,1 Prozent zum Sieger erklären lassen. Die Demokratiebewegung des Landes sieht hingegen Tichanowskaja als Gewinnerin. Sie war anstelle ihres inhaftierten Mannes angetreten.

Der Minsker Analyst Artjom Schraibman hält die Aussichten auf neue größere Proteste für ungewiss. Das hänge vor allem mit der Frage zusammen, ob die Menschen dann noch Angst vor Polizei-Gewalt hätten und wie sie die Aussichten auf Erfolg bewerteten, schrieb er im Nachrichtenkanal Telegram. "Das Wetter ist da zweitrangig."

Sie überlege jeden Tag, ob sie nach Belarus zurückkehren solle, sagte Tichanowskaja. Manchmal sei sie der Verzweiflung nahe. "Aber man wird sich dann schnell klar, das kann man nicht machen, wenn man ein Symbol ist, eine nationale Anführerin, dann kann man nicht einfach aufgeben." Sie freue sich über neue Oppositionsinitiativen.

Zugleich warnte die Bürgerrechtlerin vor einer Aufspaltung. "Das würde die Opposition zerstören", so Tichanowskaja. "Ich bin ein bisschen wie die Glucke, die die Küken zusammentrommelt, damit wir alle in dieselbe Richtung schauen." (dpa)