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Eine Abrechnung mit der Trittbrettfahrerei

Das Schauspiel Chemnitz feiert den 110. Geburtstag von Stefan Heym mit der Premiere seines lange verschollenen Stücks „Der große Hanussen“.

Von Marcel Pochanke
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Erik Jan Hanussen (Christian Schmidt) macht sich mit seinen Fähigkeiten und seinem Vermögen für Menschen wie den SA-Kommandanten Graf Helldorf (Patrick Wudtke, links) unentbehrlich – so will er es glauben.
Erik Jan Hanussen (Christian Schmidt) macht sich mit seinen Fähigkeiten und seinem Vermögen für Menschen wie den SA-Kommandanten Graf Helldorf (Patrick Wudtke, links) unentbehrlich – so will er es glauben. © theater Chemnitz/Dieter Wuschanski

Wer sich bisher durch sein Leben gegaukelt hat, und das mit einigem Ertrag, warum sollte es bei den Nationalsozialisten nicht genauso funktionieren? Zumal sich mit ihrer Macht- und Geltungssucht in diesen Zeiten des Umbruchs gut rechnen und verdienen lässt. Als „Hitlers Hofastrologe“ wird Erik Jan Hanussen bereits bezeichnet.

Was soll’s, dass er Jude ist. In der Inszenierung von „Der Große Hanussen“ am Schauspiel Chemnitz ist er unter den bemüht Schneidigen der Schneidigste, die SA-Leute nehmen sich dagegen wie zarte Bürschchen aus. Christian Schmidt in der Hauptrolle verleiht dem Aufschneider viel Kälte. Erst am Schluss, als er seinem grausigen Ende entgegensieht, treten mehr Facetten und Emotionalität zutage. Hanussen hängt am Leben, und wie! Solange es um sein Leben geht, zumindest.

Der Theatertext von Stefan Heym macht es den Schauspielern nicht leicht, allzu vielschichtig aufzutreten. Den Nationalsozialisten und ihren Anhängern, und davon gibt es in diesem Januar 1933 reichlich, versagt der Autor die Adelung charakterlicher Facetten. Auch Hanussen ist viel zu gefangen und verstrickt in seinem trickreichen Spiel mit den menschlichen Fantasien. Ist denn hier keiner, der nicht Nazi wäre oder sich verkauft?. Das fragt sich der Betrachter. Doch im Laufe der Tragödie zeigen sie sich. Da ist Hanussens Frau Franziska (Andrea Zwicky), die sich aus ihrer Rolle der hübschen Tänzerin herausschält und Wahrheiten einfordert. Was Hanussens ganzen Zynismus im Fanal „Wahrheit beruht auf Macht“ und „Ich glaube, auf der Seite der Mächtigen zu sein,“ gipfeln lässt. Und da ist der jüdische Verleger Dr. Kramer, dem Dirk Glodde angesichts des Verlusts seines Lebenswerks eine tiefe menschliche Trotzigkeit verleiht.

Holzschnittartige Dialoge

Das Drama, 1941 von Stefan Heym im amerikanischen Exil geschrieben und von Stephan Wetzel aus dem Englischen übersetzt, ist eine Abrechnung mit Mitläufertum und Geschäftemacherei auf Kosten anderer. Menschen, deren Hoffen auf persönlichen Gewinn den Aufstieg der Nazis erst möglich machte. Das teils Holzschnittartige der Dialoge, das die Kritik schon bei der Uraufführung vor einem Jahr in Esslingen bemängelte, konnte auch die Chemnitzer Inszenierung in der Regie von Theaterchef Carsten Knödler nicht ganz kaschieren. Trotz überraschender Choreografien, die Michael Ihnow mit Nachwuchsdarstellerinnen und -darstellern des Schauspielstudios erarbeitet hat und trotz humorvoller Textpassagen, die in Chemnitz gut zur Geltung kommen. In ihren besten Momenten finden sich in der Bühnensprache Anklänge an den literarischen Expressionismus. Hält Hanussen eine Séance als Wahrsager, bricht und feuert und lärmt es in seinen Eingebungen, bersten Stahl und Lichter.

In Chemnitz wird das Stück zum zweiten Mal überhaupt gezeigt, erst 2021 hatte es der Chemnitzer Literaturwissenschaftler Christoph Grube in einem Archiv in England wiederentdeckt. Wie Stoff und Stück den Weg nach Chemnitz fanden, wird am Montagabend im Kulturzentrum Das Tietz in einer öffentlichen Gesprächsrunde näher beleuchtet. Sie ist Teil des Rahmenprogramms zur Inszenierung, mit dem die Stadt den großen Schriftsteller würdigt, der hier 1913 geboren wurde.

Spinnbau in Chemnitz bleibt länger als Interim

„Hanussen“ ist die erste große Premiere in der Ausweichspielstätte Spinnbau in diesem Jahr. Es sollte die letzte in dem Provisorium sein. Dank Fördermitteln fällt die Sanierung des Chemnitzer Schauspielhauses aber so umfangreich aus, dass erst 2026 mit einer Rückkehr dorthin gerechnet wird. Die Premiere offenbarte bei allem Charme des Industriebaus auch die Schwächen der Interimsspielstätte, der es technisch und räumlich an Wandlungsmöglichkeiten auf der Bühne fehlt. Frank Hänig lässt mit seinem Bühnenbild der Handlung viel Platz und sorgt am dramatischen Ende für einen eindrucksvollen Lichteinsatz. Die Bühnenfläche hätte für die vielfach kammerspielartigen Szenen jedoch mehr Struktur vertragen.

Unter dem Strich bleibt „Der große Hanussen“ eine sehenswerte Aufführung, auch, aber nicht nur wegen des Entdeckungswertes eines lange verschollenen Textes. Der Abend bietet starke Szenen und denkwürdige Botschaften. Hanussen wurde reich, weil seine Anhänger ihm gerne glauben wollten. Und selbst vergeht er, weil auch er seinen Lebenslügen bis zum Ende glaubt, darunter diese: Er habe seine unmenschlichen Gönner schon im Griff.

Wieder am 3. und 9. Februar sowie am 4. und 5. März im Theater Chemnitz im Spinnbau. Karten: 0371 4000430